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Visa für Russen in EU: "Scholz kann Diskussion nicht vom Tisch wischen"


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Visaverbote für Russen?
Schon wieder macht Scholz sich unbeliebt


17.08.2022Lesedauer: 5 Min.
Olaf Scholz (SPD): Der Bundeskanzler spricht sich gegen ein Visa-Verbot für russische Staatsbürger aus.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz (SPD): Der Bundeskanzler spricht sich gegen ein Visaverbot für russische Staatsbürger aus. (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini)
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Derzeit wird über ein Verbot von Reisevisa für Russen diskutiert. Kanzler Scholz ist dagegen. Vor allem in Osteuropa ist die Verärgerung darüber groß.

Nein, die Forderungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wollte sich Olaf Scholz nicht zu eigen machen. Er tue sich "mit diesem Gedanken sehr schwer", sagte der Bundeskanzler auf seiner Sommerpressekonferenz in Berlin. Gemeint war die Forderung, allen Russen die Einreise in den Westen zu verweigern. Denn es sei der Krieg des russischen Präsidenten und nicht der des gesamten russischen Volkes.

"Die wichtigste Sanktion ist die Schließung der Grenzen – denn die Russen nehmen jemand anderem das Land weg", sagte Selenskyj der "Washington Post". In Europa wird die Maßnahme bereits hitzig diskutiert. Auf dem Treffen der EU-Außenminister in Prag könnte Ende August eine gemeinsame Position erarbeitet werden. Doch welche Haltung haben die Länder? Und ist ein EU-weites Reiseverbot überhaupt möglich? Ein Überblick.

Welche Länder setzen sich für einen Visa-Stopp ein?

Vor allem in Ost- und Nordeuropa wird Selenskyjs Position geteilt. Ab dem morgigen Donnerstag ist es Russen nicht mehr erlaubt, mit einem bereits erteilten Schengen-Visum nach Estland einzureisen. "Ich bin nicht einverstanden mit einem Ansatz, bei dem wir die sogenannten einfachen russischen Bürger nehmen und sie von Putin unterscheiden. Der Krieg wird von der Russischen Föderation als Staat geführt", erklärte Außenminister Urmas Reinsalu dem estnischen Sender ERR.

Reinsalu machte auch deutlich, dass er sich gemeinsam mit anderen Staaten dafür einsetzen werde, auch Deutschland zu überzeugen: Es sei "moralisch völlig inakzeptabel", dass russische Bürger weiter Urlaub in der EU machten, während in der Ukraine Kinder von Raketen in Stücke gerissen werden.

Allerdings gibt es in dem baltischen Staat auch Ausnahmen, etwa für Russen mit langfristiger Aufenthaltsgenehmigung, um Verwandte zu besuchen oder für Diplomaten. Strenger geht Lettland vor: Dort werden nur noch Anträge von Russen angenommen, die an einer Beerdigung eines nahen Verwandten teilnehmen möchten.

Finnland hat dagegen angekündigt, die Visavergabe durch einen anderen Weg einzuschränken: Ab September sollen weniger Termine für Einreisegenehmigungen ausgegeben werden, teilte Außenminister Pekka Haavisto mit. Dadurch sollen die Anträge aus dem Nachbarland um insgesamt 90 Prozent reduziert werden. "Es soll also Lösungen für diejenigen geben, die einen Grund haben, nach Finnland zu kommen, aber das gewöhnliche Touristenvisum soll schwieriger zu bekommen sein", so der Außenminister.

Dass zwei russische Nachbarstaaten jetzt ihre Bestimmungen verschärfen, hat auch mit den bereits geltenden Sanktionen zu tun: Für russische Flugzeuge und Züge ist der gesamte EU-Raum längst gesperrt. Mit einem Schengen-Visum, das kurzzeitige Reisen zwischen 90 und 180 Tagen ermöglicht, ist die Einreise auf dem Landweg aber weiter möglich.

Hinzu kommt: Wer mit dem Visum in den Schengen-Raum gelangt, kann sich dort ohne Beschränkung frei bewegen. Russische Touristen können also theoretisch mit dem Auto nach Finnland fahren und anschließend von dort in andere EU-Staaten fliegen – unabhängig davon, wie streng die dortige Visavergabe für sie ausfallen würde.

Auch andere Länder haben bereits ihre Visavergabe verschärft: In Tschechien werden seit Kriegsbeginn generell keine Visa mehr an Russen ausgestellt. Das Land, das aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat, wirbt auch für ein generelles Verbot im gesamten EU-Raum. Einen entsprechenden Vorschlag werde man Ende August auf dem EU-Außenministertreffen besprechen, teilte Außenminister Jan Lipavský mit. Auch Dänemark wirbt für diese Regelung.

Polen arbeitet nach dem Vorbild der baltischen Staaten ebenfalls an einer Beschränkung. Eine Entscheidung soll noch in dieser Woche fallen.

Rechtlich sind Verschärfungen von Einzelstaaten zwar grundsätzlich möglich, erklärt der Politikwissenschaftler Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Die Nationalstaaten haben durchaus einen Ermessensspielraum, der eine Visavergabe fast unmöglich macht. Aber es handelt sich um eine rechtliche Grauzone", sagte Bossong t-online.

Grundsätzlich seien Kurzzeitvisa nämlich rechtlich durch die EU geregelt, während längerfristige Aufenthaltsgenehmigungen in den Kompetenzen der Einzelstaaten liegen. Klagen gegen die Vorhaben halte Bossong allerdings für unwahrscheinlich.

Wie könnte eine europaweite Lösung aussehen?

Eine generelles Visaverbot für russische Staatsbürger scheint aus rechtlichen Gründen nicht durchsetzbar, da jeder Antrag einzeln geprüft werden müsse. Das war in der vergangenen Woche aus der EU-Kommission zu hören. Grundsätzlich sei es aber möglich, Anträge abzulehnen, etwa wenn eine Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die internationalen Beziehungen darstelle.

Auch Raphael Bossong sieht aktuell keine Möglichkeit, ein generelles Verbot zu verhängen: "Es gibt bisher kein rechtliches Instrument, um Bürger eines Staates komplett aus dem Schengen-Raum rauszuhalten." Allerdings bestehe trotzdem Spielraum für Verschärfungen. Bossong verweist etwa auf ein Erleichterungsverfahren für Visa, das die EU 2007 mit Russland vereinbart hatte. Seit dem Krieg in der Ukraine wurde dieses für kremlnahe Personen ausgesetzt. Bossong hält es für denkbar, dass die Erleichterungen bald für alle russischen Staatsbürger entfallen könnten.

Hinzu komme, dass die Länder auch die bisher geltenden Maßnahmen in Zukunft noch konsequenter anwenden könnten. "Man könnte die Regeln künftig auch strenger auslegen, etwa bei der Frage, ob ein russischer Tourist seine Reise überhaupt bezahlen kann." Da viele Russen aufgrund von Sanktionen keinen Zugriff mehr auf Konten oder Kreditkarten haben, sei dies eine Möglichkeit, um die Einreise zu verweigern.

Wird Deutschland seine Position aufrechterhalten können?

Der Druck aus vielen EU-Staaten scheint groß. Der Bundeskanzler hat aber zuletzt häufiger bewiesen, dass er sich davon nur wenig beeindrucken lässt. Da ein generelles Visaverbot kaum umsetzbar scheint, könnten sich beide Positionen noch annähern. Scholz hatte seine Ablehnung auch dadurch begründet, dass er russischen Bürgern, die gegen den Krieg seien, nicht die Perspektive in die EU versperren wolle.

Experte Bossong wertet das als schwaches Argument: "Olaf Scholz kann die Diskussion nicht so einfach vom Tisch wischen." Kriegsgegner könnten bei ihrem Visaantrag angeben, dass sie von einer westlichen Organisation eingeladen wurden oder dass sie Verwandte besuchen wollen. Beides würde trotz verschärften Bestimmungen die Wahrscheinlichkeit auf eine Einreise erhöhen. Daran sollten auch die baltischen Staaten ein Interesse haben, glaubt der Experte. Zudem müsse es Deutschland darum gehen, mit den anderen Staaten weiter ein gutes Verhältnis zu wahren. "Deutschland hat schon Vertrauen in Osteuropa verspielt. Sich dieser Diskussion komplett zu verweigern, wäre nicht hilfreich."

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Welchen Nutzen hätten die Visabeschränkungen?

Auf dem Papier klingt der Vorschlag zunächst wie eine starke Maßnahme. Für Raphael Bossong hätte eine Verschärfung allerdings eher einen symbolischen Wert: "Wenn die Russen Urlaub machen wollen, können sie immer noch in andere Länder wie Ägypten oder die Türkei reisen."

Außerdem betreffe die Vergabe viele Russen nicht: Bossong verweist etwa auf die sogenannten "goldenen Pässe", die Zypern, Bulgarien oder Malta in der Vergangenheit ausgestellt haben. In den Staaten war es zeitweise möglich, die Staatsangehörigkeit zu erlangen, wenn Personen in dem Land große Investitionen getätigt hatten. Das wurde auch von wohlhabenden Russen genutzt.

Trotzdem hält es der Experte für sinnvoll, über weitere Verschärfungen zu diskutieren. Er erwarte im Gegensatz zum ukrainischen Präsidenten Selenskyj allerdings keine starke Wirkung: "Man sollte sich auf eine Verschärfung der Bestimmungen einlassen. Aber das ist garantiert nicht der Hebel, um das Regime ins Wanken zu bringen."

Wie reagiert Russland auf die Drohungen?

Aus dem Kreml war zunächst heftige Kritik zu hören: "Äußerst negativ" habe man den Vorstoß von Selenskyj aufgenommen, hieß es von Sprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge: "Die Irrationalität des Gedankengangs übersteigt jedes Maß", kritisierte er.

Russlands ehemaliger Präsident Dmitri Medwedew, der seit Beginn des Krieges immer wieder durch derbe Kritik auffällt, ging noch einen Schritt weiter. Auf Twitter bezeichnete er Selenskyj nach seinem Vorschlag als "Chef-Clown" und verglich ihn mit Adolf Hitler: Der sei der Letzte gewesen, der solche Ideen auf ein ganzes Volk anwenden wollte.

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