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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Continental-Vorstand Ariane Reinhart "Mancher schämt sich fast, in der Autoindustrie zu arbeiten"
"Die Stimmungsmache gegen das Auto ist fatal", sagt Continental-Vorstand Ariane Reinhart. Sie gemahnt an den sozialen Frieden. Dabei zieht der Konzern ein knallhartes Sparprogramm durch – trotz Milliardengewinnen.
Mega-Umbau bei Continental: Damit will der Zulieferer-Gigant auf den Wandel in der Autobranche reagieren. Betroffen sind 20.000 Jobs – also fast jeder zehnte. War dieser Wandel nicht schon lange erkennbar? Und wie fühlt es sich an, trotz Milliarden-Ergebnissen Mitarbeiter zu entlassen? Das erklärt Continental-Personalvorstand Ariane Reinhart (49) im Gespräch mit t-online.de.
t-online.de: Ungewohnte Bilder vor wenigen Wochen auf der Frankfurter IAA: Drinnen standen die Fans von PS und Hubraum, draußen die Kritiker der Autokonzerne. Der Mensch Ariane Reinhart – wo hätte er gestanden? Und was hätten Sie der Gegenseite gesagt?
Ariane Reinhart: Ich hätte mich immer noch drinnen an die Stände gestellt und mir die Produkte angesehen. Denn bei aller Kontroverse: Mobilität hat auch etwas mit selbstbestimmtem Handeln zu tun. Sie muss nicht nur sozial verantwortlich, bezahlbar und sicher sein, sondern auch wirtschaftlich und umweltverträglich. Daran arbeiten wir. Schon seit Jahren übrigens, länger als die aktuelle Debatte andauert. Wir können das Auto CO2-neutral machen und negative Einflüsse reduzieren.
Continental in Zahlen
Der Zulieferer ging 1871 aus einem Gummihersteller hervor. Derzeit beschäftigt er etwa 245.000 Mitarbeiter in 61 Ländern. 2018 lag der Konzernumsatz bei 44,4 Milliarden Euro. Wichtige Sparten neben der Reifenherstellung sind u.a. die Entwicklung von Sicherheitssystemen und Motorkomponenten, außerdem Industrielösungen für verschiedene Branchen. Seit 2014 ist die Hamburger Juristin Dr. Ariane Reinhart im Vorstand für Personalfragen zuständig.
Da gehen die Meinungen weit auseinander. Das haben die Demonstranten vor den Messehallen sehr deutlich gemacht. Sie gehen mit der Autoindustrie hart ins Gericht. Und teilweise auch mit ihren Mitarbeitern.
Das Thema wird sehr emotionalisiert. Einige schämen sich fast schon, dass sie in der Autoindustrie arbeiten. Ich glaube, das ist fatal. Es ist eine unserer größten Industrien, mit knapp zwei Millionen Beschäftigten. Da muss man sich schon Gedanken machen, was damit nun passiert: Was können wir transformieren in Richtung E-Mobilität und Digitalisierung? Das eine sollte nicht auf Kosten des anderen gehen: nicht auf Kosten der Umwelt, aber auch nicht auf Kosten des sozialen Friedens.
Kosten sind ein gutes Stichwort: Vor einigen Tagen wurden Teile der Continental-"Strategie 2030" bekannt. Was sind die Kernpunkte dieser Strategie und wie wird Continental 2030 aussehen?
Es geht uns um die nachhaltige Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und der Sicherung seiner Zukunftsfähigkeit. Ein Kernpunkt sind die Produktfelder, auf die wir in Zukunft setzen: E-Mobilität, autonomes Fahren, das vernetzte Auto, Reifen sowie Produkte für Industriekunden und den Ersatzmarkt. Und zum anderen: Wie wollen wir das umsetzen? Da sehen wir einen Dreiklang. Es muss umweltschonend, ökonomisch und sozial sein. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass die Menschen sich Mobilität leisten können.
Außerdem haben wir uns überlegt, wie wir unsere Mitarbeiter dabei mitnehmen. Dabei ist Qualifizierung das Herzstück. Wir prüfen also: Was müssen unsere Mitarbeiter in Zukunft können? Da denken wir besonders an unsere ungelernten Mitarbeiter.
Sie sprechen bei der "Strategie 2030" von einem Wachstumsprogramm. Andere würden es eine Sparmaßnahme nennen. Zum Beispiel die Kollegen im bayerischen Roding, wo ein Werk vor der Schließung steht.
Unser Strukturprogramm zielt vor allem auf zwei Effekte ab: die Steigerung von Effizienz und Produktivität mittels Organisations- und Portfolioanpassungen sowie eine verstärkte Konzentration auf die entscheidenden Wachstumsfelder der Zukunft. Es geht um unser profitables Wachstum, gleichzeitig aber auch um Anpassungen mit Blick auf das konjunkturelle Umfeld sowie die Transformation in der Automobilindustrie. Was unser Werk in Roding betrifft, möchte ich klarstellen: Wir haben unseren derzeitigen Planungsstand bekanntgegeben. Der Aufsichtsrat hat dem noch gar nicht zugestimmt. Roding ist ein Standort, der ganz stark am Bau von Verbrennungsmotoren hängt. Wenn da nicht mehr die Nachfrage besteht und wir am Standort nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren können, dann müssen wir uns natürlich Gedanken über die Zukunft dieses Standorts machen.
Als Zulieferer sind Sie direkt abhängig von den Absätzen der Autohersteller. Waren die Hersteller zu spät und zu wenig innovativ, so dass nun die Zulieferer darunter leiden?
Damit hat das gar nichts zu tun. Wir sind davon abhängig, wie viele Autos die Hersteller bauen – und mit wie vielen Komponenten. Wenn Hersteller auf Elektromobilität setzen, dann müssen wir als Zulieferer darauf reagieren.
Anders als VW sieht Continental nach wie vor auch den Wasserstoffantrieb als mögliche Zukunftslösung. Wie heftig hat es da zwischen Ihren Häusern geknirscht?
Als Zulieferer sind wir in einer anderen Position als ein Hersteller. Uns ist wichtig, technologieoffen zu sein.
Sparmaßnahmen – wie von Continental geplant – werden oftmals mit technologischen Umbrüchen begründet. Dabei ist der Wandel zum E-Auto und zum autonomen Fahren nicht neu. Toyota etwa baut das Hybridmodell Prius nun schon seit 22 Jahren, Tesla fertigt seit 2008 nichts anderes als Elektroautos.
Und wie profitabel?
Gar nicht, zugegeben. Dennoch: Wer heute technologische Umbrüche als Grund für Einschnitte anführt – hat er damals die Zeichen der Zeit nicht erkannt?
Wenn man sich nur diese Fakten ansieht, dann könnte man das so sehen. Aber Toyota, einer der profitabelsten Autobauer der Welt, hat sicherlich in den ersten Jahren sein Geld nicht mit dem Prius verdient. Wenn Sie in solche Zukunftstechnologien investieren, müssen Sie sich auch fragen: Wie viel kann sich ein Zulieferer leisten – über Jahre, manchmal Jahrzehnte –, ohne damit Geld zu verdienen? Wir müssen ja auch die Beschäftigten bezahlen. Das ist unser Anspruch an Zukunftsfähigkeit. Hinzu kommt das Konsumentenverhalten. Als Hersteller werden Sie auch vom Kundenanspruch getrieben. Das sieht man am SUV. Es ist einerseits gerade sehr umstritten, aber die Kunden scheinen es sehr zu schätzen.
Vielleicht auch, weil die Hersteller es am stärksten bewerben. Jeden zweiten Euro ihres Werbe-Etats geben sie für SUVs aus. So wecken sie erst Begehrlichkeiten. Noch ein paar weitere Zahlen. Continental führt einen sinkenden Pkw-Absatz als Grund für Einschnitte an. Der Absatz sank weltweit von 79 Mio. (2017) auf 78,6 Mio. im vergangenen Jahr. 2013 wurden noch 68,7 Mio. Autos verkauft. Ist der Eindruck richtig, dass in der Flaute mehr Jobs wegfallen als in der Konjunktur entstehen?
Als ich vor fünf Jahren zu Continental gekommen bin, hatten wir 189.000 Mitarbeiter. Jetzt sind wir bei 245.000 Mitarbeitern. Das ist ein sehr starker Anstieg – am stärksten im Engineering- und Software-Bereich. Dort werden wir auch weiter wachsen.
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Das würde aber dem Mitarbeiter am Standort Roding nicht viel helfen, wenn dort das Licht ausgeht. Continental hat 2018 ein Konzernergebnis von beinahe 2,9 Milliarden Euro erzielt, in den Jahren ab 2010 insgesamt 19,43 Milliarden Euro. Fällt es Ihnen als Personalvorstand manchmal schwer, die Personaleinschnitte zu begründen?
Natürlich sind wir noch profitabel. Wir haben aber in den vergangenen zwei Jahren unsere Prognosen anpassen müssen. Profitabel sind wir, weil wir unter anderem ein sehr gutes Reifengeschäft haben. Im Bereich der Fahrzeugkomponenten sind unsere Renditen aber stark zurückgegangen. Unser Anspruch ist: Jeder Standort für sich muss wettbewerbsfähig sein. Das finde ich auch nur fair. Wir können ja nicht sagen, dass die Mitarbeiter eines profitablen Standorts die Kollegen in einem anderen Werk mitfinanzieren sollen. Eins ist aber auch klar: Wir haben Verantwortung nicht nur für die Mitarbeiter in Roding, sondern für 245.000 Mitarbeiter weltweit. Und wir wollen nicht nur 150 Jahre alt werden, sondern auch darüber hinaus bestehen. Da müssen wir auch Entscheidungen treffen, die schmerzhaft sein können. Wir haben eine Verantwortung für unsere Mitarbeiter weltweit – aber auch gegenüber unseren Investoren.
Frau Reinhart, vielen Dank für das Gespräch.