SPD-Pläne Was bringen öffentliche Verkehrsmittel für einen Euro pro Tag?
Ein Jahr lang mit Bus und Bahn durch die Stadt fahren für wenig Geld: Das ist der Plan der SPD-Fraktion. Einige Städte haben das 1-Euro-pro-Tag-Ticket schon eingeführt – mit gemischten Ergebnissen.
Einen Euro pro Tag – mehr sollen Vielfahrer nach dem Willen der SPD-Fraktion für Bus und Bahn nicht mehr ausgeben. Für Millionen Pendler, die jeden Morgen ihre Monatskarte zücken, dürfte das enorme Einsparungen bringen. Vor allem aber soll es Autofahrer zum Umsteigen bewegen. Doch Experten bezweifeln, dass das 365-Euro-Jahresticket wirklich bringt, was es soll. Und was halten die Verkehrsunternehmen von der Idee, deren Einnahmen dann deutlich schrumpfen würden?
Das ist der SPD-Plan
Der Plan der Klimapolitiker der SPD-Fraktion klingt zunächst simpel: "Wir wollen, dass alle Bürger flächendeckend mit Bus und Bahnen zu bezahlbaren Preisen unterwegs sein können – egal ob in der Großstadt oder auf dem Land", schreiben sie in einem Positionspapier. Die Kommunen sollten bei der Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets unterstützt werden. Neu ist die Idee nicht, Vorbild ist Österreichs Hauptstadt Wien. Doch die Erfahrungen dort werfen einige Fragen auf:
Was soll die 365-Euro-Fahrkarte bringen?
Die Klimapolitiker wollen Menschen motivieren, für alltägliche Fahrten vom Auto auf Bus und Bahn umzusteigen. Das soll zu mehr Klimaschutz beitragen, denn vor allem der Verkehrsbereich muss seine CO2-Emissionen massiv senken. Der Plan kann aufgehen, wenn Geld für die Pendler tatsächlich das entscheidende Argument ist. Viele entscheiden sich aber auch aus Bequemlichkeit fürs Auto oder weil die nächste Haltestelle weit von der Wohnung weg ist und der Bus selten fährt.
Für welche Verkehrsmittel soll das Ticket gelten?
Nach den bisherigen Ideen für den Nahverkehr, also für Busse, Straßenbahnen, S-Bahn und U-Bahn, aber auch Regionalzüge. Damit dürfte es in Großstädten deutlich attraktiver sein als auf dem Land, wo es keine U-Bahnen gibt und Busse manchmal nur alle paar Stunden fahren.
Wie viel spare ich dann?
Das kommt ganz darauf an, wo man wohnt. In Berlin kostet eine Abo-Karte für den Innenstadtbereich bei jährlicher Zahlung 728 Euro, man würde also ungefähr die Hälfte sparen. In München fallen für die günstigste Jahreskarte 522 Euro an – Ersparnis 157 Euro. Wer aber aus den Münchner Außenbezirken pendelt – oder beispielsweise von Bergisch-Gladbach nach Köln – kann auch an die 1.000 Euro sparen.
Woher kommt die Idee?
Abgeschaut haben sich die Experten das in Wien. Hier gibt es das 365-Euro-Jahresticket seit 2012, seitdem zahlen Kunden statt 449 nur noch 365 Euro im Jahr für U-Bahn, Straßenbahn und Bus. Zugleich wurden aber die Preise für Einzeltickets deutlich angehoben, Touristen etwa zahlen also mehr. Mit dem neuen Modell lohnt sich eine Jahreskarte bereits ab der 13. Fahrt im Monat.
Wo gibt es so etwas in Deutschland schon?
Bonn und Reutlingen testen solche Tickets seit Jahresbeginn mit Förderung des Bundes. Berlin, Leipzig und Dresden prüfen die Einführung. In einigen Gegenden wie in Hessen gibt es die 365-Euro-Tickets zumindest für Schüler und Azubis. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte so etwas bereits an, genau wie der Stadtstaat Hamburg.
Wie sind die Erfahrungen bisher?
Die Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft (RSV) ist zufrieden. Bislang seien 2.000 Tickets verkauft worden, darunter rund 1.000 an Neukunden, sagte ein Sprecher. "Wir rechnen mit durchschnittlich 58 Fahrten für eine Monatskarte. Da kommen viele ersparte Autofahrten zusammen." In Wien gibt es inzwischen sogar mehr Jahreskarten- als Autobesitzer. Ob wirklich viele Neukunden mit dem 365-Euro-Ticket gewonnen wurden, stellte eine Studie in diesem Jahr allerdings infrage. Bei genauem Hinsehen werde deutlich, dass vor allem Gelegenheitskunden nun lieber die Jahreskarte nutzten als die verteuerten Einzeltickets zu kaufen. Für neue Fahrgäste sorgte demnach eher das insgesamt attraktive Angebot: hohe Investitionen in den Nahverkehr, sehr hohe Netz- und Taktdichte, kurze Reisezeiten.
Wo sind Probleme?
Die Projekte werden bisher mit viel Geld gefördert – in Reutlingen zum Beispiel mit drei Millionen Euro. "Wenn diese Förderung im kommenden Jahr auslaufen und nicht verlängert werden sollte, würden die Preise für unsere Fahrgäste auf einen Schlag um 36 Prozent steigen", sagte der Stadtwerke-Sprecher. "Eine solche Preiserhöhung ist politisch eigentlich nicht durchzusetzen."
Was halten die Verkehrsbetriebe von der Idee?
Die rechnen mit Einnahmeausfällen von mehr als 10 Milliarden Euro im Jahr – und sind deshalb wenig begeistert. Ohne dauerhafte Gegenfinanzierung aus Steuermitteln sei das weder für die Unternehmen noch die Kommunen zu stemmen, betonte der Präsident des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen, Ingo Wortmann. Außerdem seien Busse und Bahnen schon heute auf vielen Strecken an der Kapazitätsgrenze. Durch das 365-Euro-Ticket fahre "kein Bus, keine Bahn zusätzlich". Außerdem sei der Fahrpreis überhaupt nicht das entscheidende Kriterium für den Umstieg auf Bus und Bahn – sondern Angebot, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Moderne Fahrzeuge, dichte Takte und gutes Personal aber seien mit einem 365-Euro-Jahresticket nicht finanzierbar.
- Über Klimaanlagen: Wien will U-Bahnen beduften
- Aufarbeitung der Wahlen: SPD-Fraktion will 365-Euro-Jahresticket
- Tipps zu Kleidung, Schlaf und Essen: Was Sie in der Bahn nicht tun sollten
Was wollen die anderen Parteien?
Auch die Grünen haben bereits Ein-Euro-Tagestickets in allen Verkehrsverbünden Deutschlands gefordert. Die Union setzt auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Bahn. Ein 365-Euro-Jahresticket sehen die Pläne von CDU und CSU zwar nicht vor. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) schlägt aber unter anderem vor, die Mittel für die Kommunen für den ÖPNV auf eine Milliarde Euro pro Jahr zu verdreifachen. In einem internen Arbeitspapier der CDU-Spitze ist von einer "Mobilitätsgarantie" vor allem für den ländlichen Raum die Rede, mit "Angeboten von früh bis spät am Tag". Für Pendler will die Union eine höhere Pendlerpauschale.
- Nachrichtenagentur dpa