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Einigung auf Corona-Gipfel: Die EU hat sich erpressen lassen


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Einigung auf Corona-Gipfel
Das ist ein großes Trauerspiel

MeinungEin Kommentar von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 21.07.2020Lesedauer: 4 Min.
Kanzlerin Angela Merkel musste beim EU-Sondergipfel viele Zugeständnisse machen: Beim Thema Rechtsstaatlichkeit waren es zu viele, meint t-online.de-Redakteur Patrick Diekmann.Vergrößern des Bildes
Kanzlerin Angela Merkel musste beim EU-Sondergipfel viele Zugeständnisse machen: Beim Thema Rechtsstaatlichkeit waren es zu viele, meint t-online.de-Redakteur Patrick Diekmann. (Quelle: t-online)

Nach tagelangem Streit einigen sich die EU-Mitgliedsländer auf ein historisches Corona-Finanzpaket. Aber die EU hat sich beim Thema Rechtsstaatlichkeit erpressen lassen – und das könnte zu ihrem Ende führen.

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben beim Sondergipfel in Brüssel europäische Werte verkauft.

Das Ziel vor dem Gipfel war klar: Die EU wollte ein Instrument gegen Mitgliedsländer implementieren, die die Demokratie und den Rechtsstaat in ihren Ländern aushöhlen. Doch die Angst vor einem Scheitern des Gipfels und einer Blockade der Corona-Hilfen war groß, die Staatengemeinschaft ließ sich von Ländern wie Ungarn und Polen erpressen. Der finale Beschluss zur Rechtsstaatlichkeit am Dienstagmorgen ist weich gespült und zeigt vor allem eines: Viktor Orbán hat gewonnen.

Besonders Ungarn und Polen stehen wegen undemokratischer Methoden, Behinderung der Justiz und der Pressefreiheit massiv in der Kritik – gegen beide Länder laufen Strafverfahren. Auch unter Vermittlung von Kanzlerin Angela Merkel entstand am Montag eine Rechtsstaatlichkeitsformel, mit der beide Länder sogar um jegliche finanzielle Sanktionen herumkommen könnten. Despotische und illiberale Methoden werden also wahrscheinlich keine Konsequenzen haben – ein fatales Zeichen.

Es ist gut und wichtig, dass es im Angesicht der Corona-Krise, in Brüssel eine Einigung gab. Aber nicht nur die Einigung ist historisch, sondern auch der Preis mit der diese erkauft wurde. Die EU ist zum Geldautomaten geworden, Werte bleiben auf der Strecke.

Das Ergebnis ist eine Lachnummer

Die auf dem EU-Gipfel beschlossene Formel zur Rechtsstaatlichkeit war als Schwert geplant, wurde aber am Ende zur Wasserpistole. Folgendes wurde beschlossen:

  • Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich darauf verständigt, dass es wichtig sei, Rechtsstaatlichkeit zu zeigen.
  • Die Rechtsstaatlichkeit kann mit Geldern aus dem EU-Haushalt verknüpft werden. "Vor diesem Hintergrund" werde ein "System der Konditionalität" zum Schutz des künftigen EU-Haushalts und des Corona-Wiederaufbauplans eingeführt. Die Gelder sollen demnach gegen Bedingungen vergeben werden.
  • Die Kommission soll bei Verstößen Maßnahmen vorschlagen können, die der Ministerrat dann mit einer qualifizierten Mehrheit, heißt: 55 Prozent der EU-Länder mit 65 Prozent der Gesamtbevölkerung, beschließen soll.

Im Kampf gegen Despotie und antidemokratischen Tendenzen in Europa legt sich die EU damit selbst Steine in den Weg und setzt die Hürden für ein Strafverfahren denkbar hoch. Ungarn und Polen feiern momentan, weil eine solche Mehrheit gegen sie im Rat unwahrscheinlich ist.

Unverantwortliche Drohungen

Dabei fing das Vorhaben zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in der EU ehrgeizig an. In dem Verhandlungsvorschlag von Ratspräsident Charles Michel war noch am Montag ein härteres Vorgehen vorgesehen:

  • Staaten, die gegen Rechtsstaatlichkeit verstoßen, sollten im nächsten Haushaltszeitraum Fördermittel entzogen werden.
  • Damit sollte der EU-Haushalt, die Corona-Hilfen und allgemein die finanziellen Interessen und europäischen Werte verteidigt werden.
  • Strafmaßnahmen sollten anhand klarer und präziser Kriterien von der Kommission auf dem Weg gebracht werden.
  • Beschuldigte Staaten sollten Strafmaßnahmen im Europäischen Rat nur noch mit qualifizierter Mehrheit abwenden können.

Dagegen ist die am Ende beschlossene Formel ein Witz, ein Papiertiger, der nicht nur wahrscheinlich unwirksam sein wird, sondern auch falsche Signale sendet. Es ist keine Warnung an Despoten und autoritäre Regierungen innerhalb der EU, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten. Der Beschluss sagt vielmehr: Macht ruhig. Euch passiert nichts. Mit eurem Veto könntet ihr sonst die gesamte EU lahmlegen.

Solidarität in der Jahrhundert-Krise? Fehlanzeige

Das ist für die Staatengemeinschaft äußerst gefährlich. Natürlich leiden viele Länder unter den katastrophalen Folgen der Corona-Pandemie und sind dringend auf Hilfe angewiesen. Der Druck auf die Verhandelnden auf dem Gipfel war immens, es musste eine Einigung her.

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Trotzdem ist es erschreckend, dass Solidarität in der EU hauptsächlich an Geld gemessen wird. Es geht um kaum etwas anderes. Vier Länder nennen sich "Die sparsamen Vier", andere Staaten pochen auf Corona-Hilfen, ohne diese zurückzahlen zu wollen. Merkel schlägt noch etwas Geld für Bauern und für Ostdeutschland heraus und auch Orbán freut sich öffentlich über mehr Subventionen als erwartet. Um die finale Einigung zu erkaufen, wurden speziell kleinere Staaten bei dem Gipfel mit zusätzlichen Agrarsubventionen bestochen. Und nochmal zur Erinnerung: Es ging um ein Hilfspaket für die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.

Es geht nur um Geld

Die Solidarität, die in einem Staatenbund eigentlich selbstverständlich sein sollte, ist zur Verhandlungsmasse geworden. Eben diese Haltung, die EU als Geldtopf zu sehen, ist gefährlich und wird die EU auch künftig immer wieder in den Schwitzkasten nationaler Interessen nehmen.

Das zeigt vor allem der ungarische Ministerpräsident Orbán. In den Verhandlungen drohte er mit einem Veto, wollte das gesamte Corona-Konstrukt zum Einsturz bringen. Deutschland und Frankreich gaben nach, auf Kosten der Glaubwürdigkeit der EU. Zusätzlich soll es einen Deal mit Merkel geben, berichten ungarische Medien. In der Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft soll das Strafverfahren gegen Ungarn beendet werden. Die Bundesregierung bestätigte ein Abkommen bislang nicht.

Ein endgültiger Sieg Orbáns wäre ein weiterer Schlag für die Werte, die sich die EU gerne selbst zuschreibt. Aber schon seit Jahren ist der ungarische Ministerpräsident dabei, sein Land zu einer Scheindemokratie zu machen. Mit den EU-Mitteln kauft er sich Loyalität und finanziert Anti-EU-Kampagnen. Die EU ist machtlos gegen die Zersetzungsversuche aus dem Inneren.

Eine letzte Hoffnung

Bei der Rechtsstaatlichkeit geht es um viel mehr, als um eine gemeinsame Wertebasis. Ein gemeinsamer Werte- und Grundrechtekonsens ist nicht nur Ausdruck unserer Identität, sondern ohne diese würde die EU nicht mehr funktionieren. Die EU-Bürger brauchen das Vertrauen in ein allgemein gültiges Recht, damit ein gemeinsamer Binnenmarkt überhaupt funktionieren kann. Gibt es dieses Vertrauen nicht, weil Regierungen Einfluss auf die Judikative nehmen, könnte das am Ende zum Bruch in der Europäischen Union führen. Die rechtsstaatlichen Prinzipien sind das Fundament der EU. Doch dieses Fundament ist erschüttert.

Die beschlossene Formel zur Rechtsstaatlichkeit ist eine Luftnummer, aber es gibt zumindest eine Resthoffnung. Für viele EU-Parlamentarier waren diese Beschlüsse vor dem Gipfel unverhandelbar, dabei muss das Parlament den Gipfel-Beschlüssen erst noch zustimmen. Den Staats- und Regierungschefs steht also noch ein harter Kampf bevor. Hoffentlich.

Aber wie soll es danach weitergehen? Auch in Zukunft wird es immer wieder Streit um die rechtsstaatlichen Prinzipien geben, weil es auch unter den Mitgliedsländern ein unterschiedliches Verständnis von den gemeinsamen Werten gibt. Eine Lösung dafür nannte auch Orbán auf dem Gipfel: "Wenn jemand nicht bereit ist, die Rechtsstaatlichkeit zu akzeptieren, sollte ihn die Europäische Union rauswerfen." Nein, das war auch kein Witz.

Verwendete Quellen
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