Continental GT Wie ein Modell die Marke Bentley gerettet hat
Bentley – der Favorit der verstorbenen britischen Queen. Ein Modell hat vor 20 Jahren die Oberklasse auf den Kopf gestellt und die Marke gerettet.
Es war angeblich mal wieder eine Servietten-Skizze und den Stift führte einmal mehr der legendäre VW-Patriarch Ferdinand Piëch. Denn so, wie er zwischen Tür und Angel schon den 12-Zylinder für die eigenen Oberklasse-Modelle und den 18-Zylinder für Bugatti aufs Papier gebracht haben soll, so skizzierte er die Zukunft von Bentley. Das erzählt Adrian Hallmark – und der muss es wissen.
Schließlich ist Hallmark heute Chef der britischen VW-Tochter und war damals schon an Bord. "Damals", das war 1998, als die Niedersachsen die Firma im Doppel mit Rolls-Royce übernommen hatten und dann in Ermangelung der Namensrechte an Rolls-Royce plötzlich ohne die edlere Schwestermarke auskommen mussten. So blieb VW nur Bentley.
Die Idee rettete Bentley
"Wir standen quasi mit leeren Händen da, hatten ein paar alte Autos und einen guten Namen, aber keinen Plan für die Zukunft", erinnert sich Hallmark. Zumindest nicht, bis Piëch mit der Serviette kam.
Auf der standen vor allem drei Zahlen: Vier Jahre Zeit und 500 Millionen Pfund wollte er den Briten geben. Und zwar für ein Auto, mit dem die Stückzahlen von damals wenigen 100 auf 10.000 Fahrzeuge gesteigert werden sollten, gibt Hallmark die Eckdaten wieder.
Während Piëch anfangs eine neue Luxuslimousine wollte, haben die Briten ihm ein anderes Segment schmackhaft gemacht: Einen sportlichen Tourer, der mit der Fahrdynamik eines Porsche 911 genauso mithalten konnte wie mit dem Luxus einer Mercedes S-Klasse. So fasst Hallmark das Lastenheft zusammen.
Revolutionärer Preis für einen Bentley
Und das zu einem Preis, der mit 110.000 Pfund fast 50 Prozent unter dem lag, was bis dahin für einen Bentley bezahlt werden musste.
Wie gut, dass VW damals gerade mit dem Phaeton den Aufstieg in die Oberklasse probte und dessen Plattform zu Bentleys Plänen passte. "Durch die Verwendung von VW-Teilen, mehrheitlich Phaeton, entstand ein hervorragendes Auto mit Anklängen an klassisches 50er-Jahre-Design", lobt Oldtimer-Experte Frank Wilke vom Marktbeobachter Classic Analytics. Und es wurde pünktlich fertig.
Premiere beim Genfer Autosalon 2003
Mit reichlich Vorgeplänkel und flankiert von der umjubelten Rückkehr nach Le Mans zeigte Bentley in Paris im September 2002 eine Studie, enthüllte im März 2003 in Genf das Serienmodell, begann im November vor 20 Jahren mit der Auslieferung – und stellte die Oberklasse damit auf den Kopf.
Continental GT hieß die Schöpfung und sie kam auf Anhieb an. Schon zwischen Studie und Serienmodell gingen über 3.000 Bestellungen ein, im ersten vollen Jahr waren es 6.000. Das Ziel von 10.000 Einheiten erreichte Bentley im vierten Jahr.
Seit 2018: Dritte Generation unterwegs
Mittlerweile rollt die dritte Generation vom Band. Insgesamt stehen laut Bentley bislang mehr als 80.000 Continental GT in der Statistik. Die Bedeutung des Coupés könne man nicht hoch genug einschätzen, sagt Hallmark: Die neue Baureihe hatte damals nicht weniger als die Firma gerettet – selbst wenn heute der Geländewagen Bentayga bei Bentley den Ton in der Palette angibt.
Und nicht nur für Bentley war er wichtig, sondern auch für die Konkurrenz, sagt Hallmark. Denn beflügelt von seinem Erfolg gab es plötzlich eine ganze Reihe vergleichbarer Modelle vom BMW 8er bis zum Maserati GT, und es tat sich ein neues Segment auf.
Womöglich war der Continental GT vielen traditionellen Bentley-Kunden nicht fein und vornehm genug, vielleicht sogar zu billig. "Aber für die paar verprellten Altvorderen hat sich Bentley eine riesige neue Käufergruppe erschlossen", analysiert Wilke. Dass es danach auf der gleichen Basis erst ein Cabrio und dann noch eine Limousine gab, war nur folgerichtig.
Massiver Eindruck und wuchtige Performance
Mittlerweile längst Youngtimer statt Gebrauchtwagen und bald ein Sammlerstück, hat der erste Continental noch immer seinen Reiz. Ja, die verpixelte Navigation ist so zeitgemäß wie ein Gameboy und die Bedienung wirkt angesichts der "Touchscreeneritis" aktueller Modelle fast schon museal. Doch die Kombination aus dickem Leder und satter Leistung ist noch immer unerreicht.
Pfundschwere Aschenbecher, wuchtige Luftausströmer, knöcheltiefe Teppiche und Sitze, die eher Sessel sind – alles an diesem Auto schmeckt nach Überfluss. Das lässt auch aktuelle Oberklasse-Modelle wie einen Audi A8 vergleichsweise bürgerlich und nüchtern wirken.
Überfluss – das gilt mehr noch als fürs Ambiente für den Antrieb. Denn wo der 12-Zylinder sonst im VW-Konzern nur die Ausnahme war, wurde er im Continental GT erst einmal zur Regel: Sechs Liter Hubraum, anfangs 550 PS und 650 Nm sowie serienmäßig Allradantrieb – bei so viel Power muss man am Prunk nicht sparen.
Ein Kick-down mit dem Bentley sorgt jedenfalls für mächtig Fracksausen, wenn die Tachonadel in 4,8 Sekunden über die 100er-Marke wischt und im Ernstfall erst bei 330 km/h zum Stehen kommt.
Ein großes Auto, das Platz braucht
Doch Vorsicht: Auch wenn es der Continental auf dem Papier mit vielen Sportwagen seiner Zeit aufnehmen kann, trägt der GT das Grand in der Gattungsbezeichnung aus gutem Grund. Er ist nicht nur für die große Reise gemacht, sondern auch ein großes Auto.
Das ist gut, weil man auch hinten halbwegs bequem sitzen kann. Und das ist schlecht, weil ein Koloss von fünf Metern und 2,5 Tonnen halt ein bisschen Platz braucht, wenn man ihn forciert fahren will. Enge Alpenpässe jedenfalls sind nicht seine favorisierten Routen, sondern eher weit geschwungene Küstenstraßen. Das aktuelle Modell hat seit Kurzem auch eine Hinterradlenkung.
Vergleichsweise günstig, aber hohe Folgekosten
Als Youngtimer kann das Auto eine Entdeckung sein: "Gerade frühe Modelle bieten auf den ersten Blick ein sensationelles Preis-Leistungs-Verhältnis", sagt Wilke von Classic Analytics. "Wo sonst gibt's einen 12-Zylinder schon für runde 35.000 Euro?"
Allerdings warnt er vor überbordender Begeisterung: "Denn die niedrigen Kaufpreise gehen einher mit exorbitanten Ersatzteilpreisen und einer Elektronik, die nach dem Zufallsprinzip mal tatsächliche und mal nicht existierende Defekte anzeigt." Gut möglich also, dass man so ein Luxusschnäppchen am Ende teuer bezahlen muss.
- Nachrichtenagentur dpa