Autonomes Fahren "Man hat das Thema Sicherheit total unterschätzt"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Autohersteller überbieten sich bei der Ankündigung autonomer Fahrfunktionen. Wann Fahrzeuge wirklich selber fahren und was es dafür braucht, erklärt ein Experte.
Einfach ins Auto setzen, Route eingeben, einen Knopf drücken und schon fährt das Auto los, lenkt von allein, bremst von allein – und der Fahrer entspannt: So sehen viele Szenarien für das Autofahren der Zukunft aus. Doch bis es so weit ist, sind technologisch und politisch noch einige Hürden zu nehmen.
Christian Meyer hat mehrere Jahre in der Luftfahrtindustrie gearbeitet. Sein Unternehmen Lake Fusion Technologies entwickelt im baden-württembergischen Markdorf nahe des Bodensees Software, die die "Sinneseindrücke" verschiedener Sensoren miteinander kombiniert und autonomes Fahren im Straßenverkehr sicherer machen soll.
t-online: Herr Meyer, Autohersteller werben mit einer Vielzahl an Assistenzsystemen: Totwinkelwarner, Abstandsregeltempomat, automatische Notbremsung... In der Praxis haben diese Systeme aber immer noch eine Menge Fehler. Woran liegt das?
Christian Meyer: Aktuelle Assistenzsysteme sind sehr einfach aufgebaut und haben, wie ihr Name im Prinzip schon sagt, eine Assistenzfunktionalität. Das heißt, sie übernehmen zuerst mal überhaupt keine Verantwortung – die verbleibt voll und ganz beim Fahrer. Sie können sich als Fahrer freuen, wenn es funktioniert – aber eigentlich dürfen Sie sich nicht darauf verlassen. Und das missverstehen viele.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Es gibt ja immer wieder Fälle, in denen ein Auto mit eingeschaltetem Abstandsregeltempomat plötzlich eine Vollbremsung macht, obwohl das Auto vor ihm auf einem Parkstreifen steht und die Straße einen Schwenk macht. Dann wundern sich alle, warum das System jetzt so falsch reagiert. So ganz falsch reagiert es aber nicht. Es ist eben einfach nicht dafür ausgelegt, und es hat heute nicht die Qualität, diese Fähigkeiten zu bieten.
Aber es wird besser?
Ja, die Qualität legt von Jahr zu Jahr zu. Allerdings werden wir nicht erleben, dass es plötzlich einen großen Schritt gibt und alle nur noch autonom oder hoch automatisiert fahren. Das Ganze findet vielmehr evolutionär statt. Ähnlich wie beim Smartphone: Die ersten Handys waren zum Telefonieren vorgesehen. Heute werden sie vielleicht in zehn Prozent der Fälle zum Telefonieren genutzt.
Gefühlt wird seit Jahren autonomes Fahren großspurig von den Autoherstellern angekündigt. Im Verhältnis dazu ist gefühlt wenig passiert, selbst eine Mercedes-S-Klasse fährt jetzt erst unter bestimmten Bedingungen auf Level 3 (siehe Infokasten weiter unten). Warum?
Man hat das Thema Sicherheit beim autonomen Fahren völlig unterschätzt, also dass die Autos wirklich zuverlässig Situationen einschätzen und so reagieren können, dass der geringstmögliche oder kein Schaden entsteht. Dazu kommen länderspezifische Unterschiede: Manch technische Ausrüstung aus China würde zum Beispiel hierzulande keine Zulassung bekommen. Mercedes arbeitet viel mit detaillierten Karten, die gar nicht für alle Regionen der Welt, nicht einmal für alle Regionen in Deutschland existieren. Der Aufwand ist sehr hoch.
Zur Person
Christian Meyer ist CEO von Lake Fusion Technologies (LFT).
Der Diplomingenieur hat mehr als 20 Jahre Erfahrung als Programmleiter von lidar-basierten Umfeldwahrnehmungslösungen (mit Lasertechnologie) sowie von Großprojekten. Er hat lange beim Luftfahrtunternehmen Airbus gearbeitet.
LFT bietet Produkte und Entwicklungs- und Beratungsleistungen rund um Software und algorithmische Verfahren für selbstfahrende Fahrzeuge. Ziel: Sicherheitstechnik aus der Luftfahrt ins autonome Auto zu bringen.
Ihr Unternehmen beschäftigt sich vor allem mit dem Thema Sicherheit beim automatisierten Fahren. Was braucht es dafür?
Grundvoraussetzung sind die Sensoren. Erstens die Kamera, die sehr gute Bilder aufnehmen muss, damit sie entsprechend weiterverarbeitet werden können. Doch nachts oder bei schlechten Wetterbedingungen gerät das Kamerabild an seine Grenzen, zumal es nur schlecht die Tiefe erfassen kann. Deshalb kommt zweitens ein Radarsystem zum Einsatz, das Bewegungen im Raum dynamisch wahrnehmen kann. Doch das Radar erfasst aus technischen Gründen nicht alle Objekte. Deshalb kommt drittens die Lidar-Technologie ins Spiel, die noch einmal deutlich präziser ist. Eine dritte Information also, die die Technik in die Lage versetzt, eine hohe Zuverlässigkeit, also Sicherheit, zu erreichen (wie genau die Technologien funktionieren, lesen Sie hier)
Allerdings: Die Sicherheit an sich ist zwar in Normen und Standards definiert. Doch sie ist nie hundertprozentig. Das wird es auch so nicht geben. Aber sie kann und muss so hoch sein, dass die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung durch das System so gering ist, dass sie statistisch quasi nie auftritt.
Was passiert mit diesen Daten, die von den Sensoren eingesammelt werden?
Unser Job ist es, dass Hindernisse erkannt und richtig interpretiert werden. Man braucht die Intelligenz eines Gehirns, das die Informationen interpretiert: Was sehe ich, und wo ist es? Dafür entwickeln wir regelbasierte Algorithmen, die aus etlichen Pixeln ein Bild zusammenfügen: Ist das am Straßenrand ein Fußgänger oder ein Fahrrad, und wie muss das Auto jetzt reagieren? Wenn es sich bei einem Hindernis beispielsweise um einen Menschen handelt, dann hat dessen Sicherheit oberste Priorität. Genau das liefern wir.
Wie entwickelt man diese Sicherheit?
Unser Vorteil ist, dass wir uns nicht mit dem Thema Fahrdynamik auseinandersetzen müssen, so etwas machen die Autohersteller selbst. Wir haben ein eigenes Referenzsystem, also ein System, was mithilfe der verschiedenen Sensoren Daten aus der Umgebung aufnimmt. Damit sind wir ein ganz normaler Verkehrsteilnehmer hier in der Region, aber auch in ganz Deutschland oder im Ausland. Und wir haben auch auf einer noch nicht eröffneten Umgehungsstraße mit verschiedenen Objekten wie Paletten oder hohem Gras Versuche durchgeführt.
Und diese Daten sichten wir im zweiten Schritt: Welche Situationen sind vorgekommen? Anschließend stufen wir sie ein und lassen dann einen Algorithmus darüber laufen. In diesem sogenannten "Cross Processing" entwickeln die Systeme einen Rhythmus, wie sie mit diesen Situationen umgehen. Sind es viele Fahrradfahrer, ist es ein herumliegendes Objekt auf einer Autobahn? Und wir testen, ob sie die Situation richtig interpretieren und darauf korrekt reagieren. Das heißt, das ist alles gar nicht so spektakulär, wie man sich das vorstellt.
Aber es klingt nach einer nicht enden wollenden, kleinteiligen Arbeit. Kann man überhaupt den Punkt erreichen, an dem alle Situationen abgedeckt werden können?
Die Technik ist nicht sofort in der Breite zu nutzen. Auch die Gesetzgebung in Deutschland hat das erkannt. Autonomes Fahren ist derzeit nur da möglich, wo ein spezielles Gebiet dafür beantragt wurde. Und ich muss mir diesen Sektor natürlich genau anschauen, sodass ich die Gesamtheit der möglichen Vorkommnisse erkannt und begriffen habe. Erst dann kann ich einen Algorithmus darauf trimmen, dass er sich genau auf diese Elemente fokussiert.
Handelt es sich dabei um eine Art Künstliche Intelligenz?
Nein, wir setzen auf regelbasierte Algorithmen, die heute sicher zugelassen werden können.
Was ist der Unterschied?
Sie haben bei einer Künstlichen Intelligenz eine Art neuronales Netz, das man trainiert. Ich erzeuge immer wieder eine Fahrstrecke mit verschiedenen Situationen, und das System lernt selbst daraus. Aber die Schwäche dieser Technologie ist, dass man nicht weiß, was genau das System wirklich gelernt hat und woran es sich orientiert, um eine Entscheidung zu treffen. Sie sind nicht mehr Herr der Dinge und nicht in diesem Prozess involviert.
Deshalb fokussieren wir uns im Sinne der Sicherheit auf sogenannte regelbasierte Algorithmen, die auf mathematischen Formeln und Gesetzmäßigkeiten basieren. Im Code sind für alle Situationen Regeln hinterlegt – und wenn Sie eins und eins zusammenrechnen, wird am Ende immer zwei herauskommen.
Die fünf Stufen des autonomen Fahrens
Level null: Das entspricht dem dauerhaften Fahren ohne aktiv eingreifende Assistenzsysteme. Hier muss der Fahrer vollständig die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen.
Level eins: Der Fahrer wird von aktiven Systemen unterstützt, die dabei entweder die Längs- oder die Querführung des Fahrzeugs übernehmen. Wenn zum Beispiel ein Abstandsregeltempomat die Geschwindigkeit und den Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug regelt, verbleibt dem Fahrer im normalen Verkehr noch das Lenken. Allerdings muss er in einer kritischen Situation auch in die Längsführung eingreifen und zum Beispiel eine Notbremsung durchführen.
Level zwei: Hier geht es schon teilautomatisiert zu. Der Fahrer überlässt die Längs- und Querführung in bestimmten Fällen vollständig dem Auto mit seinen Assistenzsystemen. Er ist jedoch nach wie vor immer für alles verantwortlich. Deshalb muss er das Gesamtsystem ständig überwachen und sofort eingreifen, wenn es die Umstände erfordern.
Level drei: Für das hochautomatisierte Fahren ist ein System erforderlich, das dauerhaft die Längs- und Querführung übernimmt und selbstständig seine Funktionsgrenzen erkennt, an denen die erforderlichen Umgebungsbedingungen oder andere Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Es fordert dann den Fahrer auf, die Kontrolle wieder zu übernehmen und das Auto zu steuern. Der Fahrer muss ein solches System nicht mehr ständig überwachen und darf seine Aufmerksamkeit auch anspruchsvolleren Nebentätigkeiten widmen.
Level vier: Das Auto fährt letztlich in jeder denkbaren Verkehrssituation schon komplett selbst. Der Fahrer kann sogar während der Fahrt schlafen, muss aber in der Lage sein, das Fahrzeug nach Aufforderung zu übernehmen.
Level fünf: Hier wäre schließlich die Stufe des autonomen Fahrens erreicht: Das Auto fährt in jeder Situation völlig unabhängig von jeglicher menschlichen Kontrolle.
Sie arbeiten an einem sogenannten People Mover, einem autonomen Bus, der im ÖPNV eingesetzt werden soll. Warum ausgerechnet in diesem Bereich?
Man muss fairerweise sagen: Solche Entwicklungen und Sensorik kostet Geld. Aufs einzelne Auto heruntergebrochen machen sie Mobilität teurer. Und da bietet sich natürlich an, zuerst einmal diese Bereiche abzudecken, womit man letztendlich auch Geld verdienen kann: im Personennahverkehr zum Beispiel. Hier verteilen sich die Kosten auf viel mehr Nutzer. Und es trägt auch zur Akzeptanz bei: Wenn jedermann mit einem autonomen Fahrzeug gefahren ist und festgestellt hat, das funktioniert eigentlich ganz gut, dann wird auch die Akzeptanz in der breiten Masse wachsen. Im kommenden Jahr wollen wir starten (lesen Sie hier mehr dazu). Autonomes Fahren kommt also schneller, als viele denken.
Herr Meyer, danke für das Gespräch!
- Telefonisches Interview mit Christian Meyer
- Eigene Recherche