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Armut: Deutschlands vergessene Kinder


Kinderarmut
Auf der Suche nach Perspektiven für Deutschlands vergessene Kinder

"Ausgeträumt" heißt es für Deutschlands vergessene Kinder, das sind immerhin 2,5 Millionen. Sie leben in Armut und ohne Zukunftsperspektiven, die Zahl der Verlierer im System wächst. Immer stärker wird die Unzufriedenheit engagierter Bürger mit dem Sozialstaat. Doch es gibt Alternativen. Der Unternehmer Martin P. Danz und Arche-Gründer Bernd Siggelkow gehören zu dieser aktiven Gruppe, die etwas ändern und andere dazu mitreißen wollen.

Aktualisiert am 26.11.2013|Lesedauer: 4 Min.
t-online, Maria M. Held
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Deutschlands vergessene Kinder sind täglich konfrontiert mit der "Lüge vom sozialen Staat". Es sind die Kinder, die mit Hartz IV aufwachsen und selbst wohl im besten Fall selbst einen schlecht bezahlten Job haben werden, eher gar keinen. Chancengleichheit, Bildungsgerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit - diese Schlagworte gelten für sie nicht. Sie kennen Hartz IV, Perspektivlosigkeit, Kinderarmut, zerrüttete Familien, kaputte Schulen, frustrierte Lehrer, prekäre Arbeitsverhältnisse der Eltern. Die Zahl der Verlierer in unserem System wächst unaufhörlich. Schon jedes fünfte Kind in Deutschland lebt von Sozialhilfe, in Brennpunkten ist es sogar jedes zweite.

"Ausgeträumt" - wie sich Kinder zu neuen Perspektiven aufschwingen.Vergrößern des Bildes
"Ausgeträumt" - wie sich Kinder zu neuen Perspektiven aufschwingen. (Quelle: dpa-bilder)

Die Sorge wächst, dass auch Deutschland - insbesondere der Jugend - Krisen wie in Spanien oder Griechenland drohen.

Kinder leiden unter der "Lüge vom sozialen Staat"

"Die Lüge vom sozialen Staat" wollen Arche-Gründer, Bernd Siggelkow und der Unternehmer Martin P. Danz aufdecken. "Der Staat ist an vielen Stellen längst überfordert." Sie nutzen dazu aktuellste Studien und Statistiken, Danz schildert die wirtschaftlichen Zusammenhänge und politischen Strukturen. Siggelkow unterfüttert die Thesen mit Emotionen. Er beschreibt Fälle aus der Jugendsozialarbeit der 17 Archen in Deutschland, er erinnert an die Tragödien um Chantal, Jessica, Kieron, bei denen die Jugendämter versagt haben.

Siggelkow schildert die Sprachlosigkeit der Familien, die der Fernseher übertönt, die knurrenden Mägen der Kinder, weil der Kühlschrank leer und kein Geld für Essen da ist, die vermüllten Wohnungen, die staunenden Augen, wenn den Kindern im Kinder- und Jugendprojekt Arche Gutes getan wird. 1000 Kinder kommen allein in Berlin in die Arche, wo sie in der Freizeit betreut werden. Es sind Kinder, bei denen sich zu Hause keiner um Hausaufgaben kümmert, von denen manche noch nie einen Spielplatz gesehen haben, die keine Spaziergänge in der Natur kennen, .

Das staatliche Förder-Puzzle kommt bei Kindern nicht an

Gerade weil in Deutschland das Sozialsystem so sehr die Familie in den Mittelpunkt stellt, müsse die Familie umso mehr gestärkt werden. Das additive System des Sozialstaats, das Puzzle der familiären Unterstützung aus Elterngeld, Betreuungsgeld, Kindergeld, Bildungspaket greife nicht, so die Kritik der Autoren. Das Gießkannenprinzip komme bei den Kindern nicht an.

Kinder können sich ihre Familie nicht aussuchen

Doch Kinder können sich, so Siggelkow, ihre Familie nicht aussuchen. "In kaum einem anderen Land ist das Elternhaus so entscheidend für die Entwicklung von Kindern, im negativen wie im positiven Sinne", schreibt er. "Gerade deshalb ist es so immens wichtig, Familien ganzheitlich und gezielt zu unterstützen und Kindern hinsichtlich ihrer Bildung und Entwicklung zu helfen, egal aus welchem gesellschaftlichen Milieu sie kommen." Die persönlichen Situationen der Kinder sind zu stärken, um sie zum Leben zu befähigen, so eine ihrer Forderungen.

Kritische Bereiche: Jugendsozialarbeit, Kinderbetreuung, Arbeitswelt.

Für Danz und Siggelkow darf es keine Frage sein, ob Kind oder Karriere, beides muss vereinbar sein, damit Mütter nicht in der Armut enden. Menschen müssen von ihrem Job Leben können, um ihren Kindern zu vermitteln, Arbeit ermöglicht es Dir, ein ordentliches Leben zu führen und vermeidet das Risiko der Altersarmut. Der Schlüssel heißt Bildung, sie befähigt zum Leben und eröffnet neue Chancen.

Vision: Kinder zum Leben befähigen

Etwas blumig klingen die Visionen, wie der Pastor und der Unternehmer Kindern eine bessere Welt schaffen wollen. Sie sprechen von einem "neuen Garten im globalen Umfeld" und vom "LieBI-Prinzip", in dem es darum geht, die Lebensbefähigung der Kinder zu steigern, statt Geld, sich selbst "als Mensch in die Kinder zu investieren".

Ein Beispiel: Lernt ein Kind aus dieser Klientel einen Beruf, am besten im Pflegebereich, betreut die Sozialarbeit es gemeinsam mit dem Ausbilder auf dem Weg durch die Ausbildung, dann hat es einen Beruf, den die Gesellschaft dringend nachfragt, es benötigt keine Unterstützung vom Sozialstaat in Form von Hartz IV. Die Investition in die Betreuung der Bildung und Ausbildung ermöglicht also Lebenskompetenz und Lebensbefähigung. Das Kind wird als Erwachsener das zurückzahlen, was es als Kind erhalten hat. Ein Kreislauf.

In der Arche unterscheidet man zwischen Spenden von Gütern oder Geld und Investitionen von Zeit und Fähigkeit. Die Life-Empowerment-Investition, also die Lebensbefähigungsinvestition, kurz "LieBi", beinhaltet deutlich die Komponente der Nachhaltigkeit. Die Langzeitwirkung befähigt die Kinder, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, es gibt ihnen eine Wahlmöglichkeit.

Siggelkow und Danz versprechen sich große Effekte durch Zeit und Aufmerksamkeit für die Kinder, um ihre Chancen und ihre Leistungen zu steigern.

Will der Staat gar nichts ändern?

Soziales und Wirtschaft - die Probleme sind verkettet. Danz und Siggelkow zeigen die Verkettung der Problemfelder auf: Bildung, Kinderbetreuung, Frauen-Arbeitskarrieren, Niedriglohnsektor, Prekariat, Altersarmut. Unterschwellig klingt im gesamten Buch durch, dass die Autoren der Politik unterstellen, die Verhältnisse gar nicht ändern zu wollen. "All diese Dinge kosten Geld und unser Staat ist anscheinend nicht bereit , seine Prioritäten in Richtung Kinder zu verschieben." Oder er kann nicht, weil die Gräben zwischen Parteien, Zuständigkeit und Länderobrigkeiten zu tief sind. Deshalb heißt es, nach finanziellen Alternativen zu suchen, Bürger und Unternehmen sind gefordert.

Empörung ist nur der erste Schritt, Danz und Siggelkow wollen das Engagement Ehrenamtlicher entfachen, ob Butterbrote für hungrige Kinder zu schmieren, Hausaufgaben zu betreuen oder ob im Fall von Unternehmen, Geld zu spenden.

Es braucht Menschen mit Herz keine Verwalter

Drei Forderungen stellen sie auf. Es braucht nach Danz und Siggelkow mehr Qualität in den Rahmenbedingungen, wie Kinder aufwachsen, außerdem eine qualifizierte Kinderpolitik und einen "gelebten" Kinderschutz. Ein Schritt dazu ist, laut Danz, die Kreisläufe Wirtschaft und Soziales zu verbinden.

Die Autoren plädieren für eine stärkere Verzahnung von privatwirtschaftlichen Unternehmen mit sozialen Einrichtungen, die sich zum Ziel setzt, Kinder und Jugendliche in ihrem jeweiligen Umfeld gezielter und effizienter zu fördern.

Ihr Fazit: Es braucht Menschen mit Herz, die vor Ort handeln. Es braucht Nähe zu den Kindern und Jugendlichen und keine Verwalter. Und es braucht Unternehmungen und Unternehmer, die sich für die Zukunft unseres Landes engagieren, weil sie wissen: Es ist auch ihre Zukunft.

Buchtipp: Ausgeträumt: Die Lüge vom sozialen Staat, Bernd Siggelkow / Martin P. Danz, adeo, 2013

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