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KI im Sprachunterricht: Müssen wir noch Fremdsprachen lernen?


Technischer Meilenstein
Plötzlich alle Sprachen sprechen

MeinungEine Kolumne von Bob Blume

29.02.2024Lesedauer: 4 Min.
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Eine Fremdsprache zu lernen ist eine Bereicherung - auch für den nächsten UrlaubVergrößern des Bildes
Spaß am Lernen: Fremdsprachen sind für viele eine Bereicherung – auch für den nächsten Urlaub. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Seit der Antike lernen Menschen Fremdsprachen. Doch seitdem technische Entwicklungen immer schneller voranschreiten, stellt sich die Frage nach dem Sinn dieses Lernens.

An wie viele Inhalte aus Ihrem Englisch- oder Französischunterricht erinnern Sie sich noch? Ich nehme an, dass sich die Antworten auf drei Gruppen verteilen werden: Diejenigen, die sich an kaum etwas erinnern, weil sie die Fremdsprachen nach der Schule nicht mehr gebraucht haben. Dann diejenigen, die sich zwar nicht mehr an Inhalte erinnern, aber wissen, dass der schulische Unterricht die Grundlage für ein sprachliches Verständnis war, das sie im Beruf auch weiterhin benötigen. Und dann vielleicht eine kleine Gruppe von denen, die schon damals so fasziniert von Sprache waren, dass sie sich an ganz konkrete Dinge erinnern können.

Bob Blume ist Lehrer und Autor.
Bob Blume ist Lehrer und Autor. (Quelle: privat)

Zur Person

Bob Blume ist Lehrer, Blogger und Podcaster. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. In seiner Kolumne für t-online kommentiert er aktuelle Bildungsthemen mit spitzer Feder. Man findet Blume auch auf Twitter und auf Instagram, wo ihm mehr als 100.000 Menschen folgen. Sein Buch "10 Dinge, die ich an der Schule hasse" ist im Handel erhältlich.
Hier geht's zu Blumes Instagram-Auftritt.

Sich daran zu erinnern, wie eine Sprache erlernt wurde, hat aber erst einmal wenig damit zu tun, wie gut oder wie schlecht man sie spricht. Während meines eigenen Referendariats berichtete mein Pädagogik-Dozent über die Erfahrungen seiner Mutter im Französischunterricht. Bis ins hohe Alter konnte sie Vokabeln auswendig. Aber sprechen konnte sie nie. Warum? Der Französischlehrer verprügelte alle, die die Vokabeln nicht gelernt hatten. Mit diesem Angst-Lernen konnte man Tests bestehen, aber eben nicht sprechen. Diese Zeiten sind vorbei. Nicht nur die des Prügelns, sondern auch jene des Büffelns. Zumindest für die Schülerinnen und Schüler, die wie selbstverständlich Netflix-Serien auf Englisch schauen, sich im Netz auf Englisch mit ihren europäischen Altersgenossen unterhalten oder ihre Social-Media-Kanäle auf Englisch pflegen.

KI spricht mit der eigenen Stimme in fremden Sprachen

Das kann die eine oder andere Lehrkraft schon jetzt verzweifeln lassen. Was soll man den Schülerinnen und Schülern beibringen, wenn sie schon jetzt besser Englisch sprechen, bei Idiomen und Alltagssprache sogar weiter sind? Wenn die Sprachbetrachtung, also zum Beispiel die Benennung der Grammatik, das Einzige bleibt, was studierte Experten besser beherrschen als sie, dann schwindet die Legitimation der Lehrperson. Und wie bei so vielen Entwicklungen, deren Ausgang wir nicht absehen können, wird dieses Problem von Künstlicher Intelligenz (KI) potenziert.

Denn KI kann mittlerweile nicht nur Text-to-Video, also auf Grundlage eines Befehls ganze Videoszenen erstellen. Es ist jetzt schon möglich, ein Video in eine Vielzahl von Sprachen übersetzen zu lassen. Damit wir uns richtig verstehen: Ein Video, in dem jemand spricht, wird nicht einfach in den Untertiteln übersetzt, sondern die Person spricht in dem Video selbst, mit der eigenen Stimme und den korrekten Lippenbewegungen.

Bei einem Vortrag in Österreich spielte ich ein Video von mir selbst ab. In dem kurzen Film begrüßte ich die Teilnehmenden in etlichen Sprachen. Ich konnte nicht anders, als die Reaktionen darauf auf der nächsten Präsentationsfolie mit einem umgangssprachlichen Ausruf aus dem Englischen vorauszuahnen: WTF!? Übersetzen wir dies mit einer leichten Abschwächung: Was zum Teufel!?

Wie immer, wenn eine Entwicklung rasend schnell voranschreitet, ist es schwer zu analysieren, an welcher Stelle man sich befindet. Ich denke, wir sind am Anfang. An einem faszinierenden Anfang zwar, aber dennoch an einem Anfang.

Brauchen wir noch Fremdsprachenunterricht?

Für den Bereich Sprache und Übersetzung erklärt Hochschulprofessor und "Spiegel"-Kolumnist Christian Stöcker die Entwicklung in seiner Kolumne mit dem bezeichnenden Titel "Die Sprachbarriere fällt". Die dort angesprochenen Übersetzungstools DeepL und Google Translate kennt jede Lehrkraft, aber hier geht es noch weiter: "Die – nahe! – Zukunft der Kommunikation in fernen Ländern oder mit Menschen aus fernen Ländern wird sich deshalb so ähnlich anfühlen wie simultan übersetzte Interviews jetzt: Man hört den Originalton und mit leichtem Zeitversatz die Übersetzung, möglicherweise sogar in einer ähnlichen Stimmlage."

Was sich grundsätzlich wie eine schöne, neue Welt anhört, ist der KI-Moment für die Sprache. Gerade in der Schule. Denn Schülerinnen und Schüler, die besser als ihre Lehrkräfte sprechen können, sind das eine. Ein Simultanübersetzer im Ohr stellt die Frage nochmals neu, ob es Sprachunterricht überhaupt noch braucht.

Eine Antwort könnte sich auf die Argumentation des Faches Latein stützen: Das Erlernen der Sprache als hohes Bildungsgut für jene, die die Machart und Geschichte unserer Kommunikation interessiert. Ob dieses Argument weit trägt, ist die Frage. Denn wir leben jetzt schon in einer Zeit, in der die meisten jungen Leute Bildung als eine von der Wirklichkeit abgekoppelte Pflichtübung sehen. Natürlich hat das Lateinlernen noch einen weiteren Effekt. Schüler lernen dabei oft mehr über die Struktur von Sprache als in jedem anderen Fach.

Schule muss sich mit KI verändern

Interessanter ist da schon der Gedanke daran, was Sprachenunterricht auch jetzt schon ist: ein Zugang zur Kultur. Denn wer meint, dass er mit der deutschen Übersetzung des Wortes "Nein!" schon alles über diese Reaktion gelernt hat, wird in englischsprachigen Regionen der Welt eines Besseren belehrt. Dass ein Nein unangebracht ist und durch ein "Ja, ich verstehe, aber …" ersetzt werden sollte, wenn man als Deutscher nicht als völlig unhöflich gelten will, ist ein Teil von Sprachkultur, den Schule verstärken sollte. Und schon seit Jahren verstärkt. Denn das sollte man anerkennen: Der Bereich Sprache mit einem sich seit Jahren verstärkenden Schwerpunkt auf Kommunikation und Kultur ist zum Beispiel im Fach Englisch einer der wenigen, in denen Deutschland auch im internationalen Vergleich sehr gut dasteht.

Dass dies auch mit den angesprochenen Medienwelten zu tun hat, muss Schulen nicht grämen, sondern sollte vielmehr ein Hinweis darauf sein, wie Schule sich verändern muss: Indem sie das, was da ist und noch kommt, integriert. Keine Angst davor hat, dazuzulernen. Und die Schwerpunkte verlagert. Das Gute (oder je nachdem auch das Schlechte) in Bezug auf den KI-Moment der Sprache ist: Eine Veränderung ist alternativlos, da sie geschieht und weiter geschehen wird. Die Klassentür zu schließen, ist keine Option. Sonst schafft man sich selbst ab. Und das wäre doch schade.

Verwendete Quellen
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