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Grüne-Politiker macht Von der Leyen Druck: "Brauchen zwei neue Vorschläge"


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Grüner Europaabgeordneter
"Wir brauchen zwei neue Vorschläge von von der Leyen"


Aktualisiert am 29.09.2019Lesedauer: 9 Min.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Ihr Team aus Kommissaren muss vor dem Europaparlament bestehen.Vergrößern des Bildes
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Ihr Team aus Kommissaren muss vor dem Europaparlament bestehen. (Quelle: Thierry Roge/Belga/imago-images-bilder)

Der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund will Korruption bekämpfen. Im Streit um die Besetzung der EU-Kommission richtet er Forderungen an die neue Kommissionspräsidentin.

Noch vor Beginn der Fachbefragungen ihrer künftigen EU-Kommissare am Montag im Europaparlament bekommt Ursula von der Leyen Probleme mit den Bewerbern aus Rumänien und Ungarn. Bei der Prüfung möglicher Interessenskonflikte verweigerten der Rechtsausschuss der Rumänin Rovana Plumb und dem Ungarn Laszlo Trocsanyi die Freigabe.

t-online.de sprach mit dem Grünen-Europaabgeordneten Daniel Freund über von der Leyens Problemfälle, über den Brexit, und warum Berlin beim Thema Transparenz von Brüssel einiges lernen kann.

Herr Freund, Lobbyismus ist eines Ihrer Schwerpunktthemen in Brüssel. Vor einigen Monaten sorgte ein Video mit Agrarministerin Julia Klöckner und dem Nestlé-Deutschland-Chef für Diskussionen. Darin lobt sie das Unternehmen dafür, dass es weniger Zucker, Salz und Fett in seine Produkte mische. Wie kam das bei Ihnen an?

Daniel Freund: Das Video, das Julia Klöckner mit Nestlé gemacht hat, geht überhaupt nicht. Dass man nach einem Lobbytreffen so ein gemeinsames Video macht und ein Unternehmen mit einer in vielen Bereichen fragwürdigen Bilanz dort so positiv darstellt und unreflektiert die Positionen des Unternehmens wiedergibt, ist schon sehr ungeschickt.

Haben wir ein Lobbyismus-Problem in Deutschland?

Wenn man die Situation in Deutschland vergleicht mit den Regeln, die in Brüssel schon gelten, dann ist Deutschland beim Thema Lobbyismus noch absolutes Entwicklungsland. Wir hängen hier weit hinter anderen europäischen Staaten zurück. In acht oder neun Ländern in Europa gibt es mittlerweile starke Lobbyregister, in der EU auch. Es wird immer mehr zur Regel, dass Politiker ihre Treffen mit Lobbyisten offenlegen müssen. Im Europäischen Parlament haben wir das gerade vor der Wahl erst beschlossen. So ist für jeden Bürger einsehbar, mit wem ich mich wozu getroffen habe.

Können Sie uns knapp erklären, was ein Lobbyregister ist?

Das ist eine große Liste mit Personen, die Lobbying betreiben. Man findet dort Informationen über deren Organisation, wie sie finanziert ist, und was genau sie eigentlich mit ihren Lobbyisten erreichen will. Im Idealfall läuft das so: Jemand spricht mich als Europaabgeordneten an, fragt nach einem Treffen, und möchte mir etwas zum Schienenverkehr oder zur Kerosinsteuer erzählen. Ich kann dann nachschauen, für welche Organisation er arbeitet, woher er sein Geld bekommt, und was die eigentlich machen. Mir könnte dabei zum Beispiel auffallen, ob sich noch andere Interessen dahinter verbergen. Und auch ich selbst kann dann offenlegen, wann ich mich mit dieser oder jener Organisation getroffen habe und worüber wir geredet haben.

In Deutschland aber gibt es das nicht.

Nein. Hier gibt es weder ein Register noch einen legislativen Fußabdruck, der erkennbar macht, wann welcher Lobbyist wo an welchem Gesetz mitgeschrieben hat, noch gibt es starke Regeln, was eigentlich gemacht werden muss, wenn Vorwürfe oder Interessenskonflikte auftreten. Dafür gibt es in den meisten Fällen noch keine Handhabe in Deutschland, und das führt zu einer Kultur, als wäre das alles in Ordnung.

Worauf führen Sie das zurück?

Die Politik in Deutschland hat sich damit noch nicht genug beschäftigt. Zwar wurde die Karenzzeit für Minister eingeführt. Hintergrund war eine Reihe von Fällen in den vergangenen Jahren, bei denen hochrangige Regierungsmitglieder ziemlich übergangslos in die freie Wirtschaft gewechselt sind. Aber ich sehe das selbst bei den Kolleginnen und Kollegen meiner Partei hier im Bundestag, dass die Meinung zu diesem Thema noch anders ist.

Was meinen Sie?

Zum Beispiel, dass Regeln für Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft nicht nur für Regierungsmitglieder gelten sollten, sondern auch für Abgeordnete. Das heißt nicht, dass man nie wechseln darf, sondern dass man diesen Wechsel so organisiert, dass dabei keine Interessenkonflikte auftreten und dass Transparenz herrscht.

Das Thema Rechtsstaat wird in der Kommission künftig von Vera Jourova aus Tschechien vertreten – eine gute Besetzung?

Ich habe bei Transparency International in den letzten fünf Jahren sehr eng mit ihr zusammengearbeitet. Unser größtes gemeinsames Projekt war die Einführung des Hinweisgeberschutzes, also eine Absicherung für so genannte Whistleblower. Es gab in den letzten Jahren mehrere große Affären, bei denen Mitarbeiter aus Unternehmen brisante Dinge ans Licht brachten. Ich erinnere an Lux Leaks oder Panama Leaks. Mit dem Hinweisgeberschutz soll verhindert werden, dass Leute wie Antoine Deltour, der dem europäischen Steuerzahler mit seinen Informationen über Steuerhinterziehung in Luxemburg Hunderte Millionen Euro zurückgebracht hat, vor Gericht gezerrt werden können. Die Regeln dafür haben wir jetzt. Nun geht es an die Umsetzung in den Mitgliedstaaten. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit Frau Jourova gut zusammenarbeiten.

Was muss denn im Bereich Transparenz besser werden?

Zum einen muss das Lobbyregister, das bisher noch freiwillig ist, endlich verpflichtend gemacht werden. Außerdem brauchen wir Karenzzeiten auch für die Europaabgeordneten. Am wichtigsten ist mir aber der Aufbau einer unabhängigen Behörde, die sich Wechsel von Abgeordneten oder Kommissaren in die Wirtschaft genau anschaut. Denn bislang kontrollieren die Institutionen sich selbst. Das hat in der Vergangenheit aber kaum funktioniert. Und es muss Sanktionen geben, die auch durchgesetzt werden.

Wenn Probleme auftreten, müssen wir in der Lage sein, vernünftig damit umzugehen. Denn jeder Skandal ist immer auch Wasser auf die Mühlen der Europaskeptiker und Populisten. Ich würde mir wünschen, dass Europa hier wirklich mit bestem Beispiel vorangeht. Denn in Sachen Transparenz und Demokratiefragen ist Europa viel weiter als die Großzahl der Mitgliedstaaten. Alle Ausschusssitzungen im Europäischen Parlament sind im Internet frei für jeden zu sehen. Im Bundestag tagen die Ausschüsse hinter verschlossenen Türen und man erfährt nicht, wie der eigene Abgeordnete dort abstimmt.

Vor Kurzem hat Ursula von der Leyen ihre Kandidaten für die neue Kommission vorgestellt. Sie und Ihre Kollegen haben sich die Liste genauer angeschaut. Ist Ihnen jemand negativ aufgefallen?

Als die Namen bekannt wurden, habe ich frühere Kollegen bei Transparency International kontaktiert und mit investigativen Journalisten etwa in Bulgarien und Rumänien gesprochen. Wir haben dann Informationen über die Kandidatinnen und Kandidaten zusammengetragen, um zu erfahren, ob es Skandale gibt, ob Ethikverstöße bekannt sind, oder ob aktuell Untersuchungen laufen. Ich würde mir wünschen, dass die nächste Kommission frei von Ethikproblemen oder Interessenskonflikten ist. Das sieht im Moment aber noch nicht so aus. Es gibt da ein paar Kandidaten und Kandidatinnen, bei denen wir Bedenken haben.

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Was sind denn die schwerwiegendsten Vorwürfe?

Die größten Probleme sehe ich beim ungarischen Kandidaten und bei der Kandidatin aus Rumänien. Mit dem ungarischen Kandidaten Laszlo Trocsanyi haben wir ja schon politisch unsere Probleme, weil er einer der Hauptarchitekten der illiberalen Demokratie in Ungarn ist. Daneben betreibt er aber noch eine Anwaltskanzlei, die ganz erhebliche Aufträge von der Regierung bekommt, und die immer wieder auch in Fällen aktiv war, in denen er als Justizminister gesetzgebend tätig war.

Haben Sie konkrete Beispiele?

Die Kanzlei vertritt Ungarn zum Beispiel im Fall des Atomreaktors Paks 2 vor dem Europäischen Gerichtshof. Es ist an sich schon ungewöhnlich, dass eine Anwaltskanzlei ein Justizministerium vor dem EuGH vertritt. Und dann ist es auch noch die Kanzlei des Justizministers, die den Auftrag über 300 Millionen Forint (rund 900.000 Euro) erhielt.

Und was ist mit der rumänischen Kandidatin?

Rovana Plumb soll den Verkauf zweier Donauinseln aus staatlichem Eigentum an den Parteichef der Sozialdemokraten vermittelt haben. Es gab ein Verfahren gegen sie, das aber eingestellt wurde, weil sich die sozialdemokratische Mehrheit im Parlament weigerte, ihre Immunität aufzuheben. Es gibt aber noch weitere Ungereimtheiten. Sie hat offiziell kein Vermögen, spendet ihr gesamtes Einkommen als Ministerin der Partei, und lebt nach ihren Angaben von der Rente ihres Mannes. Sie wohnt aber in einer 700-Quadratmeter-Villa und fährt große Geländewagen. Und auch das: Sie hat als Ministerin eine Umweltsteuer auf SUVs eingeführt. Ihren eigenen Audi Q7 meldete sie dann aber im Nachbarland Bulgarien an, um die 3.000 Euro Steuern zu umgehen, die sie selber eingeführt hat.

Was ist am Donnerstag mit den Kandidaten passiert?

Bevor die Kandidaten für die EU-Kommission in den Fachausschüssen befragt werden, gibt es eine Prüfung auf eventuell vorliegende Interessenkonflikte im Rechtsausschuss. Dem sind am vergangenen Donnerstag die Rumänin Plumb und der Ungar Trocsanyi aufgestoßen. Plumb hatte es versäumt, ihre Kredite anzugeben. Und Trocsanyi konnte nicht aufklären, ob er die Arbeit seiner Kanzlei von seinem Ministerposten sauber getrennt hat. Für beide gab es folglich kein grünes Licht – ihre Nominierung ist gestoppt. Diese Prüfung ist ein Novum in der Geschichte des Europäischen Parlaments und geht auf eine grüne Initiative zurück. Man kann hier von einem Erfolg für die europäische Demokratie sprechen.

Damit ist die Nominierung aber noch nicht endgültig ausgeschlossen, oder?

Nein, leider nicht. Trotz der Ablehnung im Rechtsausschuss sollen beide Kandidaten am Montag noch einmal gehört werden. Für mich ist der Fall aber klar: Es wurde festgestellt, dass sich die Interessenkonflikte von beiden Kandidaten nicht auflösen lassen. Beide müssen daher zurückgezogen werden. Wir brauchen zwei neue Vorschläge von von der Leyen.

Ein anderes, aktuell sehr wichtiges Thema in Brüssel ist der Brexit. Wie ist Ihr Eindruck: Wird sich bis zum EU-Gipfel am 17. Oktober noch etwas bewegen?

Ich glaube auf der europäischen Seite blinkt keiner. Ob Boris Johnson am Ende blinkt oder zurücktritt, kann im Moment wahrscheinlich keiner einschätzen außer Boris Johnson selbst. Ich verstehe auch die Debatte in Großbritannien nicht. Selbst in den sonst seriösen britischen Medien ist die inzwischen sowas von abstrus.

Wie meinen Sie das?

Das Problem ist ja so. Großbritannien sagt, wir wollen austreten, wir wollen nicht mehr Teil des Binnenmarktes sein und unsere eigenen Handelsabkommen schließen. Also muss zwischen der EU und Großbritannien irgendwo eine Grenze hin. Sie wollen die Grenze aber nicht auf die irische Insel zwischen der Republik und Nordirland legen und auch nicht in die Irische See zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs. Wo soll die denn hin? Wollen sie jetzt Irland aus der EU drängen und damit die Grenze quasi zwischen den Inseln und dem Kontinent haben? Das kann ja keine realistische Forderung sein.

Das klingt schon etwas ratlos.

In der Tat geht die ganze Debatte in Großbritannien komplett an der Realität vorbei. Sie kommt mir manchmal so vor, als würde man sich beschweren, dass die EU die Schwerkraft beibehält. Boris Johnson erzählt etwas von technologischen Möglichkeiten, und sicherlich könnte man mit bestimmten Technologien an der Grenze dafür sorgen, dass etwa LKW schneller abgefertigt werden. Aber man kann die Grenze nicht wegtechnologisieren. Es wird am Ende immer Auswirkungen geben.

Wie denken Ihre Kollegen im Parlament darüber?

Ich glaube, dass bei vielen im Parlament mittlerweile ein Gefühl eingetreten ist, dass wir dieses Thema jetzt hinter uns bringen müssen, weil es uns immer weiter Zeit kostet. Es gibt so viele andere große Fragen, wie wir etwa mit dem Rest der Welt Handel betreiben wollen, wenn es einen Handelskonflikt zwischen den USA und China gibt. Wie gehen wir mit dem Klimawandel um? Wie sorgen wir dafür, dass die Leute nicht mehr im Mittelmeer ertrinken? Das sind die drängenden Probleme. Dass die Briten sich politisch selbst zerstören, sollte uns nicht mehr täglich beschäftigen.

Macht das überhaupt noch Sinn, die Briten in der EU?

Klar hätten wir gerne, dass Großbritannien in der EU bleibt. Aber wenn ich mir die Debatte in Großbritannien ansehe, oder die aktuellen und bei einer Neuwahl zu erwartenden Mehrheitsverhältnisse anschaue, wäre es eine Riesen-Herausforderung, mit diesem Großbritannien in der EU weiterzuarbeiten. Ich denke da an den nächsten Finanzrahmen, der abzustimmen ist, oder an die verschiedenen Vorschläge von Ursula von der Leyen zur Zukunft der EU. Wollen wir zum Beispiel weg vom Einstimmigkeitsprinzip in der Außen- oder Steuerpolitik, um handlungsfähiger zu werden? Bei diesen Themen die Briten mit am Tisch zu haben, macht die Sache nicht unbedingt einfacher.

Nach der Wahl im Frühjahr ist der rechtspopulistische Block im Europaparlament wieder etwas gewachsen. Was erwarten Sie, wie sich das auf die parlamentarische Arbeit auswirken wird?

Wir haben ja im Europaparlament schon sehr lange Europaskeptiker in relativ großer Zahl. Auf nationaler Ebene geht man sogar noch deutlich länger mit solchen Parteien um. Das größte Problem, das ich sehe ist, dass die im Grunde nicht konstruktiv arbeiten und damit einfach Arbeitskraft verloren geht. Wenn 28 Prozent der Abgeordneten sich nicht konstruktiv mit Gesetzesvorhaben auseinandersetzen, sondern einfach nur Totalopposition machen und jede Möglichkeit für ihre eigenen Zwecke missbrauchen, um ihren Redebeitrag danach auf YouTube zu verwerten, macht es das Arbeiten schon ein bisschen komplizierter. Aber oft sind deren Vertreter halt einfach auch nicht da. Wo es um konkrete Arbeit geht, in den Ausschüssen, glänzen sie häufig durch Abwesenheit oder sind schlecht.


Aber sie wurden gewählt, weil viele unzufrieden mit der Politik sind.

Natürlich stehen wir vor der Aufgabe, auf nationaler oder europäischer Ebene mit den berechtigten Sorgen und Ängsten der Leute umzugehen. Und wenn man die Probleme der Leute löst, dann wird man die Populisten am Ende auch wieder los. Die EU kann helfen, dort wo es nicht läuft. Sie kann Geld investieren in strukturschwachen Regionen – wo der Bus nicht fährt, wo es keinen Halt für den Hochgeschwindigkeitszug gibt, wo der Handyempfang zu schwach ist, wo die Leute sich allein gelassen fühlen. Dort kann die EU dafür sorgen, dass es Investitionen in Infrastruktur gibt, dass es Industriepolitik gibt, dass man Unternehmen, die möglichst nachhaltig sind und bei der ökologischen Transformation helfen, dort hinbringt und sie unterstützt. Aber dazu müssen alle ihren Beitrag leisten, die EU wie die Bundespolitik wie die Landes- oder Kommunalpolitik. Das alles zusammenzubringen, ist eine der größten Herausforderungen, vor der wir stehen.

Wir bedanken uns für das Gespräch.

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