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"Die Kirche im Dorf lassen": Woher kommt die Redewendung? | Herkunft


Wieso sagt man ...?
"Die Kirche im Dorf lassen"

Sie beschweren sich und steigern sich in Ihre Emotionen hinein. Ihr Gesprächspartner findet, dass Sie maßlos übertreiben: "Jetzt lass doch mal die Kirche im Dorf!" – Aber woher kommt dieser Ausdruck eigentlich?

27.03.2023|Lesedauer: 3 Min.
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Es gibt viele Redensarten, die wir im Deutschen verwenden, ohne länger über sie nachzudenken. Dabei erzählen die meisten Redensarten, Sprichwörter und geflügelten Worte interessante Geschichten über ihre Herkunft. So auch die Redensart "die Kirche im Dorf lassen". Aber was bedeutet sie eigentlich, und woher stammt sie?

Die Pfarrkirche St. Sebastian in Ramsau bei Berchtesgaden an einem sonnigen Tag.Vergrößern des Bildes
Die Pfarrkirche St. Sebastian in Ramsau bei Berchtesgaden. Ist das so eine Kirche, die man im Dorf lassen muss? (Quelle: SCStock/getty-images-bilder)

Will man seinem Gesprächspartner sagen, dass er nicht übertreiben und bei den Tatsachen bleiben soll, sagt man ihm: "Jetzt lass mal die Kirche im Dorf" oder "Nun sollten wir mal die Kirche im Dorf lassen".

Es gibt zwei Theorien zum Ursprung der Redensart, wobei die erste inhaltlich besser zur heutigen Verwendung des Spruches passt, während die zweite sich schlüssiger anhand historischer Quellen herleiten lässt.

Immer Ärger mit der Kirchenprozession

Die erste Erklärung geht zurück auf die Prozessionen der katholischen Kirche, bei denen die Gemeinde an Feiertagen wie zum Beispiel Fronleichnam hinter dem Priester durchs Dorf zieht. Diese Praktik stieß in kleinen Dörfern allerdings schnell an Grenzen: Die Prozession startete an einem Ende des Dorfes und war nur kurze Zeit später am anderen Ende angekommen, und zwar schneller, als der Kirche lieb war. Zudem kamen aus der Umgebung meist noch Gläubige hinzu, was für ziemliche Enge in den schmalen Dorfgassen sorgte.

So kam es vor, dass die Kirchenprozession auch aus dem Dorf hinausgeführt wurde, was wiederum nicht allen gefiel. Viele Menschen waren der Ansicht: Die Kirche gehört ins Dorf – und damit auch ihre Rituale, Praktiken und die Gemeindearbeit. Kurzum: Das Kirchenleben muss im Dorf stattfinden, auch wenn die Prozession dann kleiner ausfällt. Der Ausdruck "Lasst die Kirche im Dorf" könnte also so entstanden sein.

Auch die ähnlichen Redewendungen "die Kirche ums Dorf tragen" und "mit der Kirche ums Dorf laufen/fahren" passen wohl zu diesem Kontext und beschreiben ein unnötig umständliches, kompliziertes Vorgehen.

Dorfkirchen wollen Einfluss, Macht und Geld

Die andere Erklärung für "die Kirche im Dorf lassen" reicht zurück ins Mittelalter. In dieser Zeit wurde der Ausdruck auch erstmals verwendet, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich. Auf Französisch lautet die Redensart "garder l'église au millieu du village" ("die Kirche in der Mitte des Dorfes lassen") oder "remettre l'église au millieu du village" ("die Kirche wieder in die Mitte des Dorfes stellen").

Im Mittelalter war eine Kirche im Dorf fest verwurzelt. Dörfer aus dieser Zeit zeigen das bis heute: Die Dorfkirche ist den meisten Fällen auch das geografische Zentrum der Siedlung. Auch in neu gegründeten Städten hatten die Stadtkirchen oft keine eigene Pfarrei, sondern wurden von der Pfarrei eines Dorfes mitbetreut. Ein prominentes Beispiel ist das Ulmer Münster: Als dieses gebaut wurde, lag die für Ulm zuständige Pfarrkirche nicht in Ulm selbst, sondern vor den Toren der Stadt.

Doch im späten Mittelalter wurden die Stadtgemeinden mächtiger und wollten sich nicht mehr alles von den Dorfpfarreien diktieren lassen, sie wollten unabhängig werden. Die Dorfpfarreien wiederum fürchteten um die Einnahmen, die von den Stadtgemeinden an sie flossen. Um diese Entwicklung aufzuhalten, verbreiteten sie das Argument, man solle die Kirche im Dorf lassen, denn dort sei sie traditionell gewachsen.

Verwendete Quellen
  • duden.de: Kirche
  • swr.de: Woher kommt: "Die Kirche im Dorf lassen"?
  • geo.de: Die Kirche im Dorf lassen
  • redensarten-index.de: "die Kirche im Dorf lassen"
  • dwds.de: die Kirche im Dorf lassen
  • "Alter Schwede", "Ich glaub, mein Schwein pfeift", "Holla, die Waldfee": Hinter vielen Redewendungen stecken faszinierende Geschichten. In dem Format "Wieso sagt man ...?" wollen wir Ihnen die Vielfalt unserer Sprache näherbringen. Wir zeigen Ihnen, wo die bekanntesten Redewendungen der deutschen Sprache ihren Ursprung haben und was sie wirklich bedeuten.
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