Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Austritt als Alleingang Mays größter Fehler beim Brexit
Theresa May ist weiter wild entschlossen, ihren Brexit-Deal durchzubringen. Die Chancen dafür stehen schlecht. Das ist in erster Linie ihr eigenes Verschulden. Doch eine Lösung bleibt noch.
Kurzes Durchschnaufen im Brexit-Wahnsinn. Der heutige Freitag ist doch nicht das Datum, an dem Großbritannien die EU im Chaos verlässt. Einen Tag nach der zweiten Brexit-Verlängerung bis zum 31. Oktober verabschiedeten sich die britischen Abgeordneten in eine zehntägige Osterpause. Ob es danach sachlicher und lösungsorientierter weitergeht? Unwahrscheinlich. Das Ringen um den "richtigen" Brexit ist längst ein Machtkampf. Es geht nicht mehr nur um den Austritt aus der EU, sondern auch darum, wer Nachfolger oder Nachfolgerin von May wird – und darum, wer bei den Torys das Sagen hat.
Von Beginn an verstand sich May als Einzelkämpfern
Dass die Situation so verfahren ist, ist in erster Linie Mays eigene Schuld. Nach ihrer Wahl zur Premierministerin im Juli 2016 versprach sie eine "one nation"-Regierung, eine Regierung für alle. Dieses Versprechen hat sie nie eingelöst. Von Beginn an verstand sich May als Einzelkämpfern für den Brexit. Sie handelte den Deal mit der EU aus. Sie wollte die Frau sein, die Großbritannien aus der EU führt – und dann im Glanz des Erfolgs abtreten. Widerspruch innerhalb der eigenen Partei? Zu vernachlässigen. Widerspruch von der Opposition? Lächerlich. Wachsender Widerspruch in der Bevölkerung? Unwichtig.
May dachte, sie weiß, wie man es richtig macht. Sie wurde sogar überheblich und setzte im April 2017 überraschend Neuwahlen an. Das Ergebnis war ein totales Debakel. May verlor im Parlament die Mehrheit und ist seitdem auf Stimmen der nordirischen DUP-Partei angewiesen.
May hätte ihre Strategie früher ändern müssen
Spätestens an diesem Punkt hätte May ihre Strategie ändern müssen. Anstatt zu versuchen, die konservative Partei mit allen Mitteln zusammenzuhalten und in der Folge immer wieder den Brexit-Hardlinern nachzugeben, hätte sie auf die Opposition zugehen müssen. Das Gegenteil war der Fall.
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May handelte und verhandelte weiter abgehoben und allein mit der EU. Im November 2018 stellte sie das Parlament und das Land vor vollendete Tatsachen und legte "ihren" Deal mit der EU vor. Der entwickelte sich zu einem Desaster für May. Mit ihrer Haltung "Dieser Deal oder keiner!" brachte sie alle – die eigene Partei und die Opposition – gegen sich auf.
Dreimal scheiterte Mays Abkommen bisher im Parlament. Erst nach dem dritten Fehlschlag und kurz vor Ende der ersten Brexit-Verlängerung ging May auf die Opposition zu. Zu diesem Zeitpunkt war May jedoch schon eine "lame duck" – eine Politikerin mit schwindender Macht.
Sie hatte als letzten Köder für die Brexiteers in ihrer eigenen Partei angeboten, dass sie zurücktreten werde, wenn ihr Deal erst durch sei. Auch dieses finale politische Opfer brachte ihr keine Mehrheit; dafür aber noch mehr Machtverlust. Die Torys stellten sich nicht geschlossen hinter ihre Premierministerin, sondern begannen umgehend über ihre Nachfolge zu spekulieren.
Labour ist nun Mays letzte Chance
Dann Mays furiose Kehrtwende: Gespräche mit der Opposition. Viel zu spät entscheidet sich eine geschwächte Premierministerin für diesen Schritt. Labour ist nun Mays letzte Chance. Es ist kaum denkbar, dass Jeremy Corbyn May ohne die Zustimmung zu einer Zollunion mit der EU unterstützen wird.
Erklärt sich May zu einer Zollunion bereit, kann Labour kaum noch seine Zustimmung zum Ausstiegsvertrag verweigern – ohne am Ende als Brexit-Verweigerer dazustehen. Das Dilemma für die Opposition: Labour würde so May zu einem Erfolg verhelfen, den ihr niemand in der Partei gönnt.
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Am Ende bekommt May so vielleicht ihre Mehrheit. Es wäre dann aber nicht mehr "ihr Deal". Und die Torys könnten im Anschluss vor der Spaltung stehen. Sicher nicht das Vermächtnis, das May sich erträumt hat.