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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hundetrainer Rütter kritisiert Die Polizei setzt bei ihren Hunden auf Schmerz
Mehr als 2.000 Schutzhunde sind offiziell für Deutschland im Einsatz. Ein neues Gesetz soll dafür sorgen, dass sie nur noch gewaltfrei ausgebildet werden. Doch viele Polizeibehörden wehren sich: Sie setzen notfalls auf Schmerz, um die Hunde zu kontrollieren.
Es geht um die Kollegen von Kommissar Rex. In ganz Deutschland beschäftigt man sich in diesen Tagen mit der Frage, ob der Staat seine Diensthunde mit schmerzhaften Methoden ausbilden darf. Die Antwort steht eigentlich seit einigen Wochen fest. Aber längst nicht alle wollen sie akzeptieren.
Seit 1. Januar ist es ausdrücklich verboten, Hunde mit Gewalt zu erziehen, auszubilden oder zu trainieren. So schreibt es das verschärfte Tierschutzgesetz vor. Wer sich nicht daran hält, riskiert ein Bußgeld oder macht sich in extremen Fällen sogar strafbar. Und das gilt nicht nur für Privatleute.
Auch Hundeführer bei Polizei, Zoll und Bundeswehr müssen ihre Tiere seit Jahresbeginn schmerzfrei für den Einsatz aus- und fortbilden. Die geänderte Vorschrift könnte eine neue Ära für die Dienstschutzhunde einläuten: keine Halsbänder mit nach innen gerichteten Stacheln mehr, die sich in den Hals der Hunde pressen; keine Zughalsbänder, die ihnen die Luft abschnüren. Wäre da nicht der Widerstand vieler Polizisten.
Festhalten am stacheligen Status quo
"Derzeit existieren keine alternativen Konditionierungsmethoden, die das Stachelhalsband oder andere vergleichbar kurzfristig schmerzende Mittel unmittelbar ersetzen können", heißt es beispielsweise aus dem niedersächsischen Innenministerium. Dort kämpft man im Namen der Polizei Niedersachsen für eine Ausnahmegenehmigung für Schutzhunde im Staatsdienst.
Ohne eine Sonderregel für Diensthunde könnten die Hunde nicht erfolgreich ausgebildet und trainiert werden, so die Polizei Niedersachsen. Auch ein Großteil der bereits ausgebildeten Tiere werde so mittelfristig unbrauchbar. Die Polizeigewerkschaft GdP macht ebenfalls Stimmung gegen die verschärfte Tierschutzregel.
Hunde im Staatsdienst: Diensthunde in Deutschland erhalten eine Ausbildung zum Schutzhund, zum Spürhund oder werden dual ausgebildet. Während reine Spürhunde nur mit positiven Reizen konditioniert und eingesetzt werden, geht es bei den Schutzhunden rauer zu. Fast alle Schutzhundestaffeln griffen bis vor Kurzem auch auf schmerzhafte Methoden und Hilfsmittel wie Stachelhalsbänder zurück – und tun dies bei Einsätzen weiterhin.
Während der Bundesrat noch über einen entsprechenden Ausnahmeantrag der niedersächsischen Landesregierung berät, herrscht im deutschen Polizeihundewesen das föderale Chaos: Bei der Polizei Sachsen liegt die gesamte Schutzhundeausbildung auf Eis. In Sachsen-Anhalt haben die Beamten die kontroversen Halsbänder jüngst nicht nur aus den Ausbildungsplänen ihrer Schutzhunde gestrichen, sondern auch aus dem Dienst verbannt; obwohl sie in Einsatzsituationen noch erlaubt sind.
In Brandenburg ignoriert die Polizei das Stachelverbot derweil komplett – für Diensthunde gelte dieses generell nicht, ist man in Potsdam sicher. Daran konnte auch eine Rüge der Bundesregierung noch nichts ändern.
Im Rest der Republik bilden die meisten Schutzhundestaffeln ihre Tiere währenddessen eingeschränkt weiter aus. Und schielen auf die anstehende Entscheidung des Bundesrates über eine Sondergenehmigung.
Einsatz am Limit für Mensch und Tier
Auch in Hamburg hofft die Polizei auf eine Extrawurst. "Schutzhunde sind aus dem polizeilichen Alltag nicht wegzudenken, sie sind in vielen Situationen ein wichtiges und unersetzbares Einsatzmittel", sagt Pressesprecherin Sandra Levgrün. Einige Hundeführer sprechen von ihren Hunden als "Lebensversicherung"; einsatztaktisch kann ein Tier sogar mehrere Beamten ersetzen.
Ohne Schutzhunde funktioniert es also nicht. Aber funktionieren Schutzhunde ohne Gewalt? Bei der Polizei gelten die Tiere als legitimes "Hilfsmittel körperlicher Gewalt". Ob unter angriffslustigen Fußballfans, bei gewalttätigen Demonstrationen oder zur Festnahme mutmaßlicher Straftäter: Schutzhunde sollen abschrecken, einschüchtern und im Ernstfall auch zubeißen.
Rassen wie deutsche und belgische Schäferhunde eignen sich dafür besonders; sie sind selbstsicher, belastbar und haben einen ausgeprägten Beutetrieb. Ausgerechnet diese Eigenschaften machen sie aber auch schwer kontrollierbar.
"Eine jederzeitige Kontrolle und Führbarkeit [des Hundes] ist [bei] Verzicht auf bestimmte Halsbänder nicht mehr garantiert", unterstreicht beispielsweise die Polizei Schleswig-Holstein. Das Innenministerium in Niedersachsen, das die Revolte gegen das Halsbandverbot für die heimische Landespolizei anführt, wird expliziter: "Beim gezielten Beißen durch einen Diensthund kann es […] dazu kommen, dass der Hund den Biss nicht löst."
Ein kurzer Schmerzimpuls, beispielsweise durch ein Stachelhalsband, sei dann ein unverzichtbares letztes Mittel, um das Tier wieder loszubekommen. Und dies müsse trainiert werden. Für Tierschützer sind das Ausreden auf Kosten der Hunde.
Streit um moderne Hundeausbildung
Das neue Verbot gibt es überhaupt erst, seitdem die alte Bundesregierung von Union und SPD die Regeln für die Hundeerziehung auf den aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis bringen wollte. Auch wenn der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) für viele Entscheidungen seiner Vorgängerin Julia Klöckner (CSU) wohl kaum Sympathien hat: Sein Haus steht voll hinter der verschärften Hundeverordnung, die sie einst anstieß.
"Der Einsatz von Stachelhalsbändern geht mit erheblichen Schmerzen für den Hund einher und kann zu schweren Gewebeschäden führen", sagt Pressesprecherin Silke Brandt. Das Bundeslandwirtschaftsministerium sei außerdem überzeugt, dass die verschärften Regeln auch für die Ausbildung und den Einsatz von Diensthunden kein Problem darstellen.
Dort eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen, dürfte schwierig werden. Und könnte für die Diensthundeführer sogar kontraproduktiv sein.
"Schmerzauslösende Mittel wie Stachelhalsbänder senken nicht den massiven Stress, dem Diensthunde in Training und Einsatz ausgesetzt werden", warnt der stellvertretende Berliner Tierschutzbeauftragte Christian Arleth. Im Gegenteil.
"Solche Methoden verursachen zusätzlichen Stress und beeinträchtigen das Denk- und Konzentrationsvermögen der Hunde noch stärker – und damit ihren Gehorsam." Auch für Ausbilder und Hundeführer sei das nicht ungefährlich. Dass viele Polizeien sich angesichts des neuen Schmerzverbots in der Hundeausbildung nun überrascht und empört geben, kann der Jurist nicht nachvollziehen.
"Seit Juni 2021 stand fest, dass diese Regelung bald in Kraft tritt. Das ist also keineswegs eine plötzliche Rechtsänderung, auf die man sich nicht zeitiger hätte vorbereiten können", so Arleth. Gleichzeitig komme der Gesetzgeber dem Diensthundewesen auch jetzt noch für den Übergang entgegen. Denn im Einsatz seien Stachelhalsbänder als Ultima Ratio nicht explizit verboten.
Die Lücke im Tierschutzgesetz: Es ist verboten, Tieren Leid zuzufügen. Doch es gibt Ausnahmen. So heißt es in §1(2) des Tierschutzgesetzes: "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." Im tatsächlichen Einsatz von Polizeischutzhunden gilt ein kurzer Schmerzimpuls deshalb auch weiterhin als legitim, um einen verbissenen Hund unter Kontrolle zu bringen. Da das regelmäßige Hundetraining nun aber ohne Stachelhalsbänder und Co. laufen muss, werden diese Mittel wohl auch im Einsatz bald nicht mehr nutzbar sein.
Dem Deutschen Tierschutzbund geht das neue Verbot angesichts des impliziten Übergangszeitraums längst nicht weit genug. Präsident Thomas Schröder forderte bereits "die Abschaffung des Schutzhundewesens", sollte die Polizei nicht umgehend auf Strafreize und Hilfsmittel wie Stachelhalsbänder verzichten können.
Für TV-Hundeexperte Martin Rütter sind die kontroversen Methoden für Ausbildung und Einsatz von Polizeischutzhunden nur Symptome eines kaputten Systems. "Die Polizei züchtet und kauft Hunde für ihren Schutzdienst, die derart triebhaft sind, dass sie eigentlich nur eine Sache im Kopf haben: Feuer frei und reinbeißen", so Rütter.
"Es darf keine Sonderregel für die Schutzhunde der Polizei geben", findet er. Rütter ist überzeugt, dass es gewaltfreie Alternativen gibt, um die Diensthunde auszubilden. Die Kompetenz dafür spricht er den Polizeibehörden allerdings ab.
"Was da im Ausbildungsbereich passiert, hat wirklich nichts mit Verhaltenspsychologie zu tun. Da fehlt das Verständnis dafür, wie ein Hund funktioniert", so Rütter. Spricht man hingegen mit Hundetrainer Thomas Baumann, wird klar, wie viel Sachverstand gerade auch im Polizeihundewesen vorhanden ist.
Harte Hunde oder zeitgemäße Ausbildung
"Neue Wege der Polizeihundeausbildung" heißt das Buch, das Baumann in der Szene besonders bekannt gemacht hat. Lange war er Ausbildungsleiter der Polizeihundeschule Sachsen, vertrat die deutsche Polizei in Sachen Diensthunde sogar bei der internationalen Kriminalpolizeiorganisation Interpol.
Inzwischen ist er selbstständig. Die hitzige Debatte über die Schutzhundeausbildung wird ihm rundum zu pauschal geführt; auch seitens der Polizei.
"Es sollte nicht zuerst um die Methoden gehen, sondern darum, was man damit erreichen will", so Baumann. Die Ausbildung der Schutzhunde richte sich ganz danach, welche Art von Hund dabei herauskommen solle.
"Wollen wir kompromisslose, explosive Hunde? Dann lässt sich eine völlig schmerzfreie Ausbildung kaum umsetzen", erklärt er. "Sind auch Hunde akzeptabel, die etwas weicher sind und nicht bedingungslos draufhalten? Dann können wir auf eine Art ausbilden, die eher zeitgemäß ist."
Der Blick nach Großbritannien zeigt, was möglich ist. Schon im Jahr 2000 trat dort ein generelles Verbot von Stachelhalsbändern für Polizeihunde in Kraft.
Jene Hunde seien auch leistungsfähig gewesen, erinnert sich Baumann an einen Besuch bei den britischen Interpol-Kollegen, "allerdings mit Abstrichen bei Beharrlichkeit, Motivation und Durchsetzungsfähigkeit". Brauchbare Schutzhunde seien sie dennoch allemal.
Dass schmerzfrei ausgebildete Schutzhunde viel draufhaben, zeigt sich auch in Deutschland. So gilt beim Zoll längst ein explizites Verbot für Stachelhalsbänder und andere schmerzhafte Hilfsmittel.
Stattdessen gibt es positive Anreize über Clicker-Training und Beutetausch. "Kontrollierbarkeit und Zuverlässigkeit stehen dabei im Vordergrund", so eine Sprecherin der Generalzolldirektion. Und auch die ersten Polizeibehörden gehen seit einiger Zeit neue Wege.
Die Polizei im Saarland lässt ihre Schutzhunde laut eigenen Angaben bei Einsätzen ohne Stachelhalsbänder arbeiten. Dasselbe für die Polizei Hessen und die Polizei Sachsen. In NRW wird seit mehreren Jahren zumindest "bei der zentralen Fortbildung" der Polizeischutzhunde auf die piksenden Hilfsmittel verzichtet.
Falls es für Diensthunde keine Ausnahme von der verschärften Hundeverordnung geben sollte, steht auch dem Rest des Polizeihundewesens ein Neuanfang bevor: Mehr als 2.000 Schutzhunde müssten mittelfristig auf schmerzfreie Methoden umtrainiert oder ausgemustert, junge Hunde von Anfang an anders ausgebildet werden.
Doch der Widerstand von Landesregierungen und Polizeigewerkschaften ist groß und könnte weiter wachsen. Vor allem, wenn sich auch die Bundespolizei noch auf die Hinterbeine stellen sollte.
Auch die Schutzhunde der Bundesbeamten profitieren aktuell vom neuen Schmerzverbot bei Ausbildung und Training. Wie man dort jedoch auf die Revolte der Kolleginnen und Kollegen in einigen Bundesländern blickt, ist unklar. Dazu möchte sich die Polizei des Bundes nicht äußern.
Ergänzungen: Auch die Polizei Sachsen verzichtet bei Einsätzen ihrer Schutzhunde bereits auf Stachelhalsbänder. Dies wurde im Text ergänzt. Außerdem hat die Bundespolizei am 24.01.2022 gemeldet, dass auch ihre Diensthundestaffeln das Schmerzverbot für Ausbildung, Erziehung und Training berücksichtigen. Der Text wurde entsprechend erweitert.
- Schriftliche Anfragen bei den Landespolizeidirektionen bzw. den Innenministerien aller 16 Bundesländer
- Telefonat mit der Pressestelle der Polizei Berlin
- Schriftliche Anfrage bei der Bundeswehr
- Schriftliche und telefonische Anfrage bei der Bundespolizei - weiterhin keine Auskunft zur Zahl der Dienst- und Schutzhunde
- Schriftliche Anfrage bei der Generalzolldirektion
- Schriftliche Anfrage beim Büro der Berliner Tierschutzbeauftragten Kathrin Herrmann
- Schriftliche Anfrage bei TV-Hundetrainer Martin Rütter
- Schriftliche Anfrage und Telefonat mit Hundetrainer Thomas Baumann
- Schriftliche Anfrage bei Zoologe Udo Gansloßer
- Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen (13.12.2021): Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes
- Pressemitteilung des GdP Rheinland-Pfalz (07.01.2022): Neue Tierschutz-Hundeverordnung stellt diensthundeführende Behörden vor Herausforderungen
- Pressemitteilung des GdP-Bundesvorstandes (12.01.2022): GdP Niedersachsen fordert Ausnahme für Diensthunde
- Pressemitteilung des Deutschen Tierschutzverbandes (06.01.2022): Keine Tierquälerei bei der Diensthundeausbildung
- RBB24 (14.01.2022): "Bund wirft Brandenburg Missachtung neuer Tierschutzregeln vor"
- Holsteinischer Courier (11.04.2019): "Schutzhunde bei der Bundespolizei: "Basco ist meine Lebensversicherung"
- Weser-Kurier (13.01.2022): "Bremer Polizeihunde sind nicht mehr einsatzfähig"
- Der Spiegel (24.08.2016): "Max ballert einen weg"
- FAZ (17.08.2020): "Julia Klöckner plant neue Hundeverordnung"
- BBC News (11.05.2020): "Police dog cruelty rules tightened