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Frauenhäuser: "Häusliche Gewalt geht durch alle Schichten"


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Häusliche Gewalt gegen Frauen
"Wenn die Grenze überschritten ist, geht es oft und häufig weiter"

InterviewEin Interview von Ana Grujic

Aktualisiert am 25.11.2018Lesedauer: 6 Min.
Häusliche Gewalt: Betroffene Frauen finden sich in allen sozialen Schichten und Altersklassen.Vergrößern des Bildes
Häusliche Gewalt: Betroffene Frauen finden sich in allen sozialen Schichten und Altersklassen. (Quelle: Thomas Trutschel/imago-images-bilder)
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Häusliche Gewalt ist ein Problem in ganz Deutschland. Die betroffenen Frauen kommen aus allen sozialen Schichten. Eine gewalttätige Beziehung zu verlassen, fällt aber vielen von ihnen schwer.

Im Schnitt versucht jeden Tag ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten. Das zeigen Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA). Doris Felbinger ist Geschäftsführerin der Berliner Initiative gegen Gewalt gegen Frauen (BIG) und erklärt im Interview, warum häusliche Gewalt nicht nur eine bestimmte soziale Gruppe betrifft. Und warum viele betroffene Frauen mehrere Anläufe brauchen, um eine gewalttätige Beziehung zu verlassen.

t-online.de: Wenn Sie an die Frauen denken, die sich bei BIG melden: Welche Gemeinsamkeiten haben sie?

Doris Felbinger: Eigentlich geht häusliche Gewalt – und ich denke, das wurde in den letzten Tagen in der Presse deutlich und auch in der Statistik des Bundeskriminalamtes – durch alle Schichten und alle Altersklassen. Man kann nicht sagen, dass eine bestimmte Gruppe Frauen gar nicht betroffen ist. Es gibt Risikofaktoren, etwa geringere Bildung. Aber es gibt auch in gebildeten Schichten das Phänomen der häuslichen Gewalt. So zeigte eine Studie des Bundesfamilienministeriums von 2012, dass Frauen über 45, die in relativem Wohlstand leben, ebenso von Gewalt betroffen sind. Weil in diesem Alter dann möglicherweise das Thema Trennung oder Scheidung vom Mann ansteht. Das führt zu Situationen, in denen Gewalt entsteht oder sogar eskaliert.

Sie haben es kurz angesprochen: Menschen aller Herkunft. Es kommt in Diskussionen oft das Argument, dass häusliche Gewalt vor allem ein Problem von Menschen mit Migrationshintergrund sei. Können Sie das bestätigen?

Wenn man sich die aktuelle Statistik für Deutschland ansieht, sind nahezu 70 Prozent deutsche Täter und deutsche Familien betroffen. Es gibt natürlich ebenfalls einen Anteil an Personen mit Migrationshintergrund. Aber die sind ja auch zu einem gewissen Prozentsatz in der Bevölkerung repräsentiert. Vielleicht gibt es manchmal etwas schwerere Vorfälle, die dann sehr schnell in der Presse landen. Alles in allem ist häusliche Gewalt ein Problem, dass hier in Deutschland auch die herkunftsdeutsche Bevölkerung betrifft.

Die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen, kurz BIG, kümmert sich seit 1993 um Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Der Verein koordiniert alle Stellen, die bei häuslicher Gewalt involviert sind. Das umfasst auch Prävention und die BIG-Hotline, die täglich von 8:00 bis 23:00 Uhr für betroffene Frauen, Unterstützer und Fachkräfte unter der Nummer 030 6110300 erreichbar ist. Doris Felbinger ist seit mehr als zwei Jahren die Geschäftsführerin von BIG e. V.

Die Feiertagszeit steht bevor: Gibt es bestimmte Zeiten, zu denen besonders viele Frauen Ihre Dienste in Anspruch nehmen?

Viele Menschen glauben, dass es zu Weihnachten oder Silvester, diesen klassischen Zeiten, wo die Familie zusammenkommt, besonders eskalieren kann. Aber mal ist es so, dann im nächsten Jahr ist es wieder anders. Unsere Statistik zeigt nicht, dass es jedes Jahr zu bestimmten Zeiten, etwa an den Feiertagen, eskaliert oder die Anruferinnenzahlen bei unserer Hotline dann extrem in die Höhe gehen.

Das heißt, die Gewalt ist immer da?

Die Gewalt ist immer da. Wenn man sieht, dass 2017 in Deutschland 147 Frauen umgebracht worden sind – also jeden zweiten, dritten Tag eine Frau –, dann zeigt das schon, dass das einfach ein langjähriges, durchgängiges Problem durch die gesamte Bevölkerung ist.

Wann nutzen Frauen die Dienste von BIG?

Man sagt, dass es für Frauen sieben Anläufe braucht, um sich aus einer gewaltvollen Beziehung zu lösen. Das geht mal schneller, mal weniger schnell. Die Frauen können natürlich immer wieder bei uns anrufen. Manchmal dauert es, bis sie Schritt für Schritt aus der Beziehung kommen. Zuerst erkundigen sie sich: Was ist das, was ich hier gerade erlebe? Kann ich Hilfe bekommen? Der nächste Schritt ist, dass sie sich Hilfe suchen. Dann ziehen sie sich vielleicht zurück. Dieser Prozess geht hin bis zu unserer Begleitung, wenn die Frau sich entschieden hat, sie möchte aus der Beziehung raus. Dann unterstützen wir sie bei der Antragsstellung und bei allen weiteren Schritten. Bei Frauen, die hochgefährdet sind, gibt es ein spezielles Programm. Da arbeiten wir auch mit dem Landeskriminalamt (LKA) zusammen, damit diese Frauen in ein spezielles Schutzprogramm aufgenommen werden.

Was bedeutet es, dass eine Frau hochgefährdet ist?

Da geht es um Fälle, bei denen es häufiger gewalttätige Übergriffe gibt. Oder man weiß vom Waffenbesitz des Täters, oder es sind Männer, die schon als Gewalttäter oder Intensivtäter erfasst sind. Aber auch, wenn die Frau verletzt ist. Letztendlich nimmt das LKA aber die Einschätzung vor. Das machen wir nicht selbst.

Sie haben kurz erwähnt, dass die Frauen in allen Schichten vertreten sind. Wie würden Sie einen typischen Täter beschreiben?

Ich würde mich nicht vorwagen, eine typische Täterbeschreibung abzugeben. Wenn die Frauen aus allen Milieus stammen, dann auch die Täter. In der neuen Statistik ist auch der Tatbestand der Zwangsprostitution aufgenommen worden. Das ist dann schon im kriminellen Milieu. Es gibt aber ebenso den durchschnittlichen Mann, der von sich sagt, dass er seine Frau liebt, der aber sehr kontrollierend und machtausübend ist. Häusliche Gewalt geht, wie gesagt, durch alle Schichten. Auch in wohlhabenden Familien kommt das vor. Von daher glaube ich nicht, dass man sagen kann: Das ist der typische Täter. Ich glaube nicht, dass man da Profiling machen und sagen kann: Bei dem Mann ist es wahrscheinlich, dass er eine Frau schlägt.

Was würden Sie Frauen raten, die in einer gewalttätigen Beziehung sind?

Auf jeden Fall Hilfe suchen. Zum Beispiel das bundesweite Hilfetelefon anrufen. Hier in Berlin können sie sich an unsere Hotline wenden. Wenn Frauen Vertrauenspersonen haben, sollten sie mit denen sprechen und gegebenenfalls um Unterstützung und Begleitung bitten. Sie sollten sich auf jeden Fall Informationen und Wissen sammeln und sich Unterstützung holen für die Schritte aus der Gewaltspirale. In der Regel hört das nicht von selbst auf.

Was würden Sie Personen raten, die im Bekannten- oder Familienkreis beobachten, dass eine Frau geschlagen wird?

Da würde ich tatsächlich sagen, dass man die Hotline anrufen soll. Dort kann man sich informieren, wie man im konkreten Fall klug vorgehen kann. Ist es etwa sinnvoll, der Frau einen Flyer mitzubringen? Wir haben so kleine Give-aways, wo die Telefonnummer von der Hotline drauf ist. Gibt es die Möglichkeit, mit den betroffenen Frauen in Ruhe zu sprechen? Da können unsere Beraterinnen mit den Personen, die Unterstützung suchen, sprechen und ein paar Tipps mitgeben, wie man in so einer Situation vorgehen könnte.

Frauen rufen an und fragen, ob es überhaupt häusliche Gewalt ist, was sie erleben. Wann sollte eine Frau Hilfe suchen?

Körperliche Gewalt fängt früh an. Das kann beginnen mit Schubsen, festem Anfassen, leichten Ohrfeigen. Wenn die Frau das Gefühl hat: Das möchte ich eigentlich nicht und ein kontrollierendes Verhalten bemerkt. Für die Frauen ist es natürlich schwer, denn wenn sie an so eine Situation gewöhnt sind, nehmen sie das nicht als außergewöhnlich wahr. Dass etwas nicht stimmt, bemerken Frauen dann oft, wenn sie Angst um ihre Kinder haben. An dem Punkt allerspätestens sollten sie Hilfe suchen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass eine große Öffentlichkeit über Medien und Berichte davon erfährt: Damit die Frauen auch lernen, dass das, was passiert, nicht normal ist. Diese Frauen sind nicht die Einzigen, denen so etwas passiert. Oft ist das, was passiert, beschämend für die Frauen und sie trauen sich nicht raus. Die MeToo-Debatte hat gezeigt, dass Frauen sich eher trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn andere Frauen in die Öffentlichkeit gehen.

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Sie sehen MeToo und ähnliche Debatten positiv?

In jedem Fall. Weil es eben zeigt, dass so etwas nicht sein kann und darf. So kommen betroffene Frauen aus ihrer Isolation raus. Auch wenn eine Frau nicht aktiv Hilfe sucht, bekommt sie einen Hinweis, dass es nicht in Ordnung ist, was mit ihr selbst oder einer anderen Betroffenen passiert. Dass sie da nicht alleine steht. Dass es Hilfsangebote gibt, die sie auch kostenlos in Anspruch nehmen kann.

Man hört oft: "Das war ein einmaliger Ausrutscher." Gibt es das, dass ein Übergriff nur einmal passiert?

Das gibt es nicht. Das ist statistisch eher unwahrscheinlich. Wenn die Grenze überschritten ist, geht es oft und häufig weiter. Häusliche Gewalt hört nicht von alleine auf.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Felbinger.

Fakten zu häuslicher Gewalt in Deutschland:

Die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zeigte Mitte November, dass im Jahr 2017 insgesamt 138.893 Personen Opfer von Partnerschaftsgewalt geworden sind. 82 Prozent davon der Opfer sind Frauen. Bei insgesamt 364 Tötungsversuchen haben 141 Opfer ihr Leben verloren. Knapp 29.000 Frauen wurden von Partnern oder Ex-Partnern bedroht, gestalkt oder genötigt, rund 11.800 erlitten schwere körperliche Verletzungen. 1.500 Frauen wurden im Rahmen von Partnerschaftsgewalt Opfer von Freiheitsberaubung. Am höchsten ist die Zahl der einfachen, vorsätzlichen Köperverletzung: Knapp 69.000 Frauen waren davon betroffen.

Deutschlandweit gibt es etwa 350 Frauenhäuser, 100 Schutzwohnungen mit über 6.000 Plätzen und über 600 Beratungs- und Interventionsstellen. Deutschland hat sich 2017 mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention zu koordinierten und systematischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen verpflichtet. Bislang lag die Finanzierung von Frauenhäusern in der Hand der Kommunen. 2019 steuert der Bund nun erstmalig 5,1 Millionen Euro für Modellprojekte und 2020 rund 30 Millionen Euro für den Ausbau bei.

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