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Pressestimmen zum EU-Gipfel: "Länder, die am meisten zahlen, sind müde"


Pressestimmen zum EU-Gipfel
"Die Länder, die am meisten zahlen, sind müde"

Von dpa, sje

Aktualisiert am 20.07.2020Lesedauer: 3 Min.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlässt am frühen Morgen den EU-Gipfel in Brüssel: "Es gibt mehr Gräben als Brücken in Europa."Vergrößern des Bildes
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlässt am frühen Morgen den EU-Gipfel in Brüssel: "Es gibt mehr Gräben als Brücken in Europa." (Quelle: Johanna Geron/dpa)
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Seit Freitag läuft der EU-Sondergipfel – schon zwei Tage länger als geplant. Es geht um die Finanzen der kommenden Jahre und Corona-Aufbauhilfen. Die europäische Presse sieht die Union in der Krise.

Seit Freitag verhandeln die EU-Staaten über den Finanzrahmen für die kommenden Jahre und die wirtschaftlichen Aufbauhilfen in der Corona-Krise. Am Montagmorgen wurde der Sondergipfel nochmals verlängert – er läuft damit schon zwei Tage länger als geplant. Die Stimmung ist gereizt, ein Kompromiss wird am Nachmittag verhandelt – sicher ist der Ausgang aber nicht.

Das schreibt die deutsche und die europäische Presse über den Gipfel:

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Selbst unter dem Eindruck der Corona-Pandemie ist es nicht weniger legitim geworden zu fragen, wer das in Rede stehende Aufbauprogramm finanzieren, wer es kontrollieren, wer die Mittel bekommen soll und für welchen Zweck. Dennoch müsste allen EU-Mitgliedern klar sein, was die weltpolitische Uhr geschlagen hat; dass es angesichts der machtpolitischen und technologischen Umbrüche mehr denn je darauf ankommt, dass ihre Union wirtschaftlich leistungsfähig ist oder wieder wird."

"Berliner Zeitung": "Während des Gipfels inszenierte sich der österreichische Kanzler als emsiger Sparer. Ganz klar, ein Mann mit Profilierungssucht. Dass er aber die Vergabe der Gelder auch noch an die Einhaltung von rechtsstaatlichen Normen knüpfen wollte und damit Polen und Ungarn düpierte, war nicht ganz unironisch. War es nicht Kurz, der 2017 mit einer rechtsnationalen FPÖ koaliert hatte, um neue Standards in Korruptionsmethoden zu setzen (Stichwort: Ibiza-Affäre)?"

"Stuttgarter Nachrichten": "Die Größe der Herausforderung, vor der die Europäische Union steht, lässt die Partner nicht automatisch zusammenrücken. Wer dachte, dass die menschlichen wie wirtschaftlichen Verluste durch die Corona-Pandemie von allein zu mehr Solidarität und Kompromissbereitschaft führen, sieht sich getäuscht. Unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen ist nun beträchtlicher politischer Schaden entstanden. Es gibt mehr Gräben als Brücken in Europa."

"Nürnberger Nachrichten": "Dieses Spitzentreffen zeigt auch, dass die Zeiten der deutsch-französischen Führungsrolle vorbei sind. So wichtig der gemeinsame Vorstoß von Paris und Berlin für zunächst 500 Milliarden Euro zugunsten der besonders von der Pandemie betroffenen Länder auch war – dass Angela Merkel und Emmanuel Macron ihr Vorpreschen nicht mit den anderen Nettozahler-Regierungen abgesprochen hatten, fiel ihnen nun auf die Füße. In der Gemeinschaft ist so ein weiteres Machtzentrum aus den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Finnland und Österreich entstanden."

"Magyar Nemzet" (Ungarn): "Da soll dann der Eindruck entstehen, dass die von der EU verteilten Entwicklungsgelder im Grunde nur deshalb existieren würden, weil der moralische und sparsame und infolgedessen reiche Staat ein gutes Herz hat und ihm die ärmeren Mitgliedsländer leid tun. Es ist nun an der Zeit einzusehen, dass Mitteleuropa nicht um ein Gnadenbrot fleht, sondern für seine eigenen Interessen eintritt. Europa wiederum kann nur dann zu einem erfolgreichen Experiment werden, wenn ein jeder von seinem hohen Ross heruntersteigt."

"La Republicca" (Italien): "Es war, als ob die Staaten, nachdem sie den Einsatz von Gemeinschaftsschulden notgedrungen akzeptiert hatten, sofort die Kontrolle über diese Schulden durch die Steuerungsregeln wiedererlangen wollten. Wenn jedoch nationale Interessen vor die Gemeinschaftsziele gestellt werden, dann wird diese Wende damit bedeutungslos und es wird keine Ruhe geben, weil der politische Riese, der sie steuern soll, wieder einmal feststellen muss, dass er auf schwachen Füßen steht."

"Hospodarske noviny" (Tschechien): "Alles in allem wird auf dem EU-Gipfel eine weit schwierigere Schachpartie gespielt als jemals zuvor. Dabei nötigt der Zustand der europäischen Wirtschaft zur Eile. Denn umso schneller die Gelder zur Verfügung stehen, desto wirksamer wird der Corona-Wiederaufbaufonds sein."

"Rossijskaja" (Russland): "Alle tragen Masken und vermeiden das traditionelle Händeschütteln – und versuchen, sich irgendwie zu einigen. Doch tatsächlich hat sich nichts inhaltlich geändert: Die Länder im Norden Europas, die die größten Beitragszahler für den EU-Haushalt sind, weigern sich wie schon bei vorherigen Gipfeltreffen, selbstlos ihren vom Coronavirus am meisten betroffenen südlichen Nachbarn wie Italien und Spanien eine helfende Hand zu reichen. Die Länder, die am meisten zahlen, sind müde von den leeren Reden über Solidarität, von den Differenzen mit den Länder in Osteuropa, von der Abwesenheit der Wirtschaftsreformen in Südeuropa."

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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