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1500 PS: Mit dem Chiron übertrumpft sich Bugatti selbst


Tacho bis Tempo 500
So fährt sich der neue Bugatti Chiron

mid, Jürgen Zöllter

31.03.2017Lesedauer: 5 Min.
Die Tachoskala des neuen Bugatti Chiron reicht bis 500 km/h.Vergrößern des Bildes
Die Tachoskala des neuen Bugatti Chiron reicht bis 500 km/h. (Quelle: Hersteller-bilder)
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Portugal ist ein ruhiges, eher beschauliches Land. Bekannt ist es bei Urlaubern, die wunderschöne Strände, gastfreundliche Menschen und deren authentische Lebensart lieben.

Fußballfans verehren den aktuell berühmtesten Portugiesen, Cristiano Ronaldo. Der best bezahlte Kicker der Welt kann auf eine einzigartige Erfolgsbilanz blicken – und seit 2016 auch über das Lenkrad eines Bugatti Veyron, des bisher schnellsten und teuersten Straßenautos der Welt. Doch Ronaldo ist Zweitbesitzer, denn die Kleinserie des Supersportwagens war im vergangenen Jahr bereits ausverkauft.

500 Bugatti Chiron: Nur 60 bis 70 Stück pro Jahr

Nun wird Ronaldo nachgesagt, dass ihm Second-Hand-Lösungen zuwider seien. Deshalb war es nur eine Frage der Zeit, wann der Fußballstar bei Bugatti einen Neuwagen ordern würde. Nun durfte er bestellen! Einen Bugatti Chiron, der den Veyron ablöst und ihn in allen fahrdynamischen Disziplinen übertrifft. Doch erneut muss sich Ronaldo gedulden, denn von den geplanten 500 Einheiten kann Bugatti nur 60 bis 70 Fahrzeuge jährlich bauen. Und weil der portugiesische Sportler einer von aktuell 250 Kaufwilligen ist, kann das Warten bis zu drei Jahre dauern.

Bugatti Chiron nur 100 von 1500 PS im Alltag nötig

Wir treiben schon jetzt einen der ersten Chiron über Straßen rund um Lissabon. Ob Ronaldo uns bemerkt? So lange wir mit 1500 Touren unterwegs sind, wohl kaum: Das ist meist die Arbeitsdrehzahl des W16-Motors mit 8,0 Liter Hubraum im Stadtverkehr und auf Landstraßen. Damit ist der 2240 Kilo schwere Chiron innerhalb der erlaubten Höchstgeschwindigkeit Portugals leiser unterwegs als jeder andere Supersportwagen. Begleitet wird diese gediegene Soundkulisse von einem zufriedenen Knurren aus dem Heck, während die Anzeige des "Powermeters" im Cockpit links am unteren Rand ruht. Von 1500 PS, die der Motor leisten kann, rufen wir höchstens 100 PS ab.

Bugatti Chiron: Leichtbau für niedrigeren Schwerpunkt

Man fährt sehr entspannt, weil das Triebwerk nicht auf jedes Zucken des Gasfußes reagiert und leicht vergessen lässt, welch riesige Wildpferdherde uns im Nacken sitzt. Insbesondere auch, weil die Abrollgeräusche der 20-Zoll-Räder (vorn 285er und hinten 355er) sowie die Abstrahlung mechanischer Einflüsse aus dem Motorraum im Vergleich zum Veyron dramatisch reduziert werden konnten. Zahlreiche Bauteile bestehen jetzt aus GFK, etwa die Kettenkästen, das dreiteilige Saugrohr und die Ladedruck-Rohre. Die Motorlager sind versteift, um die Übertragung von Geräuschen auf die Karosserie zu reduzieren. Der Motor wiegt trotz einer größeren Anzahl von Bauteilen weniger als der im Veyron. Und weil die Leichtbauteile tendenziell im oberen Motorabteil wohnen, liegt der Schwerpunkt des Chiron niedriger.

Bugatti Chiron mit Mäusekino der nächsten Generation

Das entspannte Fahren gibt uns Zeit, das aufgeräumte Cockpit zu erforschen, in dessen Zentrum der analoge Tacho ruht. Dass er beidseitig eskortiert wird von hochauflösenden TFT-Bildschirmen und einem flachen IPS-Display unterm Tacho, in die man allerlei Inhalte zur Fahrzeugtechnik, Unterhaltung und Navigation einspielen kann, stört den Eindruck der Hochwertigkeit nicht. Das Interieur lebt im Wesentlichen von der Überzeugungskraft echter Materialien: Hebel und Schalter, die aus dem Vollen gefräst sind, makellose Lederbespannung und Sichtcarbon schaffen Authentizität. In die Drehschalter der schmalen Mittelkonsole sind sogar kleine Bildschirme integriert, um diverse Zusatzinformationen einspielen zu können. Die Bugatti-Entwickler heben auch Bedienungs-Funktionalitäten auf ein einzigartig hohes Niveau. Ergonomisch sinnvoll liegen sämtliche Primärfunktionen zur Beeinflussung der Fahrdynamik im Lenkrad.

Zahmes Rennpferd: Der Chiron beherrscht jede Gangart

Nachdem wir uns mit den Fahrdynamik-Modi "EB", "Autobahn" und "Handling" vertraut gemacht haben, die neben der Fahrzeughöhe die Lenkung, Stoßdämpfer, ESC, ASR und die hintere Differentialsperre beeinflussen, geben wir dem Chiron die Sporen – sparen den "Top Speed"-Modus aber aus. Fällt der Gasfuß unter 2000 Touren, atmet das Triebwerk erst einmal tief und hörbar durch, bevor in den Brennkammern jenes Feuer lodert, das die Leistungsfähigkeit des Super-Aggregats bedingt. Wer mehr Spontaneität wünscht, schaltet übers linke Paddel hinterm Lenkrad ein, zwei Gänge zurück und gibt Gas. Der Tourenzähler springt auf 2500/min, der Chiron nach vorn, und der Kopf des Fahrers schnellt zurück. Was jetzt passiert, hebelt alle automobile Erfahrung aus den Angeln!

Rekordverdächtig: unter zwei Sekunden auf Tempo 100

Unter lautem Schlürfen und orkanartigem Fauchen inszenieren 16 Brennkammern eine Beschleunigungsorgie, die dem Piloten volle Konzentration abfordert. In weniger als zwei Sekunden schnellt die Tachonadel über die 100, nach 6,5 Sekunden über die 200 und nach 13,6 Sekunden über die 300 km/h Marke. Und hier muss noch lange nicht Schluss sein!

Bugatti Chiron riegelt bei Tempo 420 elektronisch ab

Bis 380 km/h lässt das System dem Fahrer freien Lauf. Wer es noch eiliger hat, muss den "Top Speed"-Modus über einen separaten Schlüssel links vom Fahrersitz freischalten, den Sicherheitscheck abwarten, "Launch Control" im Lenkrad aktivieren, mit dem linken Fuß auf die Bremse steigen, während er Vollgas gibt und diese nach zwei Sekunden schnalzen lassen. Die Orgie in die Sphären jenseits der Vorstellungskraft endet bei 420 km/h. Die Elektronik schnürt dann die Atemluft ab. Vorerst, jedenfalls! Denn einem mit 1700 PS befeuerter Chiron Supersport dürfte es vorbehalten sein, ab 2020 die 450-km/h-Marke zu knacken.

Für schnelleres Ansprechen: zwei Turbolader außer Kraft

Was beim doppelten Registern im Triebwerk passiert, klärt ein Gespräch mit Bugatti-Experten. Beim Wechsel in den Lastbereich wird im neuen Motor nur einer der beiden, gegenüber dem Veyron deutlich leistungsstärkeren Lader pro Zylinderbank angeströmt. Eine im Abgas-Massenstrom geschlossene Klappe verhindert die Arbeitsaufnahme der beiden anderen. Weil zwei im Abgas liegende Turbolader schneller Drehzahl aufbauen als vier und diese beiden bereits ab niedrigen 1500 Touren anlaufen, erlebt der Fahrer einen spontanen Lastaufbau.

Turbolader drei und vier zünden nacheinander

Gleichzeitig liegt frühzeitig ein hohes Drehmoment an und kann lange konstant gehalten werden. Zwei Lader reichen aus, die Maximalleistung des Triebwerks bis nahezu 4000/min auszureizen. Sie beträgt in diesem Arbeitsbereich etwa 700 PS. Angenehmer Nebeneffekt: Beim Hochschalten aus den unteren Gängen ist im Zwei-Laderbetrieb eine harmonische Kraftentfaltung sichergestellt. Noch bevor die beiden Turbolader an ihre Leistungsgrenzen fahren, schalten die anfangs ruhenden zu. Jedoch nicht gleichzeitig, sondern phasenverzögert, um den Übergang zu "verschleifen". Der Fahrer merkt davon nichts.

Bugatti Chiron: Design-Zitat vom Typ 57SC Atlantic

Der Chiron darf als Nachfolger des Veyron gelten, wenngleich er kein Nachfolger sein möchte, sondern eher ein nachwachsender Bruder. Wobei er seine Jugendlichkeit einem Exterieur-Design verdankt, das Bugatti-Designdirektor Etienne Salome mit "viel Schönheit, aber noch mehr Biest" charakterisiert. Es folgt in der Formensprache charakterischen Bugatti-Merkmalen, die allesamt technische Funktionen erfüllen. Markantestes Beispiel ist die geschwungene Seitenlinie. Sie greift ein Stilmittel des legendären Bugatti Typ 57SC Atlantic auf und unterstützt zugleich die Durchlüftung des riesigen Triebwerks in Mittellage. Als zweites Merkmal fällt die zentrale Kammlinie ins Auge. Und dann das markante Heck mit umlaufender Abrisskante. Es senkt den Luftwiderstand und sorgt für einen Sogeffekt, der das Abziehen der heißen Luft aus dem Motorraum unterstützt.

Begrenzte Stückzahl sorgt für hohe Begehrlichkeit

Die Faszination des neuen Bugatti Chiron wächst indes nicht nur beim Fahren, wenn das Kraftpaket bemerkenswert einfach zu handeln ist, richtungsstabil wie eine Pistolenkugel davon schiesst und Kurven mit sensationell hoher Präzision durchspurt. Allein der Kauf adelt seine Besitzer, die gewohnt sind, sich alle materiellen Wünsche erfüllen zu können, zu einer besonders privilegierten Klientel. Der Kauf folgt der Verführung durch begrenzte Verfügbarkeit – die Preise starten bei sagenhaften 2,86 Millionen Euro. Es gibt Kunden, die bestellen gleich mehrere Chiron!

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