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Stichwahl in Brasilien: Wird Lula zum Retter des Amazonas?


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Stichwahl in Brasilien
Er will Bolsonaro vergessen machen


Aktualisiert am 30.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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Eine Anhängerin posiert mit einer Pappfigur von Lula da Silva: Der Herausforderer von Jair Bolsonaro will die Abholzung des Regenwalds stoppen. (Quelle: Pilar Olivares/reuters)
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Die Wahl in Brasilien wird zum Kampf der politischen Lager. Doch es geht um mehr als die Zukunft des Landes. Die "grüne Lunge" der Erde ist in Gefahr.

Bolsonaro oder Lula, "Tropen-Trump" oder Linken-Ikone, Regenwald roden oder Regenwald retten – die Brasilianer haben es am Sonntag in der Hand. Die Stichwahl für das Amt des brasilianischen Präsidenten könnte zur Schicksalsentscheidung werden, nicht nur für Brasilien. Denn von ihr hängt auch ab, wie es im Amazonas-Regenwald weitergeht. Er wird nicht ohne Grund die "grüne Lunge" der Erde genannt.

156 Millionen Wahlberechtigte sind zu den Urnen gerufen, und das bereits zum zweiten Mal in diesem Monat. Vor der ersten Runde am 2. Oktober sahen die Umfragen den Kandidaten der Arbeiterpartei, Luiz Inácio "Lula" da Silva, bereits klar als Sieger. Doch er erreichte nur 48,43 Prozent, der amtierende Jair Bolsonaro 43,2 Prozent. Da die 50-Prozent-Marke von keinem der beiden geknackt wurde, folgt nun die Stichwahl.

Aktuelle Umfragen prognostizieren weiter, dass Lula mit 48 Prozent vorn liegt, Bolsonaro käme demnach auf 42 Prozent. Doch nach der ersten Runde zweifeln viele Brasilianer an den Meinungsforschungsinstituten. Der Ausgang scheint damit weiter offen.

Die verheerende Bilanz von vier Jahren Bolsonaro

Fragt man derweil Klimaforscher, wer gewinnen sollte, ist die Antwort klar: Bolsonaro besser nicht. "Von der nächsten Regierung hängt es ab, ob der Amazonas in seiner jetzigen Form erhalten bleiben kann oder nicht", sagt Niklas Höhne, Leiter des Berliner New Climate Institute.

Denn die Bilanz des rechten Populisten ist verheerend: Unter ihm erreichte die Abholzung im brasilianischen Teil des Regenwaldes ein Ausmaß, wie es seit 2006 nicht mehr verzeichnet wurde.

Bolsonaro sieht im Regenwald vor allem eines: ungenutztes wirtschaftliches Potenzial. Er will noch mehr Flächen für Landwirtschaft, Bergbau und Energiegewinnung erschließen. Kritiker werfen Bolsonaro vor, er schaffe ein gesellschaftliches Klima, in dem sich Bauern zu illegaler Landnahme für ihre Weiden und Felder ermutigt fühlen – Landwirte gehören zu seiner Wählerbasis. Die Rechte der indigenen Bevölkerung wurden hingegen immer weiter verletzt und eingeschränkt.

In den fast vier Jahren seiner Amtszeit schwächte der Amtsinhaber systematisch die Umwelt- und Kontrollbehörden. Als 2019, zu Beginn seiner Präsidentschaft, das nationale Institut für Weltraumforschung auf Grundlage seiner Satellitenüberwachung darauf hinwies, dass die Abholzung im Amazonas stark zugenommen hatte, behauptete Bolsonaro kurzerhand, die Daten seien manipuliert. Schließlich feuerte er den Chef der Behörde.

Die letzten Jahre des Regenwalds?

31.000 Quadratkilometer fielen in Bolsonaros Amtszeit den Kettensägen und gelegten Bränden zum Opfer – eine Fläche, so groß wie Belgien. Dabei warnen Forscher schon jetzt: Das fragile Ökosystem des Amazonas könnte vor seinem Kipppunkt stehen, an dem sich der Regenwald zur Savanne wandelt. Pessimistischere Schätzungen gehen davon aus, dass dies bereits bei 20 bis 25 Prozent Abholzung geschehen könnte. 15 Prozent des Waldes sind schon jetzt gerodet, im brasilianischen Teil sind es 19 Prozent.

Kippt der Amazonas, hätte das fatale Folgen für die ganze Welt: Der Regenwald ist eine riesige Kohlenstoffsenke – das heißt, in den Pflanzen dort sind Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Sterben die Bäume oder verbrennt der Wald, werden sie als CO2 freigesetzt. Diese würden zur weiteren Erderhitzung beitragen und die Klimakatastrophe noch schneller vorantreiben.

Video | So schnell wird unsere Lebensgrundlage zerstört
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Quelle: t-online

"Jair Bolsonaros Politik ist wie Gift für den Amazonas", fasst Roberto Malnonado von der Naturschutzorganisation WWF zusammen. "Die Brasilianer entscheiden bei der Wahl also neben ihrer eigenen Zukunft auch über die des Weltklimas."

Lula gelobt die Kehrtwende

Die Hoffnungen ruhen nun auf dem Gegenkandidaten: Luiz Inácio da Silva, meist nur genannt bei seinem Spitznamen – Lula. Er ist kein Unbekannter, saß bereits von 2003 bis 2010 im Präsidentenpalast in der Hauptstadt Brasilia. Seine ersten Amtszeiten sind vielen Brasilianern in guter Erinnerung: Er modernisierte die Volkswirtschaft, verbesserte mit Sozialprogrammen die Lebensbedingungen Millionen armer Brasilianer.

Auch der Amazonas profitierte – in den Jahren seiner Amtszeit stärkte er die zuständigen Behörden, die Abholzung nahm rapide ab. Dennoch tat Lula sich nicht unbedingt als grüner Präsident hervor.

2008 verkrachte er sich mit seiner damaligen Umweltministerin Marina Silva, auch, weil er große Infrastrukturprojekte im Amazonas durchsetzen wollte. Nun ist sie wieder Teil seines Teams – auch, weil Lula mehr Umwelt- und Klimaschutz gelobt.

Er wolle "sehr ernsthaft" gegen die Entwaldung kämpfen, so der linke Kandidat. Seine Versprechen: Eine Politik der "null Entwaldung", Maßnahmen gegen illegale Landnahme, Wiederaufforstung. "Die Amazonas-Region ist entscheidend, wenn es um die Erhaltung der Lebensqualität auf dem Planeten geht", sagte er bereits im vergangenen Jahr dem "Tagesspiegel".

Lula zählt dabei auch auf Deutschland: Er wolle Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in den Regenwald einladen, um mit ihm über den Schutz des Regenwaldes zu beraten, sagte der Politiker. Ihm schwebt eine Wiederbelebung des Amazonienfonds vor. Das Finanzierungsprogramm wurde 2008 unter Lulas Präsidentschaft ins Leben gerufen. Hauptgeldgeber ist Norwegen, auch Deutschland ist mit rund 34 Millionen Euro beteiligt. 2019 – nach dem Amtseintritt von Bolsonaro – stellten jedoch beide Länder aufgrund der zunehmenden Entwaldung die Zahlungen ein.

Der Präsident von damals will nun die Kehrtwende für sein Land. "Er ist grüner als früher", sagt Politikwissenschaftler Mauricio Santoro von der Universität Rio de Janeiro der Deutschen Presse-Agentur. Das liege einerseits am internationalen Druck – aber auch daran, dass Lula sich so vom rechtspopulistischen Amtsinhaber abgrenzen könne. Nicht Bolsonaro zu sein, ist in Brasilien selbst wohl sein größter Trumpf.

Die Schatten der Vergangenheit hängen Lula an

Denn im Land ist Lula umstritten – vor allem die Mittel- und Oberschicht muss der Arbeitersohn überzeugen. Während seiner Amtszeiten blühte nicht nur die brasilianische Volkswirtschaft, sondern auch die Vetternwirtschaft.

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Dass der 77-Jährige überhaupt zur Wahl steht, ist auch deshalb nicht selbstverständlich. So wollte Lula eigentlich schon 2018 gegen Bolsonaro antreten. Im selben Jahr wurde er aber wegen Korruption und Geldwäsche zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Er soll eine Strandwohnung und Renovierungsarbeiten auf einem Grundstück angenommen haben und im Gegenzug Unternehmen zu lukrativen Verträgen mit der staatlichen Ölgesellschaft Petrobas verholfen haben.

Der Vorwurf ging noch weiter: Petrobas umspannte ein massives Korruptionsnetzwerk, deckten Ermittler nach Ende von Lulas Präsidentschaft auf. Dass er dahintersteckte, konnte ihm nicht nachgewiesen werden, bis heute streitet Lula alle Vorwürfe ab. 2021 wurde das Urteil gegen ihn aufgehoben, allerdings lediglich aus formalen Gründen. Das Misstrauen hängt ihm an.

Wird Lula nun erneut ins Amt des Präsidenten gewählt, wäre er der erste demokratische Präsident Brasiliens, der eine dritte Amtszeit antritt. Ein Selbstläufer würde seine Präsidentschaft nicht: In beiden Parlamentskammern hat der von Bolsonaro angeführte rechte Parteienblock mehr Sitze als der von Lula angeführte linke. Er muss somit das Vertrauen der Mitte gewinnen, um effektiv regieren zu können.

Und auch im Amazonas hat sich die Lage seit dem Ende seiner letzten Amtszeit 2010 geändert: Kampf gegen Abholzung heißt mittlerweile vor allem auch Kampf gegen die organisierte Kriminalität.

Kann Lula wirklich die Rolle als Regenwald-Retter ausfüllen? Leicht wird das nicht. Und doch scheint Lula zumindest verstanden zu haben, dass nicht nur er, sondern die gesamte Welt den Amazonas braucht – während Bolsonaro die "grüne Lunge" des Planeten immer weiter zugrunde gerichtet hat.

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