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Bundesverfassungsgericht: Diese Folgen hat das Klima-Urteil für Sie


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Verfassungsgericht rügt Regierung
Diese Folgen hat das Klimaurteil für Sie


Aktualisiert am 29.04.2021Lesedauer: 5 Min.
Eine Demonstrantin von Fridays for Future: "Es gibt keinen Planeten B" steht auf ihrem Schild - es ist einer der prominentesten Slogans der Protestbewegung.Vergrößern des Bildes
Eine Demonstrantin von Fridays for Future: "Es gibt keinen Planeten B" steht auf ihrem Schild – es ist einer der prominentesten Slogans der Protestbewegung. (Quelle: Ralph Peters/imago-images-bilder)

Es ist eine wegweisende Entscheidung: Das Klimaschutzgesetz verstößt gegen die Verfassung. Die Regierung muss nachbessern. Und soll jüngere Generationen schützen.

Vor nur eineinhalb Jahre trat das Klimaschutzgesetz der großen Koalition in Kraft, jetzt wurde es angesägt. Das Bundesverfassungsgericht hält es für teilweise verfassungswidrig. Denn das Gesetz hat Lücken: Bisher ist nicht klar, wie die Treibhausgasemissionen in Deutschland ab 2030 weiter sinken sollen.

Vor allem junge und zukünftige Generationen könnten so beim Klimaschutz eine viel größere Last tragen müssen, um immer mehr CO2 einzusparen. Die Regierung hat nun bis Ende nächsten Jahres Zeit, das Gesetz nachzubessern. t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zur wegweisenden Entscheidung aus Karlsruhe.

Was ist das Klimaschutzgesetz?

Das Klimaschutzgesetz ist der Kern der deutschen Strategie für den Klimaschutz. Zusammen mit der Einführung eines CO2-Preises und einer Handvoll weiterer Maßnahmen soll es dazu beitragen, dass Deutschland seine Klimaziele erreicht. Die Bundesregierung verpflichtet sich, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent gegenüber den Emissionswerten von 1990 zu senken.

Seit Ende 2019 ist deshalb gesetzlich festgelegt, wie viel Treibhausgase unterschiedliche Wirtschaftsbereiche wie Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und Energiewirtschaft in den kommenden Jahren noch ausstoßen dürfen. Ab diesem Jahr ist dafür auch ein Kontrollmechanismus vorgesehen. Für den Zeitraum nach 2030 macht das Klimaschutzgesetz aber keine konkreten Vorgaben.

Wer hat gegen das Gesetz geklagt?

Insgesamt hat sich das Bundesverfassungsgericht mit vier Beschwerden befasst: Bereits 2018 hatten die Umweltschutzorganisation BUND und der "Förderverein Solarenergie" sowie mehrere Einzelpersonen geklagt, unter anderem der Schauspieler Hannes Jaenicke und der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel.

2020 kamen drei weitere Verfassungsbeschwerden von jungen Menschen aus Deutschland, Bangladesch und Nepal dazu. Darunter waren unter anderem Luisa Neubauer für Fridays for Future und Kinder aus Familien, die von der Landwirtschaft oder vom Tourismus leben. Zwei dieser Klagen hat die Deutsche Umwelthilfe unterstützt, eine weitere die Organisationen Greenpeace, Germanwatch und Protect the Planet.

Die Verfassungsbeschwerden stellten vor allem darauf ab, dass es keine ausreichenden Regelungen für die nötige Reduzierung von Treibhausgasen gebe. Außerdem sorgten sich die jungen Klägerinnen und Kläger um ihre Freiheitsrechte, die durch die zunehmende Belastung durch Emissionsminderungspflichten nach 2030 stark eingeschränkt werden könnten. Das Urteil gibt den jungen Klimaaktivisten und ihren Mitstreitern in einigen Punkten recht.

Was bemängeln die Richter?

Deutschlands höchstem Gericht geht es um die Generationengerechtigkeit: Die Richterinnen und Richter befürchten, dass die Freiheit jüngerer Generationen eingeschränkt wird, wenn nicht feststeht, wie Treibhausgasemissionen nach 2030 weiter reduziert werden sollen.

Regelungen für die Zeit danach gibt es im Klimaschutzgesetz nämlich nicht – obwohl Deutschland sich verpflichtet hat, bis 2050 klimaneutral zu werden. Außerdem hat die Bundesregierung das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet und so ebenfalls versprochen, dabei zu helfen, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen.

Laut dem ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts verschiebt das Klimaschutzgesetz die hohen Lasten für die Minderung der Emissionen aber unumkehrbar auf die Zeit nach 2030 – und somit auf junge und zukünftige Generationen. Die notwendigen Minderungen müssten, so das Gericht, dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden.

Da fast alle Lebensbereiche mit der Emission von Treibhausgasen verbunden seien, betreffe das früher oder später potenziell das Leben von Millionen Menschen, die momentan zum Teil noch nicht einmal lebten. Anders ausgedrückt: Ein umfangreicher Verbrauch des Kohlendioxidbudgets schon bis 2030 verschärfe das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen in der Zeit danach. Ein inakzeptabler Umstand für das Gericht, denn: Der älteren Generation würde so zugestanden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, während sich die jüngere Generation später deutlich stärker einschränken müsse.

Wie weitreichend ist das Urteil?

Für die Kläger ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Sensation. Carla Reemtsma, Sprecherin von Fridays for Future, bezeichnete das Urteil im Gespräch mit t-online als "historische Entscheidung": Erstmals sei juristisch festgehalten, dass "Klimaschutz kein Nice-to-have ist, sondern essentieller Bestandteil jeder Politik sein muss".

Auch Rechtsexperten sehen die Einschätzung des Gerichts als wegweisend. t-online sprach nach dem Urteil mit dem Rechtsanwalt Remo Klinger, der zwei der vier Verfassungsbeschwerden als Verfahrensbevollmächtigter begleitet hat. Er bezeichnete die Einschätzung der Verfassungsrichter als geschichtsträchtiges "Novum".

Alle bisherigen Gerichtsentscheidungen im Klima- und Umweltbereich seien nie von "derartiger Tiefe und Grundsätzlichkeit" gewesen. Dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht die Konsequenzen für nachfolgende Generationen in sein Urteil miteinbeziehe, habe es erstmals "ein Grundrecht auf Zukunft, ein Grundrecht auf Generationengerechtigkeit für unsere Umwelt" geschaffen, so Klinger.

Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, sieht das Urteil als wichtigen Schritt für mehr Rechtssicherheit im Kampf gegen den Klimawandel. Es bestätige rechtlich, was die Forschung schon länger sagt: "Wir dürfen die Umstellung auf saubere Energie nicht in die Zukunft verschieben, sondern müssen rasch beginnen und dann dauerhaft dranbleiben." Außerdem brauche es konkrete Maßnahmen statt immer neuer ehrgeiziger Ziele, an die sich Politik und Wirtschaft dann ohnehin nicht hielten.

Was bedeutet das für die Politik?

Rund anderthalb Jahre hat die Bundesregierung nun Zeit, um konkrete Klimaziele für den Zeitraum nach 2030 in das Klimaschutzgesetz aufzunehmen. Stichtag dafür ist der 31. Dezember 2022.

Aber auch die Vorgaben für das laufende Jahrzehnt dürften strikter werden. Rechtsanwalt Remo Klinger sagte t-online dazu: "Um eine Erschöpfung der CO2-Budgets in den 20er-Jahren zu vermeiden, muss der Gesetzgeber die jetzt geltenden Klimaziele für die Jahre 2022 bis 2030 sehr viel strenger fassen". Mittelfristige Änderungen seien zum Beispiel beim Kohleausstieg oder bei der Regelung zu Verkehrsemissionen zu erwarten.

Zudem dürfte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts laut Klinger auch über Deutschland hinaus Bedeutung haben. Mehr als 40 ähnliche Klagen seien in anderen Staaten anhängig – und das Bundesverfassungsgericht habe eine hohe Autorität innerhalb der Völkergemeinschaft der Verfassungsjuristen: "Es ist sehr, sehr stark davon auszugehen, dass dieses Urteil Folgen in anderen Ländern haben wird."

Was bedeutet das Urteil für mich?

Das Ziel bleibt dasselbe: Bis 2050 soll Deutschland klimaneutral werden. Damit das klappt, muss der Ausstoß von Treibhausgasen in den kommenden 29 Jahren stark gesenkt werden. Allen voran bei den großen Energiekonzernen, die weiterhin stark auf die besonders umweltschädlichen Energieträger Kohle und Gas setzen.

Was sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wohl ändern wird, ist der zeitliche Rahmen für die klimafreundliche Umstellung der Wirtschaft. Fristen dürften näher rücken, zu denen immer mehr CO2 aus den Bilanzen verschwinden muss (siehe oben).

Für Sie als Verbraucherin oder Verbraucher heißt das: Sie müssen vermutlich früher tiefer in die Tasche greifen. Denn die Preise für Energie, also etwa Strom, Heizöl oder Benzin, dürften absehbar noch schneller steigen – sofern die Politik nicht gegensteuert und etwa über größere Investitionen in die Windkraft für mehr grünen Strom sorgt.

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Worauf muss sich die Wirtschaft jetzt einstellen?

Für viele Unternehmen in Deutschland mag das Urteil der Verfassungsrichter erst einmal wie ein böses Omen erscheinen: Sie müssen wohl schneller mehr Emissionen einsparen.

Zwar hat die Energiewirtschaft ihre Emissionen von 2019 auf 2020 im Vergleich zu anderen Sektoren am stärksten gesenkt, sie stieß im vergangenen Jahr aber immer noch 220 Millionen Tonnen Treibhausgase aus. Die CO2-Fußabdrücke von Industrie, Verkehr, Gebäuden und Landwirtschaft sind deutlich geringer. Sie sinken aber auch sehr viel langsamer.

Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sieht das Gerichtsurteil dennoch positiv – gerade auch für Unternehmen, die sich nach der Pandemie erholen müssen. Auf Anfrage von t-online sagte sie: "Das Urteil schafft enorme wirtschaftliche Chancen für einen Neustart aus der Corona-Krise, da investiert werden muss in erneuerbare Energien, Energieeffizienz oder Elektromobilität. Investitionen in Zukunftsmärkte schaffen große wirtschaftliche Chancen, Innovationen und zukunftsfähige Jobs."

In ähnlicher Manier äußerte sich auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). "Die Politik muss transparent gangbare Klimapfade bis 2050 aufzeigen, um CO2-Reduktionen vorzugeben", teilte der Verband am Donnerstag mit. Das schaffe Klarheit und Planungssicherheit für Unternehmen, neue Technologien zu entwickeln und zu investieren und liege im Interesse der Industrie.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Carla Reemtsma
  • Gespräch mit Remo Klinger
  • Anfrage an Ottmar Edenhofer
  • Anfrage an Claudia Kemfert
  • Mit Material der Nachrichtenagentur AFP
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