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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vulkan brodelt unter Millionenstadt Wann explodiert der "Schnellkochtopf"?
Rund um die Phlegräischen Felder in der Region Neapel bebt die Erde stark wie lange nicht. Ein möglicher Vorbote eines Vulkanausbruchs? t-online hat nachgefragt.
Erdbeben, spektakuläre Dampfsäulen und eine Erhebung des Bodens: Unter der Erde im Süden Italiens rumort es. In den Phlegräischen Feldern, auch als Campi Flegrei bekannt, befinden sich rund 40 Vulkane. Einige Experten bezeichnen das Gebiet sogar als "Supervulkan".
Die Region wurde zuletzt von mehreren Erdbeben erschüttert. Das ließ die Angst vor einem möglichen Ausbruch größer werden. Vor rund 500 Jahren waren die Campi Flegrei zum letzten Mal ausgebrochen. Auch auf der italienischen Insel Sizilien spuckt der Vulkan Ätna aktuell Lava, hier lesen Sie mehr dazu. Zudem musste in Island eine Stadt wegen eines drohenden Vulkanausbruchs in der Nacht zu Samstag evakuiert werden. t-online berichtete.
Wie wahrscheinlich ist eine Katastrophe im Süden von Italien? Wie viele Menschen sind betroffen und wie reagiert die italienische Regierung? t-online hat die drängendsten Fragen zusammengefasst.
Was sind die Campi Flegrei?
Die Campi Flegrei umfassen ein etwa 150 Quadratkilometer großes Areal am Golf von Neapel. In dem Gebiet befinden sich rund 40 Vulkane. Erst auf Satellitenbildern werden ihre zahlreichen Krater deutlich und lassen vermuten, dass es unter der Oberfläche brodelt.
Häufig werden die Campi Flegrei als Supervulkan bezeichnet. "Wenn ein Vulkan in der Vergangenheit über 1.000 Kubikkilometer Gestein und anderes Material bei einem Ausbruch gespuckt hat, sprechen wir von einem Supervulkan. Auch wenn die Campi Flegrei sehr große Eruptionen hatten, ein Supervulkan ist das nach dieser Definition nicht", sagte Thomas Walter, Vulkanologe am Helmholtz-Zentrum Potsdam, t-online.
Zum Vergleich: Der Vesuv spuckte etwa 4 Kubikkilometer Gestein und Lava, als er alles Leben in Pompeji und Herculaneum beendete. Als die Campi Flegrei vor rund 39.400 Jahren ausbrachen, wurden etwa 350 Kubikkilometer Material in die Luft geschleudert.
Wie will Italien im Fall des Ausbruchs handeln?
Die Campi Flagrei befinden sich in einem dicht besiedelten Gebiet. Sie liegen in nächster Nähe zur Großstadt Neapel. Für den Fall eines Ausbruchs haben die italienischen Behörden zwei Evakuierungszonen festgelegt.
In der roten Zone wird die Bevölkerung bereits vor dem Ausbruch evakuiert. Im zweiten Bereich, dem gelben, wird die Evakuierung je nach Ausbruchsgeschehen angeordnet, wie es von der nationalen Zivilschutzbehörde Italiens, der Protezione Civile, heißt. In der roten Zone befinden sich Gemeinden und Stadtteile von Neapel – rund 750.000 Menschen leben dort.
Ausgereift sind die Überlegungen aber noch nicht. "Rund um den Vesuv hat man sich viele Gedanken zum Schutz der Bevölkerung gemacht – bei den Campi Flegrei steht man hier erst am Anfang. Jedoch sind hier deutliche Fortschritte zu sehen", sagt Walter. Der Vesuv ist einer der gefährlichsten Vulkane der Welt und liegt rund 30 Kilometer von den Campi Flegrei entfernt. Im Jahr 79 begrub er die Städte Pompeji und Herculaneum unter einer dicken Schicht aus Asche und Gestein.
Experte Walter betont, es sei generell möglich, Siedlungen in der Nähe von Vulkanen so zu bauen, dass sie im Falle eines Ausbruchs vor Lavaströmen sicher seien oder diese sogar ausbremsten. Dafür brauche es allerdings Erfahrungswerte von früheren Ausbrüchen, auf Grundlage derer beispielsweise die wahrscheinlichen Wege der Lavaströme vorhergesagt werden können. Für die Campi Flegrei fehlen diese Werte. Der letzte Ausbruch liegt bereits 500 Jahre zurück, Messdaten oder Aufzeichnungen gibt es nicht.
Die italienische Regierung reagierte bereits: Vor dem Hintergrund der starken Erdbeben hat sie im Oktober ein Gesetzesdekret auf den Weg gebracht. Dieses sieht mehr als 52 Millionen Euro für den Katastrophenschutz in der Region vor. Bis zum 11. Dezember soll zudem ein neues Evakuierungskonzept ausgearbeitet werden. Eine Anfrage zu den Evakuierungsplänen und der Situation vor Ort, die t-online an die beteiligte Gemeinde Pozzuoli stellte, wartet auf Beantwortung.
Wie aktiv sind die Campi Flegrei momentan?
Die Gefahr in der Region um die Campi Flegrei wird in einem vierstufigen Ampelsystem angegeben. Seit 2012 wurde diese auf die zweite Stufe (gelb) erhöht. Sie besagt, dass die Aktivität zwar erhöht ist, ein Ausbruch aber nicht unmittelbar bevorsteht. Die Gefahrenprognose des Vulkangebietes wird auf Grundlage von äußerlich messbaren Faktoren, wie Erdbeben oder Temperaturen, erstellt.
Aufgrund der vulkanischen Aktivitäten hob sich der Erdboden in der Region seit 2006 um rund einen Meter an. Zudem bebt die Erde in dem Gebiet regelmäßig. Im Spätsommer und Herbst wurden Beben der Stärke vier und darüber gemessen. "Die Magnitude der letzten Erdbeben in den Campi Flegrei ist sehr ungewöhnlich. Es sind die stärksten Beben der letzten Jahrzehnte", sagte Walter. Magnitude ist die Messgröße, in der die Stärke von Erdbeben angegeben wird.
Ausgelöst werden die Beben von unterirdischen Bewegungen. Ob diese auf flüssiges Magma zurückzuführen sind, ist derzeit noch nicht erwiesen. Durch die unterirdischen Spannungen entstehen Risse – desto stärker das Beben, desto größer die Risse. Die Risse könnten als Weg in Richtung Erdoberfläche einen Ausbruch begünstigen. Walter: "Das ist für Vulkane allerdings nichts Ungewöhnliches."
Welche Gefahren gehen von den Campi Flegrei aus?
Das gefährlichste Szenario der Campi Flegrei: In drei Kilometern Tiefe sammelt sich tatsächlich Magma und die glühende zähflüssige Masse bahnt sich ihren Weg an die Oberfläche – der Vulkan bricht aus.
So könnte ein Vulkanausbruch der Campi Flegrei aussehen:
- Es bildet sich eine Säule aus Gas, glühenden Lavafetzen und Asche – mehrere Dutzend Kilometer hoch.
- Im Umkreis des Ausbruchsschlots würde es Lava und Gestein regnen – Asche und kleinere Steine könnten im Umkreis von mehreren Dutzend Kilometern niederregnen.
- Pyroklastische Ströme könnten entstehen: Das sind Lawinen aus Gas, Asche und Vulkanfragmenten mit hoher Temperatur und Geschwindigkeit – sie können kilometerweit fließen.
- Es könnte zu kleineren Explosionen in der gesamten Region der Campi Flegrei kommen.
- Es könnten sich Schlammströme aus Vulkanasche und Wasser bilden. Auch lange nach dem Ausbruch könnten diese noch bestehen.
Ein weiteres denkbares Szenario: Unter der Erde sammelt sich kein Magma, sondern andere Flüssigkeiten – es kommt zur Dampfexplosion. "Das Gebiet wäre dann wie ein unterirdischer Schnellkochtopf, der unter immensem Druck steht", sagt Walter. Die Risse im Gestein könnten dann den Effekt einer kaputten Dichtung haben und für ein schnelles Entweichen des heißen Dampfes sorgen – eine immense Explosion wäre die Folge. Diese wäre zwar weit weniger verheerend als ein klassischer Ausbruch, eine Gefahr wäre sie trotzdem, so der Experte.
Wie wahrscheinlich ist eine Katastrophe in den Campi Flegrei?
Bisher ging man bereits zwei Mal davon aus, dass eine Katastrophe kurz bevorstehen könnte. Zwischen 1982 und 1984 kam es zu Evakuierungen im Bereich der Campi Flegrei. Damals hob sich der Erdboden innerhalb weniger Wochen um knapp zwei Meter. "Die Situation ist definitiv nicht mit der heutigen vergleichbar", so die Einschätzung von Walter. Mehr zu einer früheren Einschätzung der Campi Flegrei lesen Sie hier.
Die fehlenden Vergleichsdaten erschweren eine genaue Vorhersage allerdings immens, auch Beobachtungen von anderen Vulkanen helfen nur bedingt. "Jeder Vulkan reagiert anders", sagt Walter. "Bei einigen Vulkanen sind Erdbeben die Vorboten eines Ausbruchs – aber eben nicht bei allen." In anderen Gebieten führen solche Magmabewegungen, wie sie in den Campi Flegrei vermutet werden, nur in 10 Prozent der Fälle zu einem Ausbruch. "Die Beben und die Verformung der Oberfläche könnten also auch ein neuer Normalzustand sein, der noch viele Jahre andauert", sagt Walter.
Genaue Vorhersagen sind sehr schwierig.
Thomas Walter, Vulkanologe
Sollten die Campi Flegrei ausbrechen – kommt es wahrscheinlich nur zu einem relativ kleinen Ausbruch. Auch dies könnte allerdings immensen Schaden in der dicht besiedelten Region anrichten.
Thomas Walter, Vulkanologe
Eine baldige Evakuierung hält Vulkanologe Walter deswegen für unwahrscheinlich: "Man kann nicht in die Campi Flegrei hineinschauen. Solange unklar ist, was sich unterirdisch abspielt, wird es keine Evakuierungen geben." Auch eine Erhöhung der Warnstufe hält er derzeit für unwahrscheinlich. Walter: "Ich denke, davon sind wir derzeit noch weit weg." Die Vorbereitungen der Regierung hält er trotzdem für den richtigen Weg: "In einer solchen Region ist es nie zu früh, sich Gedanken über den Ernstfall zu machen."
- iononrischio.gov.it: "Cosa sapere - Campi Flegrei" (italienisch)
- rischi.protezionecivile.it: "Campi Flegrei" (italienisch)
- terremoti.ingv.it: "Visualizzati terremoti" (italienisch)
- ingv.it: "campi flegrei" (italienisch)
- protezionecivile.gov.it: "Commissione grandi rischi. intensificare attività su Campi Flegrei" (italienisch)
- gazzettaufficiale.it: "DECRETO-LEGGE 12 ottobre 2023, n. 140" (italienisch)
- dati.istat.it: "Popolazione residente al 1° gennaio" (italienisch)
- Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Walter