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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schadstoffe in Verpackungen "Diese Substanzen gehören aus dem Verkehr gezogen"
In den Läden wimmelt es von abgepackten Lebensmitteln. Doch bedenkliche Stoffe aus Plastik, Aluminium und Co. können auch in Produkte übergehen – und schädlich für den Verbraucher werden. Woran scheitern die Verbote?
Fertiggerichte in Aluschalen, Salat in Plastikschalen oder eine einzelne Gurke in eine Folie gewickelt: Ohne Verpackung geht es heutzutage kaum mehr. Das bringt einige Vorteile: Die Lebensmittel sind länger haltbar, vor äußeren Einflüssen geschützt und die Lagerung wird vereinfacht. Ein Nachteil: Deutschland versinkt im Verpackungsmüll. Laut einer Studie des Umweltbundesamts von 2018 gab es hierzulande 18,9 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle. Ein neuer Rekordwert.
Doch abgesehen von der ökologischen Komponente sind auch die gesundheitlichen Folgen nicht zu unterschätzen, die durch den Konsum von verpackten Lebensmitteln entstehen. Der Verbraucherschützer Tristan Jorde erklärt, was sich in Sachen Lebensmittelverpackungen künftig ändern müsste – und woran es aktuell noch hapert.
t-online: Herr Jorde, welche Substanzen, die von einer Verpackung ins Lebensmittel übergehen können, sind aus Ihrer Sicht besonders kritisch?
Tristan Jorde: Tendenziell sind es bei Kunststoffen die Weichmacher und die Zusatzstoffe, auf die man achten sollte. Bei Metallverpackungen, namentlich Aluminium, sollte geguckt werden, ob sich da etwas lösen kann. Das sind die bekannten Dinge. Aber auch aus Papierverpackungen können sich Substanzen lösen.
Dürften diese Schadstoffe überhaupt in Lebensmittelverpackungen sein?
Nein. Im Lebensmittelbereich gibt es strengere Bestimmungen als im Nicht-Lebensmittelbereich. Verpackungen dürfen keine Schadstoffe abgeben und das Lebensmittel negativ beeinträchtigen. Diese Formulierung steht im Lebensmittelgesetzbuch.
Der Diplom-Ingenieur Tristan Jorde ist Verbraucherschützer vom Fachbereich Umwelt und Produktsicherheit der Verbraucherzentrale Hamburg e. V. (VZHH).
Aus Untersuchungen wissen wir aber, dass immer wieder Stoffe von der Verpackung ins Lebensmittel übergehen. Und je eher das überprüft wird, desto weniger Schaden kann das anrichten. Vor allem das "Substanzhopping" ist ein Problem. Das heißt, es gibt gewisse Substanzen, von denen man weiß, dass sie schädlich sind. Ist der öffentliche Druck groß genug, werden sie aus dem Verkehr und dem Regal gezogen. Und dann kommt die Industrie sofort mit der Nachbarsubstanz und das ganze aufwendige Verfahren beginnt von Neuem.
Zum Beispiel?
Bei Bisphenol A (BPA) haben wir es ganz dramatisch bei den Kassenbons gesehen. Da wurde Bisphenol A Anfang letzten Jahres verboten und dann durch Bisphenol S ersetzt, was im Wesentlichen dasselbe ist. (Anm. d. R.: Die gesundheitsschädliche Chemikalie Bisphenol A (BPA), die häufig als Weichmacher zum Einsatz kommt, wurde für die Herstellung von Kassenbons auf Thermopapier verwendet. Der Stoff ist seit dem 1.1.2020 verboten.) Das wurde dann noch angepriesen mit „Bisphenol A-frei“ und hat dann vielleicht auch noch ein grünes Bäumchen bekommen.
Das sind aber nur Tricks der Hersteller: Sie tun da ein Blümchen, da ein Bäumchen und da ein Wölkchen auf die Produkte und suggerieren, es wäre Öko oder so etwas in der Art. Diese Substanzen und ihre gleichartigen Nachbarsubstanzen gehören aus dem Verkehr gezogen, sobald die Schädlichkeit erkannt ist.
BPA wurde nicht nur in Kassenbons, sondern auch in Babyflaschen verboten. Wenn dieser Schadstoff so bedenklich ist, warum beschränken sich die Verbote nur auf einzelne Produkte?
Das liegt in der Natur der REACH-Verordnung. (Anm. der R.: Die REACH-Verordnung ist die Verordnung der Europäischen Union mit dem Ziel, die Gesundheit und Umwelt vor Gefahren zu schützen, die durch Chemikalien entstehen können.) Wenn der Stoff als gefährlich erkannt wird, was meistens mehrere Jahre dauert, werden unterschiedliche Beschränkungen erlassen.
Der Schadstoff wird für gewisse Produkte oder für Anwendungen verboten oder generell verboten. Da aber in diesen REACH-Gremien ganz viele Menschen aus der Herstellung und Industrie sitzen und ganz wenige Menschen, die dagegenhalten, kommt genau das raus – minimale Verbote.
Welche gesundheitlichen Folgen kann denn der Kontakt mit zu viel Schadstoffen haben?
Wenn sich nennenswerte Schadstoffe rauslösen, kann es unterschiedliche Wirkungen haben. Bei Weichmachern geht das in Richtung hormonelle Wirksamkeit oder Entzündungsprozesse und kann Ihnen unter Umständen Probleme mit Leber, Nieren oder inneren Organen bereiten. Das passiert aber nur über lange Zeit und durch intensiven Kontakt, da müssen Sie schon sehr intensiv an der Verpackung nuckeln.
Wenn Sie das Aluminium aus metallischen Verpackungen aufnehmen, kann es Auswirkungen in Richtung Nervensystem geben oder es kann in die Blutbahnen und in die Knochen gelangen. Das sind Dinge, die dann unter Umständen längerfristig medizinische Probleme bereiten.
Das klingt nach einem sehr bedenklichen Schadstoff.
Das Problem ist auch, dass die Hersteller von Aluminiumverpackungen der Gefahr begegnen wollen und mittlerweile ihre Folien mit Kunststoff beschichten. Jetzt können Sie sich aussuchen, wollen Sie lieber, dass sich Aluminium in Ihr Essen hinein löst oder wollen Sie, dass sich Plastik oder Weichmacher lösen? Manchmal gibt es da ganz abenteuerliche Beschichtungen – zum Beispiel fluorierte Kunststoffe. Das erkennt ein Laie überhaupt nicht, denn das ist nicht deklariert.
Immer mehr Verbraucher achten auf Nährstoffe, Vitamine und die Herkunft eines Lebensmittels und lassen häufig die Verpackung und die gesundheitlichen Folgen außer Acht. Warum ist das so?
Die Verpackung hat die Funktion, das Produkt zu schützen, ohne selbst Teil des Produkts zu sein. Das heißt in vielen Fällen: Verpackung einfach aufreißen, wegwerfen, Produkt genießen – dann ist die Verpackung auch schon aus den Augen und aus dem Sinn. Sie dienen dann eigentlich nur als Werbungsträger, als Preisträger und eventuell als Produktinformationsträger, alles andere wird ausgeblendet.
Was könnte denn die Probleme der schadstoffbelasteten Verpackungsflut lösen?
Ich plädiere dafür, nicht den Schuldigen in Materialien zu suchen, sondern von Einweg auf Mehrweg umzusteigen. Der Königsweg bei Lebensmitteln ist Mehrweg. Wenn ich im regionalen Verbund meine Lebensmittel einkaufe und dabei mit Mehrwegverpackungen arbeite, dann kommen Sie durch die mehrmalige Verwendung deutlich in den ökologischen Vorteil hinein.
Wäre es auch sinnvoll, weniger Vielfalt bei den Verpackungen zuzulassen?
Es gab schon einmal die Standard Bier- und Mineralwasserflasche, die wurden flächendeckend verwendet. Mittlerweile haben sich die Händler durchgesetzt und sagen: "Nein, mein Produkt muss unverwechselbar und supertoll sein, also baue ich eine schräge Flasche mit einem Knick oder mit einem tollen Kunststoff, der im Dunkeln leuchtet." Solche Tendenzen widersprechen einerseits dem Mehrweggedanken und andererseits macht es die Überwachung im Schadstoffbereich viel schwieriger.
Wer ist in der Pflicht, wenn es um die Umstellung von Einweg- auf Mehrwegverpackungen geht?
Gute Frage. In der Pflicht ist die Verpackungsverordnung, jetziges Verpackungsgesetz – und damit das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium. Die eigentliche Aufgabe dieses Gesetzes war es, den Mehrweganteil zu steigern und den Einweganteil zu reduzieren. Das Gesetz ist seit 30 Jahren in Kraft und hat genau das Gegenteil bewirkt, das ist schon faszinierend, sozusagen kolossales Versagen einer Gesetzesmaterie.
Und was macht der Handel?
Das sind die Hauptverantwortlichen. Es gibt einen Megatrend, der sich im Hintergrund abspielt. Der Handel will die Lagerflächen in den Filialen nicht vorhalten, wo sie ihre Produkte und die Rückgabe zwischenlagern. Dort wollen sie das Personal weitgehend abschaffen. Der Trend im Handel ist die quasi personallose Filiale mit dem strategischen Ziel, die Lohnkosten soweit wie möglich zu senken. Das geht direkt mit einem weiteren Anstieg der Verpackungsflut einher. Deshalb will auch niemand mit Mehrweg hantieren. Diese ganze Rücknahme und Mehrwegverpackungen, das ist denen ein Gräuel.
Sie plädieren für Mehrwegverpackungen im Lebensmittelbereich. Enthält diese Art der Verpackung aber nicht auch Schadstoffe, die in die Lebensmittel übergehen können?
Ja klar, das können sie auch. Es ist gar nicht so leicht, unproblematische Mehrwegverpackungen zu finden. Aber einfache Kunststoffbehälter aus Polyethylen oder Propylen sind relativ verträglich und sind auch aus einem langlebigen, stabilen Kunststoff gebaut. Dadurch geben sie weniger Schadstoffe ab oder halten länger. Auch langlebige und lang genutzte Edelstahl-Behälter sind da manchmal sinnvoll.
Ansonsten gibt es auch die Möglichkeit, dass ich meine eigene Verpackung mitbringe. Das ist immer klug, da habe ich den Überblick, wie verwende ich es, wie wasche ich es aus, was tue ich damit, dann bin ich Herr meiner Kaufentscheidungen.
Eine eigene Verpackung mitzubringen ist aber nur bei losen Lebensmitteln möglich, dieses Angebot wird in vielen Läden nicht gemacht.
Absolut. Aber hier das Plädoyer, kaufen Sie im Zweifelsfall am Wochenmarkt mit loser Ware, und nur das Notwendige im Supermarkt. Ich weiß, dass es Leute gibt, die nur im Supermarkt einkaufen. Doch genau bei diesem exzessiven Discountereinkauf, wo alles mehrfach total verpackt ist, besteht dann eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass unerkannt Schadstoffe in die Lebensmittel übergehen.
Sind denn Biomaterialien wie zum Beispiel Bambus eine gute Alternative?
Gute Frage, Biomaterialien werden jetzt oft als Ausweg präsentiert und da sage ich nur: große Vorsicht. Natürlich sind tendenziell nachwachsende Rohstoffe besser als fossile Rohstoffe. Das ist aber nur eine Tendenz. Sie sollten immer darauf achten: Woher kommt das Material und wie wird es verarbeitet? Gerade Bambus ist da sehr negativ aufgefallen.
Warum?
Bambus ist ein Faserstoff, aber um daraus eine Form zu kriegen, muss ganz viel Harz beigemengt werden. Dieses Harz ist ganz konventioneller Kunststoff, Melaminharz, manchmal Formaldehydharz. Als Bambus titulierte Produkte enthalten dann oft weniger als 50 Prozent Bambusanteil und mehr als 50 Prozent dieser Harze, die eben auch problematische Stoffe abspalten. Biomaterialien sind also mit großer Vorsicht zu behandeln.
Eine einfache Kennzeichnung des Verpackungsmaterials könnte dann Verbrauchern helfen. Woran hapert es noch bei der Durchsetzung?
Die Verpackungsverordnung hat auch hier kläglich versagt. Sie hat ursprünglich die Intention gehabt, dass ökologisch wertvolle Verpackungen billiger und ökologisch bedenkliche Verpackungen teurer werden. Das war die Theorie. In der Praxis spielt sich das Ganze im Zehntelcent-Bereich pro Flasche oder Dose ab. Man kann also gar nichts aus dem Preis schließen.
Was müsste sich ändern?
Eine verbesserte Verpackungsverordnung könnte die Lizenzgebühren so anheben, dass negative Verpackungen, wie die Einweg Aludose, wirklich so teuer sind, dass sie keine Alternative mehr ist. Diese Verpackung ist wirklich eine Katastrophe, ökologisch betrachtet.
Die Traumziele eines Verbraucherschützers wären, dass sich die umwelt- und gesundheitsfreundliche Verpackung aus dem Preis ergibt. Und dass es bei Verpackungen von Lebensmitteln eine Offenlegung und Deklaration der Materialien gibt.
Herr Jorde, vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Tristan Jorde, Verbraucherschützer der Verbraucherzentrale Hamburg e.V. (VZHH)
- Umweltbundesamt: "Verpackungsabfälle"