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Debatte um russische Deserteure: Wohin mit ihnen?


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EU streitet über Reservisten
Wohin mit den russischen Deserteuren?


Aktualisiert am 23.09.2022Lesedauer: 3 Min.
Ein Soldat sucht nach Reservisten: Viele Russen wollen das Land verlassen, um nicht in der Ukraine kämpfen zu müssen.Vergrößern des Bildes
Ein Soldat sucht nach Reservisten: Viele Russen wollen das Land verlassen, um nicht in der Ukraine kämpfen zu müssen. (Quelle: IMAGO/Erik Romanenko)

Putin sucht für seinen Krieg 300.000 neue Soldaten. Einige Einberufene wollen fliehen. In der EU bahnt sich darüber ein Streit an.

Damit hatten wohl viele Russen nicht gerechnet: Hunderttausende Reservisten will die russische Armee für den Ukraine-Krieg einziehen, verkündete Präsident Wladimir Putin am Mittwoch. Darauf reagierte das russische Volk – allerdings nicht ganz im Sinne des Kreml: In zahlreichen Städten des Landes gab es spontane Proteste gegen die Maßnahme, mindestens 1.300 Personen sollen festgenommen worden sein.

Denn viele Russen, die eingezogen werden sollen, wollen sich stattdessen ins Ausland absetzen. Ein Fluchtziel ist die Türkei, wo sie visafrei einreisen können. Mindestens 40.000 Russen sollen sich schon nach Armenien abgesetzt haben, 50.000 nach Georgien. Auch in Kasachstan steigen die Einreisen aus Russland. Und in Europa?

Ampel-Minister wollen Deserteure aufnehmen

Die Bundesregierung signalisiert, Reservisten, die nicht an der Front kämpfen wollen, seien grundsätzlich willkommen. "Von schweren Repressionen bedrohte Deserteure erhalten im Regelfall internationalen Schutz in Deutschland", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Die Erteilung von Asyl sei jedoch eine Einzelfallentscheidung, in deren Rahmen auch eine Sicherheitsüberprüfung erfolge. "Wer Putins Weg hasst und liberale Demokratie liebt, ist uns in Deutschland herzlich willkommen," betonte auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf Twitter.

Doch in anderen EU-Länder wird diese Meinung nicht geteilt: Es droht ein Streit, der einem anderen ziemlich ähnlich sieht – und womöglich vorprogrammiert war. Vor drei Wochen trafen sich die EU-Außenminister in Prag, um über einen kollektiven Visa-Bann für Russen zu entscheiden. Besonders die baltischen Staaten und Finnland hatten sich dafür stark gemacht. Die Kollektivstrafe blieb aus – Wege in den Weste wurden trotzdem verkompliziert: Denn man einigte sich darauf, ein Visaabkommen zwischen der EU und Russland aufzukündigen.

Dadurch ist es seit vergangenem Montag für Russen schwieriger, eine Einreiseerlaubnis nach Europa zu erhalten. Das Visum kostet mehr Geld, die Beantragung kann Monate dauern. Die Bundesregierung hatte in den Beratungen damals betont, von einem gänzlichen Visa-Stopp würde das falsche Signal ausgehen. Dadurch würden Menschen verprellt, die den Sprung in die Freiheit erwögen.

Humanitäre Visa werden gefordert

Genau das könnte nun massenhaft eintreten. Die Aufkündigung des Abkommens mag kein kollektiver Bann sein. Im Ergebnis stellt sie aber eine Verknappung der erhältlichen Visa da. Inwiefern die zuletzt getroffenen Bestimmungen die Asylverfahren von russischen Deserteuren beeinträchtigen können, ist aktuell unklar. Eine Sprecherin des Innenministerium teilte t-online am Freitag mit, den geflüchtete Soldaten würde man "im Regelfall" Schutz gewähren. Gleiches gelte für Oppositionelle und andere gefährdete Menschen, bei denen derzeit schnelle "und unbürokratische Verfahren" angewandt werden. Dadurch wurden bisher 438 Menschen aus Russland aufgenommen. Unklar bleibt aber, inwiefern die kürzlich beschlossenen Regel auf EU-Ebene die Verfahren erschweren.

Menschenrechtsverbände wie Pro-Asyl weisen darauf hin, dass Appelle zur Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern keine Substanz haben, wenn sie keine Möglichkeit haben, europäischen Boden zu erreichen. Geschäftsführer Günter Burkhardt plädiert stattdessen für das Ausstellen humanitärer Visa an einberufene Russen, denen die Ausreise in Länder wie Georgien oder die Türkei gelungen sei. Pläne für ein solches Sonderaufnahmeprogramm gibt es bislang aber weder in Deutschland noch auf EU-Ebene.

Gegenwind aus Osteuropa

Geht es nach dem lettischen Außenminister Edgars Rinkēvičs, soll das wohl auch so bleiben. Viele Russen, die jetzt ihre Heimat verließen, seien damit "einverstanden" gewesen, das Ukrainer getötet wurden, teilte er auf Twitter mit. Protestiert hätten sie dagegen nicht. Es sei nicht richtig, sie als bewusste Verweigerer zu betrachten. Er sehe außerdem "erhebliche Sicherheitsrisiken", die von diesen Menschen ausgingen.

Ähnlich sehen es auch andere EU-Staaten: Finnlands Außenminister Pekka Haavisto kündigte nun an, man werde eine eigene Lösung finden. Sein Land wolle kein Transitland für Schengen-Visa werden, die andere Länder erteilt haben. Das nordwestliche russische Nachbarland ist von der Situation besonders betroffen, da die finnische Grenze derzeit die einzige EU-Außengrenze ist, die für Russen zumindest teilweise regulär geöffnet ist.

Trotz erkennbarer Differenzen wollen die europäischen Länder über eine gemeinsame Lösung nachdenken. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Freitag, man werde unter den Mitgliedsstaaten "gemeinsam miteinander diskutieren", damit "eine tragfähige Lösung" gefunden wird. Auch eine Sprecherin der EU-Kommission bestätigte, dass man nach einer gemeinsamen Lösung suche. Erste Antworten könnte es schon am Montag geben: Dann wollen die 27 EU-Botschafter sich mit dem Thema befassen.

Verwendete Quellen
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