Manfred Weber im Porträt Dieser Niederbayer will an die Spitze der EU
Hunderte begeisterte Delegierte der EVP schicken einen Ingenieur aus Niederbayern ins Rennen um das mächtigste Amt der EU. Wie hat Manfred Weber das geschafft?
Manfred Weber galt in Brüssel lange als eher leiser Taktiker, bisweilen wurde er belächelt als ein bisschen zu nett, langweilig, provinziell. Ein Niederbayer vom Dorf mit etwas holprigem Englisch und ohne große politische Vision. Doch nun dreht Weber den Spieß um. Zuhause in einer kleinen Welt statt auf großer Bühne? Ja, genau, sagt der Mann, der einmal als EU-Kommissionspräsident Politik für die gut 500 Millionen Europäer machen will.
"Viele Leute sehen die Europäische Union heute vor allem als Projekt der Hochqualifizierten, für jene, die mehrere Sprachen sprechen, die ein paar Jahre in London leben, dann in Brüssel und Madrid – die Eliten", ruft Weber am Donnerstag ins Rund der riesigen Messehalle von Helsinki. "Dieses Europa von heute muss ein Europa der Bürger werden."
Europa der kleinen Leute
Heimat, Europa – ein Europa der kleinen Leute: Weber hat sein Thema gefunden. Seine Europäische Volkspartei begeistert er auf dem Parteitag in Helsinki jedenfalls damit für sich. Am Ende wählen die Delegierten den 46 Jahre alten Niederbayern mit knapp 80 Prozent zum Spitzenkandidaten für die Europawahl 2019 und für das mächtige Amt des EU-Kommissionspräsidenten in Brüssel. Der ehemalige finnische Premier Alexander Stubb, der genau das Gegenteil ist – ein vielsprachiger Tausendsassa – unterliegt mit nur 20 Prozent.
So viel Geschick und Überzeugungskraft ringt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel Bewunderung ab, die Weber bei seinem Streben ins Amt des Kommissionschefs bisher eher lauwarm unterstützt hat. "Manfred Weber hat hier in einer wunderbaren Rede die Brücke geschlagen zwischen der eigenen Heimat und der europäischen Aufgabe", sagt die scheidende CDU-Vorsitzende, die in Helsinki von ihren EVP-Kollegen noch einmal gefeiert wird. Das sei auch ein guter Tag für CDU und CSU, denn "wir hatten lange keinen Kandidaten für den Vorsitz der Europäischen Kommission".
Gute Chancen auf Chefposten – aber kein Automatismus
Die Journalisten, denen Merkel ihren Glückwunsch für Manfred Weber vorträgt, vermerken sofort diese feine Nuance. Denn die Lage ist so: Weber ist zwar nun mit großer Rückendeckung Spitzenkandidat der EVP, die nach derzeitigen Prognosen wohl nächstes Jahr wieder stärkste Kraft im EU-Parlament wird. Aus Sicht des Europaparlaments wäre er dann logischer Kandidat für die Spitze der EU-Kommission, jener mächtigen Behörde, die Gesetze vorschlägt, Verträge aushandelt und über die Einhaltung von EU-Recht wacht.
Merkel und die übrigen EU-Staats- und Regierungschefs beharren indes darauf, dass es keinen Automatismus gibt und dass sie nach der Wahl auch jemand anderen nominieren könnten. Ein institutionelles Gerangel, das nun schon eine ganze Weile geht und in dem sich Weber letztlich beweisen muss.
Auch hier kommt er auf sein Thema des Europa der kleinen Leute – die Demokratisierung der Europäischen Union, wie er es nennt. Wäre die EVP eine nationale Partei und er gerade zum Kanzlerkandidaten bestimmt worden – wer würde jetzt fragen, ob nach einem Wahlsieg jemand anderer ins Kanzleramt einzieht, fragt er am Ende des Parteitags rhetorisch. "Wenn das Volk entscheidet, wenn das Ergebnis positiv ist, dann kann niemand im Europäischen Rat sagen: Das ist mir egal."
Seit 2004 im Europaparlament
Europäische Politik als ganz normaler demokratischer Vorgang, weg von den freihändigen Entscheidungen im Hinterzimmer, weg von der angeblichen Macht der EU-Bürokraten – das predigt Weber schon seit Jahren. Nach einer kurzen Episode im Bayerischen Landtag sitzt er seit 2004 im Europaparlament, seit 2014 leitet er die EVP-Fraktion. Daneben machte der verheiratete Katholik in der CSU Karriere, auch wenn er weitab von München oft europafreundlicher und liberaler klang als andere in seiner Partei.
Erst war Weber, der einst physikalische Technik an der Fachhochschule München studierte und als Ingenieur zwei Firmen gründete, Chef der Jungen Union. Dann bekam er das mächtige Amt als Bezirksvorsitzender in Niederbayern, seit 2015 ist er Parteivize. Im großen Tumult seiner Partei wurde der Europapolitiker zuletzt immer wieder genannt als möglicher Nachfolger von CSU-Chef Horst Seehofer.
Noch Ambitionen in Reserve
Als Weber am Donnerstag in Helsinki danach gefragt wird, lässt er die Frage erstmal abtropfen. Der derzeitige Parteivorsitzende sei ja noch bis 2019 gewählt, man müsse erstmal den fragen, ob er einen Wechsel wünsche. Nach einer klaren Absage klingt das nicht.
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Und so hat Weber, der die Konkurrenz schon auf europäischer Ebene auskonterte, womöglich noch mehr Ambition in Reserve. Als er in Helsinki zu den Rockgitarren von Queens "Vision" minutenlang von den Delegierten gefeiert und beklatscht wird, genießt der angebliche Provinzler die große Bühne jedenfalls doch sichtlich.
- Nachrichtenagentur dpa