Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Liz Truss tritt zurück Das reicht nicht!
Der Rücktritt von Liz Truss ist die logische Konsequenz der vergangenen Wochen. Nun sollten alle Briten über ihren Nachfolger bestimmen.
Liz Truss ist zurückgetreten. Endlich. Die Entscheidung war überfällig – und ist doch nicht genug.
Die Tories wollen nun innerhalb einer Woche einen Nachfolger finden. Diesem wird es jedoch an demokratischer Legitimation mangeln, egal, für wen sich die konservative Partei entscheiden wird.
Truss hat 45 Tage im Amt hinter sich. Nach dem Chaos um ihren Vorgänger Boris Johnson hätte sie Stabilität in die Downing Street bringen müssen – und schaffte nur das Gegenteil. Nachdem ihr Finanzminister Kwasi Kwarteng Pläne für mehr neue Schulden und weniger Steuern, nicht zuletzt für Spitzenverdiener, vorgestellt hatte, brachen die Finanzmärkte ein. Dabei hatte das Vorhaben die angeschlagene britische Wirtschaft doch gerade stärken sollen.
Kehrtwende folgte auf Kehrtwende – vergeblich
Ausgerechnet die Reichen in der Krise entlasten? Das war der Anfang vom Ende für die nun scheidende Premierministerin. Die innerparteilichen Spannungen nahmen zu, die Umfragewerte der oppositionellen Labour-Partei stiegen auf die höchsten Werte seit Ende der 1990er-Jahre, als die Partei mit Tony Blair in die Downing Street Nummer 10 einzog.
Truss und Kwarteng reagierten mit einer ersten Kehrtwende, doch der Schaden war angerichtet. Auch dass die Premierministerin wenig später eine Kürzung der Staatsausgaben ausschloss, konnte nicht für Ruhe sorgen.
Dann entließ Truss nach lediglich 38 Tagen im Amt ihren Minister Kwarteng: Ein verzweifelter Versuch, sich Zeit zu erkaufen. Er scheiterte. Am Mittwoch machte mit Innenministerin Suella Braverman das nächste Regierungsmitglied den Abgang. Der Druck auf die Premierministerin war da für diese eigentlich schon kaum mehr auszuhalten.
An Peinlichkeit kaum zu überbieten
Es folgte der nächste Akt der britischen Polit-Seifenoper: Eine Fragestunde im Parlament, die für Truss an Peinlichkeit kaum zu überbieten war. Erst buhte das Unterhaus die Regierungschefin aus, dann stellten sich einige ihrer eigenen Fraktionsabgeordneten bei einer Abstimmung übers Gas-Fracking gegen Truss – obwohl sie zuvor heftig dazu gedrängt worden waren, im Sinne der Tory-Linie zu stimmen.
Truss' Eingeständnis, einen "schwierigen Tag" erlebt zu haben, konnte schließlich auch nichts mehr geraderücken. Ihr Rücktritt am Donnerstag war eine überfällige Konsequenz: Die Ämter der Premierministerin und der Parteichefin sind in Großbritannien untrennbar miteinander verbunden. Nachdem immer mehr Abgeordnete ihr öffentlich das Vertrauen entzogen hatten, fehlte Truss der Rückhalt für beides.
Dabei gilt: Für das Amt der Regierungschefin fehlte ihr tatsächlich schon zuvor die demokratische Legitimation. Schließlich musste sie sich als Nachfolgerin von Boris Johnson nur dem Votum ihrer Partei, nie jedoch dem der britischen Wähler stellen.
Truss und ihren Nachfolger eint ein Problem
Das ist ein Problem, das auch ihrem Nachfolger droht: Gehandelt werden Ex-Finanzminister Rishi Sunak, die für Parlamentsfragen zuständige Penny Mordaunt und Verteidigungsminister Ben Wallace.
Sunak und Mordaunt hatten sich zudem im Kampf um die Johnson-Nachfolge nicht gegen Truss durchsetzen können. Sie wären somit nach Johnson und Truss nur noch die dritte Wahl – das reicht für eine ernst zu nehmende Demokratie nicht.
Unter den Tories hatten sich zuletzt sogar rund ein Drittel der Parteimitglieder Boris Johnson zurückgewünscht. Eine Rückkehr des Skandalpremiers dürfte dem Ansehen der britischen Regierung allerdings den endgültigen Todesstoß versetzen.
Neuwahlen wären der einzig richtige Schritt
Es braucht jetzt also Neuwahlen – auch wenn die Tories angesichts des Umfragehochs der konkurrierenden Labour-Partei daran wenig Interesse haben. Dennoch wäre dies im Sinne der Demokratie der einzig richtige Schritt, eine krachende Niederlage wiederum die Quittung für das, was man in den vergangenen Monaten kaum als Regierungsarbeit bezeichnen konnte.
In Großbritannien bedarf es eines politischen Neuanfangs – und die Tories brauchen Zeit, sich zu sortieren und eine ernst zu nehmende Parteiführung zu finden. Vorher haben sie in der Regierung nichts mehr verloren.
- Eigene Recherche