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Ertrunkene Flüchtlinge: Die Mittelmeer-Route wird tödlicher


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Auf dem Weg nach Europa
Das Mittelmeer wird immer tödlicher


Aktualisiert am 09.07.2018Lesedauer: 4 Min.
Flüchtlinge während einer Rettungsmission im Mittelmeer: Die Überfahrten werden eher riskanter als sicherer.Vergrößern des Bildes
Flüchtlinge während einer Rettungsmission im Mittelmeer: Die Überfahrten werden eher riskanter als sicherer. (Quelle: Yara Nardi/Italian Red Cross press office/reuters)
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Jede Woche ertrinken Flüchtlinge im Mittelmeer. Aktuelle Daten zeigen, dass das Risiko seit Jahren steigt – während europäische Staaten zunehmend Seenotretter an ihrer Arbeit hindern.

Fast einen Monat stritten CDU und CSU darüber, wie man mit den Flüchtlingen umgehen solle, die in Europa ankommen. Währenddessen ertranken weiter Fliehende im Mittelmeer. Jetzt sammelt der Entertainer Klaas Heufer-Umlauf Geld für eine Seenotrettungsmission, unterstützt von Moderator Jan Böhmermann.

Wie dramatisch ist die Lage?

Blickt man auf die verfügbaren Zahlen, dann zeigt sich: ziemlich dramatisch. Die Überfahrt übers Mittelmeer wird für Flüchtlinge tendenziell gefährlicher. Immer weniger von ihnen kommen durch. Und vielleicht war es noch nie so schlimm wie gerade.

Mindestens 1.412 Tote oder Verschwundene dieses Jahr

Allein im Juni sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migranten (IOM) 629 Menschen im Mittelmeer ertrunken, die auf dem Weg nach Europa waren. In der ersten Juli-Woche starben schon 120 Menschen. Insgesamt starben seit Jahresbeginn: mindestens 1.412 Menschen.

Die IOM trägt für ihre Übersicht Daten aus verschiedenen Quellen zusammen; Daten der Innenministerien, der Küstenwachen und der eigenen Büros. Die Berichte können nicht vollständig sein, manche Flüchtlinge kommen unentdeckt an; andere Boote sinken, ohne dass jemand davon erfährt. Die Daten sind also nicht vollständig. Sie sind aber Mindestangaben. Wahrscheinlich sterben noch mehr.

Und mit Vorsicht gelesen, zeigen sie größere Entwicklungen. Nur auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass die Situation sich bessert. Im Jahr 2017 starben auf dem Mittelmeer: 2.409 Menschen. Im Jahr 2016 waren es: 3.172.

Überfahrten werden eher gefährlicher

Das ganze Bild ergibt sich aber erst, wenn man die Toten ins Verhältnis zu denen setzt, die aufbrechen. Damit erfährt man, wie riskant eine Überfahrt zu einem bestimmten Zeitpunkt ist.

Im Oktober 2015 beispielsweise starben 433 Menschen – aber es erreichten auch 226.852 Menschen Europa. Es starb einer von gut 550 Flüchtlingen, die sich auf den Weg machten. Grundlage sind Zahlen des IOM, die aber von denen des UNHCR nicht stark abweichen.

Über das gesamte Jahr 2015 starb demnach etwa einer von 300 Flüchtlingen auf dem Mittelmeer. Seitdem verschiebt sich das Verhältnis. Wenn man auf ganze Jahre blickt. Stetig und eindeutig.

  • Im Jahr 2016 starb einer von 77 Flüchtlingen.
  • Im Jahr 2017 starb einer von 69 Flüchtlingen, im ersten Halbjahr 2017 starb einer von 57.
  • Im Jahr 2018 starb bisher einer von 52 Flüchtlingen.

Es wird also immer gefährlicher.

Nicht über alle Jahre sind die Daten voll vergleichbar. Aber erst seit dem Jahr 2017 erfasst das IOM diejenigen, die von der libyschen Küstenwache abgefangen werden; erst seit 2018 auch die, die von der tunesischen Küstenwache aufgegriffen und an Land gebracht werden. Das heißt: In den Jahren vorher haben eher mehr Flüchtlinge überlebt, als die IOM-Daten zeigen.

Es liegt wohl nicht am Wetter

Schlechtes Wetter scheidet als Grund für die steigenden Zahlen nach Angaben des UNHCR aus. Eine Rolle spielt wohl, dass Schlepper die Seenotrettung einkalkulieren und marodere Boote, weniger Treibstoff, mehr Menschen auf immer weniger Raum losschicken und damit Schiffbruch wahrscheinlicher machen. Das sagen das UNHCR und Helfer selbst.

Dass Rettungsmissionen auch der Grund seien, dass sich mehr Menschen aufs Meer wagten, wie Kritiker meinen, bestreiten Seenotretter allerdings. Eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Oxford, die im Frühjahr 2017 veröffentlicht wurde und die Jahre 2010 bis 2016 untersucht, gibt ihnen Recht. Demnach gibt es keinen Pull-Effekt der Seenotrettung – aber es ertrinken weniger Flüchtlinge, wenn mehr Schiffe zu ihrer Rettung unterwegs sind.

Kriminalisierung der Seenotretter

Wenn sie aber nicht unterwegs sind, obwohl die Schlepper untaugliche Boote bereitstellen, kann es bedrohlich werden. Derzeit erschweren Italien, aber auch andere EU-Staaten den Seenotrettern die Arbeit. Sie lassen Boote keine Häfen ansteuern, wie die "Aquarius" der Organisation "SOS Méditerranée" Anfang Juni, die erst nach langer Suche Valencia anfahren durfte. Zur selben Zeit durfte auch die USNS Trenton, ein US-Militärschiff, das vor der libyschen Küste 40 schiffbrüchige Flüchtlinge gerettet hatte, sie tagelang nirgends in Sicherheit bringen. Das Schiff "Lifeline" der "Mission Lifeline" durfte erst nach Tagen nach Valletta auf Malta fahren.

Und sie erschweren die Arbeit nicht nur, sie kriminalisieren die Seenotretter sogar. Italiens rechtsextremer Innenminister Matteo Salvini von der Lega bezeichnet sie ohnehin nur als "Vize-Schlepper". Bereits im vergangenen Sommer wurden die Aktivisten der deutschen Gruppe "Jugend rettet" ins Visier genommen, weil sie mit Schleppern zusammengearbeitet haben sollen. Im April erklärte das zuständige höchste Gericht die Beschlagnahmung des Schiffs für zulässig. Der Kapitän der "Lifeline" wurde nach dem Anlegen in Valetta festgesetzt – angeblich, weil das Boot nicht ordnungsgemäß registriert wurde.

Helfer denken nach, Flüchtlinge wählen andere Wege

"Das führt dazu, dass sich die Besatzung von Booten fragt, ob sie wirklich eingreifen soll, wenn sie dann nicht weiß, wo sie hinfahren darf", sagt ein Sprecher des UNHCR. Vor allem Frachter würden so abgeschreckt. Deshalb brauche es klare Zuständigkeiten. Wer Leben rettet, dürfe sich keine Sorgen machen müssen, was dann mit ihm geschehe.

Zudem könnte es sein, dass Flüchtlinge sich weiter verteilen und andere Routen versuchen.

Im vergangenen Jahr brach etwa jeder zehnte Flüchtling über die sogenannte Westroute auf, die von Marokko und Tunesien nach Spanien führt; in diesem Jahr ist es bisher jeder dritte. Im Juni und Juli gar jeder zweite. Die Ostroute von der Türkei nach Griechenland verliert zunehmend an Bedeutung.

Dabei ist die Westroute besonders gefährlich. Auch die zentrale Route, die von Libyen nach Malta oder Italien führt, ist riskanter als die im Osten.

  • Auf der westlichen Route starb 2017 noch einer von 47 Flüchtlingen; 2018 bislang schon einer von 27.
  • Auf der zentralen Route starb 2017 einer von 100, in diesem Jahr bislang einer von 62.

Dass Überfahrten übers Mittelmeer derzeit noch gefährlicher sind als in früheren Jahren, liegt also auch daran, dass sich die Routen verschoben haben.

Verwendete Quellen
  • Daten des IOM
  • Daten des UNHCR
  • Bericht des UNHCR
  • Eigene Berechnungen
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