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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ampel zofft ums Auto Dieser Streit reicht viel tiefer
Selbst am Tag der Abstimmung in der EU streitet die Bundesregierung noch über das Verbrenner-Aus. Das Problem der Ampelkoalition reicht tief – und ist hausgemacht.
Der Widerspruch ließ nicht lange auf sich warten – und er war deutlich. Nur wenige Stunden nachdem die grüne Umweltministerin Steffi Lemke im "Morgenmagazin" gesagt hatte, sie werde dem Verbrenner-Aus in der EU zustimmen, meldete sich ein gewisser Christian Lindner zu Wort. Er ist Finanzminister und als FDP-Chef die Stimme des liberalen Teils der Bundesregierung.
"Die heutigen Äußerungen der Umweltministerin sind überraschend, denn sie entsprechen nicht den aktuellen Verabredungen", ließ sich Lindner am Dienstag um kurz nach 10 Uhr von der Nachrichtenagentur dpa zitieren, damit seine Worte auch wirklich in allen Redaktionen Deutschlands ankommen. "Die von der FDP geführten Ministerien haben deshalb einem Abstimmungsverhalten der Bundesregierung noch nicht zugestimmt."
Das wäre schon an einem normalen Dienstagmorgen ein ziemlich bemerkenswerter Vorgang. Immerhin gehören Lindner und Lemke derselben Bundesregierung an. Einer Bundesregierung zumal, die normalerweise viel Wert legt auf ihre Friede-Freude-Eierkuchenhaftigkeit.
An diesem Dienstagmorgen aber ist es ein offener Streit, der einmal mehr die tiefen Differenzen in der Ampelkoalition aufzeigt. Denn es ist der Tag, an dem die Bundesregierung eigentlich eine einheitliche Position bräuchte, weil die Mitgliedstaaten der EU über genau dieses Verbrenner-Aus ab 2035 entscheiden wollen.
Was ist denn da los?
"Eine sehr klare Position"
Es ist eine Woche her, da kam die Debatte um die Verbrenner plötzlich wieder auf. Und zwar für viele in Berlin überraschend, dachte die Ampelkoalition doch eigentlich, sie mit dem Koalitionsvertrag zumindest befriedet zu haben. Aus der FDP war zwar Murren zu vernehmen, aber Kompromiss ist Kompromiss.
Doch auf dem Tag der Industrie vor einer Woche machte sich auch Christian Lindner die Ablehnung des Abschieds vom Verbrenner zu eigen und sagte den recht unmissverständlichen Satz: "Ich habe deshalb entschieden, dass ich in der Bundesregierung dieser europäischen Rechtsetzung nicht zustimmen werde." Die EU-Entscheidung sei leider nicht technologieoffen.
Der Widerspruch ließ nicht lange auf sich warten, mancher aus der SPD polemisierte gegen den Autofan Christian Lindner, die meisten verwiesen schlicht auf den Koalitionsvertrag. Beispielsweise Grünen-Chefin Ricarda Lang, gleich noch an diesem Montag. Im Koalitionsvertrag "haben wir aus unserer Sicht eine sehr klare Position vereinbart", sagte Lang. "Ich bin mir sicher, dass Deutschland sich im Rahmen dieses Koalitionsvertrages auch verhalten wird."
Besonders bei den Grünen sind sie wütend. Hinter vorgehaltener Hand spricht mancher am Dienstagmorgen von einem Bruch des Koalitionsvertrags, den Lindner da plane.
Wundermittel E-Fuels?
Das Problem: So klar, wie die Grünen allerorten sagen, ist die Position im Koalitionsvertrag eben nicht. Das liegt daran, dass sie schon in den Verhandlungen umstritten war – und der Konflikt wie so oft mit Formelkompromissen ummantelt wurde.
Das hat einen einfachen Grund: Bei der FDP glauben viele, dass sogenannte E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, die mittels Ökostrom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt werden, eine echte Alternative auch für normale Autos sein könnten. Besonders bei den Grünen halten das viele für teuren Unsinn und sehen darin maximal eine Option für Lkw und Flugzeuge.
Während die Grünen deshalb alles auf Elektromobilität setzen, um den Umstieg zu beschleunigen, will sich die FDP nicht festlegen und pocht auf "Technologieoffenheit", so wie Lindner nun erneut unterstreicht.
Raum für Interpretationen
Und weil der Koalitionsvertrag der Ampel so formuliert ist, wie er es ist, können sich nun beide mit gewissem Recht auf ihn berufen. Denn dort stehen auf der Suche nach einem Kompromiss folgende Sätze:
- "Gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission werden im Verkehrsbereich in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen – entsprechend früher wirkt sich dies in Deutschland aus. Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können."
Besonders der letzte Satz bietet Raum für Interpretationen. Zumal nicht klar ist, was "außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte" genau bedeuten soll. Bei den Grünen können sie mit diesem Satz argumentieren, er beziehe sich eben auf Fahrzeuge, für die die Flottengrenzwerte nicht gelten – Spezialfahrzeuge wie Feuerwehrautos etwa.
Die FDP kann das Ganze eher als Aufforderung interpretieren, sich in der EU für Technologieoffenheit bei allen Fahrzeugen einzusetzen. Auch bei normalen Autos.
Kompromiss mit Fragezeichen
Und nun? Wirtschaftsminister Robert Habeck, der mit Umweltministerin Lemke in Luxemburg für Deutschland verhandelt, zeigte sich am Montag vorsichtig optimistisch: "Europa ist ja eine lebende Kompromiss-Maschine, und an der arbeiten wir mit."
Man müsse für verschiedene "Spezial-Sichtweisen" unterschiedlicher EU-Staaten eine gute Lösung finden, sagte Habeck – und meinte damit sicherlich auch ein bisschen die "Spezial-Sichtweise" des Koalitionspartners FDP in der Bundesregierung.
Einfach wird das nicht, auch wegen der deutschen Uneinigkeit. "Wir richten uns auf einen langen Tag oder sogar eine kurze Nacht ein", sagte Umweltministerin Lemke am Dienstagmorgen. Der Kraftstoff der "Kompromiss-Maschine" EU ist nämlich: Zeit.
- Eigene Recherchen
- Mit Informationen der Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters