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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vorstand Stiftung Warentest "Es gibt bei unseren Tests keinen Mitleidsbonus"
Es ist eine große Verantwortung, die die Stiftung Warentest trägt. Denn für kleine Unternehmen kann ein schlechtes Urteil aus ihrem Hause verheerend sein. Wie die Stiftung damit umgeht, verrät Vorstand Hubertus Primus im Interview mit t-online.de.
Von Spülmittel bis Staubsauger, von Versicherung bis Finanzierung des Eigenheims: Rund 100 Produkttests und 40 Tests von Dienstleistungen führt die Stiftung Warentest jedes Jahr durch. Wie sie dabei arbeitet, berichtet Vorstand Hubertus Primus im Interview. Er erzählt, wie Unternehmen auf schlechte Testurteile reagieren, was er von Produktbewertungen bei Amazon hält – und verrät, bei welchem Produkt er seine Frau nicht vom Testsieger der Stiftung Warentest überzeugen konnte.
t-online.de: Was war der aufwendigste Test der Stiftung?
Hubertus Primus: Der aufwendigste Test ist sicher unser Waschmaschinentest, bei dem wir eine Lebensdauer von zwölf Jahren simulieren. Die Maschinen laufen zu diesem Zweck ein Jahr lang ununterbrochen. Dann hat man das Ergebnis, wie lang so eine Maschine durchhält: Bei einer Waschmaschine riss zum Beispiel die Trommel. Sie durchbrach die Abdeckung der Waschmaschine und schleuderte spitze, scharfkantige Bruchstücke bis zu drei Meter durch den Raum.
Und was war der Test, der Sie am meisten überrascht hat, oder den Sie am interessantesten fanden?
Wir wissen viel über die Produkte. Deshalb ist es eher selten, dass uns Ergebnisse wirklich überraschen. Interessant in einer etwas anderen Hinsicht war aber der Test um die "Uschi Glas Hautnah Face Cream", weil wir dadurch mit dem Boulevard so viel zu tun hatten. Das hat mich sehr überrascht – nicht, weil der Testgegenstand so toll gewesen wäre, sondern aufgrund der immensen Wirkung. Wir haben die Creme "mangelhaft" bewerten müssen und anschließend vor Gericht gewonnen. Dann ging aber ein Kleinkrieg zwischen Boulevardmedien Nord und Süd los. Im Süden hieß es "Die böse Stiftung vergeht sich an unserer heiligen Uschi" und im Norden hat man Witze darüber gemacht. Das war sehr ungewohnt, auch für uns.
Wonach suchen Sie in der Stiftung die Produktgruppen aus, die getestet werden?
Wir führen Marktbeobachtungen durch. Wir haben etwa 100 Warentests im Jahr und 40 Dienstleistungstests und da versuchen wir natürlich, die Themen zu bedienen, die die Verbraucher interessieren oder die man länger nicht mehr gemacht hat. Das Spektrum ist breit: Mineralwässer, Matratzen, Waschmaschinen und auch Fernseher sind die beliebtesten Tests.
Hubertus Primus, Jahrgang 1955, steht seit 2012 an der Spitze der Stiftung Warentest. Der gelernte Jurist arbeitete unter anderem als freier Journalist mit den Schwerpunkten Recht/Steuern, bis er als Redakteur und später Chefredakteur der Stiftungszeitschriften "Finanztest" und "test" fungierte. Primus ist Mitglied im Stiftungsrat der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz und sitzt im Verwaltungsrat des Verbraucherzentrale Bundesverbands.
Wie geht es weiter, wenn ausgewählt wurde, welche Produkte Sie testen. Wie legen Sie die Testkriterien fest?
Das Prüfprogramm ist Aufgabe des Projektleiters. Er schaut sich an, nach welchen Normen und Methoden man prüfen könnte und entwickelt ein Prüfprogramm. Das wird dann noch mal mit Verbrauchern, Anbietern und neutralen wissenschaftlichen Institutionen diskutiert, damit kein wichtiger Aspekt vergessen wird. Wie das Prüfprogramm letztlich aussieht, entscheiden aber wir. Erst danach wird nach diesem Programm in einem unabhängigen externen Prüfinstitut getestet. Dann kommt ein Gutachten zurück und Projektleiter und Redakteur erstellen daraus die Tabelle mit den Bewertungen.
Die Arbeitsbedingungen bei der Produktion von Produkten spielt bei Ihren Tests meistens kaum eine Rolle. Warum?
Es ist nicht einfach und sehr, sehr aufwendig, deshalb können wir das nur bei wenigen, ausgewählten Tests machen. Bei Kaffee oder Textilien etwa gehen wir auch vor Ort und schauen uns an, wo die Produkte herkommen, unter welchen Bedingungen die Beschäftigten vor Ort arbeiten und welche Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden. Und es werden kontinuierlich weitere Untersuchungen zur sogenannten Corporate-Social–Responsibility kommen, über die ich noch nichts sagen darf.
Eine Studie der TU Dortmund hat ergeben, dass die Bewertungen von Kunden im Internet oft nicht den Bewertungen der Stiftung Warentest entsprechen. Was raten Sie Verbrauchern, wie sie mit Amazon-Bewertungen umgehen sollten?
Ich rate, die Bewertungen dort nicht so ernst zu nehmen, schließlich weiß man nicht, ob sie echt sind oder gefälscht. Verbraucher können einfach mal den Test machen und bei Google "Amazon-Bewertung kaufen" eingeben. Dann können Sie genau sehen, was Bewertungen kosten. Eine 5-Sterne-Bewertung bekommt man schon ab 22,95 Euro. Wir würden Amazon empfehlen, auf Kundenbewertungen ganz zu verzichten, um Fälschungen zu vermeiden.
Bewertungen auf Amazon sind nur ein Aspekt. Im Internet werden einem auf zahlreichen Seiten Tests angeboten, die sogar suggerieren, von Warentest zu stammen. Entsteht Ihnen dadurch ein großer Schaden?
Der Schaden entsteht dem Verbraucher, der darauf reinfällt. Wir gehen juristisch gegen solche Seiten vor. Es gibt zum Beispiel reine Fakeportale. Da steht dann "Wir haben Geschirrspüler getestet", ohne dass irgendwelche Kriterien für diese Tests aufgeführt werden. Und dann gibt es andere Seiten, auf denen etwa Kinderwagen positiv und nach Kriterien der Stiftung Warentest angepriesen werden – obwohl wir sie als "mangelhaft" getestet haben. Geld verdienen diese Portale mit Provisionen von Amazon, wenn dorthin verlinkt wird und die Produkte gekauft werden.
Gibt es auch Fälle mit gefälschten Stiftung-Warentest-Siegeln?
Um das zu verhindern, haben wir ein Logo-Lizenz-System. Unternehmen müssen sich da anmelden und dafür zahlen, dass sie mit dem Siegel werben dürfen. Auf dem Siegel ist auch eine Vertragsnummer angegeben. Das hat dazu geführt, dass plumpe Fälschungen geringer geworden sind. Zudem dürfen die Firmen auch nur zwei beziehungsweise mit Verlängerung drei Jahre damit werben. Da gibt es nicht so viele Probleme. Ein Ärgernis sind eher die Portale, die Tests vorgeben, ohne welche gemacht zu haben.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz bemängelt, dass sich allein durch ein Siegel mit dem Testurteil dem Käufer weder das Gesamturteil noch der Beurteilungsschwerpunkt des jeweiligen Tests erklärt. Wie sehen Sie diese Kritik?
Natürlich ist die Note die extremste Reduktion der Komplexität eines Tests. Aber sie hat sich als sehr aussagekräftig für den Verbraucher erwiesen. Man kann nicht alles auf einmal verlangen: dass wir die Komplexität reduzieren und den Verbrauchern das beste Produkt nennen und ihnen gleichzeitig aber genau erklären, was wir da tun. Wir haben zum Beispiel eine Datenbank mit Digitalkameras. In der kann man sich selbst nach bestimmten Kriterien die beste Kamera raussuchen. Wenn wir aber zusammenfassen, welche Kameras die besten sind und Modelle vorgeben, wird das häufiger angeklickt, weil uns vertraut wird. Die Verbraucher machen sich weniger die Mühe, sich das für sie passende Produkt selbst rauszusuchen. Das spricht dafür, dass sie die Ergebnisse schnell und komprimiert haben wollen. Und dann gibt es noch einen weiteren Aspekt.
Und zwar?
Wir machen unsere Arbeit für alle Verbraucher. Wir können aber nur mit den wenigen unser Geld verdienen, die sich das Heft oder die Internetabrufe leisten können. Deshalb ist es doch wunderbar, wenn jemand, der das Geld nicht hat, in den Laden geht und dort eine Shampoo-Flasche mit dem Siegel drauf sieht. Dann weiß er, dieses Produkt wurde gut getestet, was eine Kaufentscheidung positiv beeinflussen kann. Und diese Verbreitung schaffen wir nur mit der Note und nur mit diesem kleinen Siegel. Damit haben wir eine Wirkung, die weit über das Testheft hinausgeht.
Sie haben es schon angesprochen: Die Stiftung Warentest verfügt über eine hohe Glaubwürdigkeit. Da kann ein schlechtes Testurteil für ein Unternehmen verheerend sein, unter Umständen über seine Zukunft entscheiden. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?
Der Verantwortung sind wir uns bewusst. Man kann nur so damit umgehen, indem man versucht, möglichst exakt zu arbeiten. Man muss mangelhafte Urteile noch einmal gegenspiegeln. Das tun wir. Bevor ein "Mangelhaft" vergeben wird, wird das Produkt ein zweites Mal getestet, um zu sehen, ob sich das Ergebnis bestätigt. Es kann auch noch zu einem dritten Test kommen. Die Messdaten – nicht die Bewertung – gehen vor Veröffentlichung auch noch einmal an den Anbieter, um Messfehler auszuschließen. Wir arbeiten so sorgfältig wie möglich. Wenn wir das aber getan haben, gibt es keine andere Möglichkeit, als das Ergebnis zu veröffentlichen.
… und damit eventuell die Existenz eines Unternehmens zu gefährden …
Ja, Sie haben recht, es gibt kleine Unternehmen – etwa solche, die Discounter beliefern und sich völlig abhängig machen – deren Existenz bedroht ist, wenn sie infolge eines schlechten Ergebnisses ausgelistet werden. Danach können wir uns aber nicht richten; es gibt keinen Mitleidsbonus. Wo wollen Sie da sonst die Grenze ziehen? Als die DDR unterging, kam ein Politiker und wollte einen Ost-Bonus für Produkte aus den neuen Bundesländern haben. Wir sollten die Produkte testen und die Ergebnisse nur dann veröffentlichen, wenn sie gut sind. Das geht natürlich nicht.
Wie oft beschweren sich Unternehmen bei Ihnen wegen eines Testergebnisses?
Zu Rechtsstreitigkeiten kommt es relativ selten, etwa drei- bis viermal pro Jahr. Aber es gibt viele Unternehmen, die bei uns nachfragen. Oft sind dies inhabergeführte Unternehmen, die meinen, sie machen das beste Produkt der Welt, bei uns ein "Mangelhaft" bekommen und natürlich stinksauer sind. Wenn man denen aber die Kriterien erläutert und die Testergebnisse mit ihnen durchspricht, ist es sehr oft so, dass sie böse ankommen und nachdenklich weggehen. Deshalb gibt es relativ wenige Rechtsstreitigkeiten.
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Der Fachverband Matratze kritisiert: "Die Matratzentests der Stiftung Warentest schaden dem Markt und der Angebotsvielfalt". Was sagen Sie dazu?
Vielleicht hat der Matratzenfachverband mit dem Satz sogar recht. Wir haben bei Matratzen einfach die Tatsache, dass es ein Produkt gibt, nämlich das von Bett1, das in den Tests sehr gut abschneidet. Die Matratze ist einfach gut. Wir haben den Matratzenverband eingeladen zu unserem Fachbeirat, in dem wir über die Prüfkriterien diskutieren, und ihn gebeten zu äußern, was wir bei unseren Tests verändern sollten. Da kam leider keine Antwort. Solange Bett1 die beste jemals getestete Matratze ist, werden wir sie auch so bezeichnen. Ob wir da den Markt beeinflussen und so die Marktvielfalt senken? Da kann ich nur sagen: Ja, vielleicht verschwinden so ein paar schlechte Matratzen, die nicht mehr verkauft werden. Wir können aber an diesem Ergebnis nicht vorbei. Und dass die damit werben, ist auch verständlich. Es ist etwas krude zu sagen, weil unsere Produkte nicht mithalten können, macht die Stiftung Warentest die Marktvielfalt kaputt.
Können Sie noch völlig unvoreingenommen Einkaufen gehen?
Ja. Ich richte mich schon nach den Qualitätsurteilen – je teurer ein Produkt ist, desto mehr. Es wäre doch unklug, wenn ich mir die Expertise der eigenen Mitarbeiter nicht zunutze machen würde. Aber ich kaufe auch Produkte, die nicht gesund sind, bevorzugt Süßigkeiten. Und da gehe ich nicht immer nach Testurteilen.
Gab es ein Lieblingsprodukt, das in einem Test schlecht abgeschnitten hat, und das Sie aus diesem Grund nicht mehr kaufen?
So krass nicht. Bei Olivenöl zum Beispiel ist meine Familie auf den Testsieger umgeschwenkt. Bei Kosmetika ist es mir hingegen nicht gelungen, meine Frau von den Testsiegern zu überzeugen. In Hautcremes sind zu 90 Prozent die gleichen Inhaltsstoffe drin. Bei den Duftstoffen unterscheiden sie sich: Das macht den Unterschied – auch bei uns zu Hause. Da kann ich nichts ausrichten. Und gut damit leben.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Primus.
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