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Häusliche Gewalt: Was tun, wenn der Partner zuschlägt?


Aggression in der Beziehung
Häusliche Gewalt: Was tun, wenn der Partner zuschlägt?

dpa, Petra Kaminsky

Aktualisiert am 27.07.2017Lesedauer: 5 Min.
Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass mehr als 80 Prozent der von häuslicher Gewalt Betroffenen Frauen sind.Vergrößern des BildesDas Bundeskriminalamt geht davon aus, dass mehr als 80 Prozent der von häuslicher Gewalt Betroffenen Frauen sind. (Quelle: Maurizio Gambarini/dpa)

Männer suchen die Schuld für Probleme und Krisen eher in der äußeren Welt, zum Beispiel bei ihrer Partnerin. Wenn ihr innerer Druck extrem steigt, schlagen manche sogar zu. Warum es in Partnerschaften zu Aggression und Schlägen kommt und was Betroffene dagegen tun können, erläutert Psychologin Birgit Spieshöfer im Interview.

Es gibt immer wieder Prozesse, wo es um den Mord an der eigenen Ehefrau geht. Sind die Täter häufig krank?

"Mit dem Wort Krankheit ist es eine schwierige Sache. Für mich ist es so, dass in jedem Menschen eine Geschichte steckt. In Männern wie Frauen. Menschen tragen viele Erlebnisse und Erfahrungen mit sich, oft aus der Kindheit. Das hat uns geprägt, und die gilt es zu ergründen und – für die Betroffenen – sich bewusst zu machen.

Ich möchte richtig verstanden werden: Es geht nicht darum, damit irgendeine Tat zu entschuldigen. Sondern Verhalten zu erklären. Als Erwachsene sind wir verantwortlich für alles, was wir tun. Da fallen mir in meiner Praxis zwei Dinge auf: Männer und Frauen ticken in ihrem Innern oft unterschiedlich. Und häufig entwickelt sich die Spirale von Aggression und Gewalt in einer Beziehung über längere Zeit. Am Anfang ist es nur eine Unbeherrschtheit in Konfliktsituationen, und schleichend wird es mehr."

Welche Unterschiede spielen bei Gewalt in der Partnerschaft eine Rolle?

"Männern fällt es schwerer als Frauen, ihr Innenleben wahrzunehmen. Das ist zum Teil so angelegt – das macht sie handlungsfähiger –, aber auch erlernt. Sie suchen die Ursache und Schuld für Probleme und Krisen weniger in sich, in eigenen Schwächen und Erlebnissen, sondern in etwas Äußerem. Und so etwas Äußeres ist dann zum Beispiel ihre Frau. Sie hat dann aus Sicht des Mannes etwas gesagt oder getan, was ihn wütend macht oder irgendein schwieriges Gefühl auslöst. Das Problem ist dann nicht seine Wut, sein Gefühl, sondern die Frau, die ja Schuld daran ist, dass er diese Gefühle hat.

Frauen dagegen erleben in Konflikten und Krisen eher ihre innere Gefühlswelt, sie fühlen sich nicht wert genug, haben das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, und suchen deshalb bei sich nach dem Problem. Sie setzen dann einem Mann, selbst wenn er aggressiv wird, nicht früh genug eine Grenze. Denn um eine Grenze zu setzen, muss ich mich richtig fühlen. Auch das entschuldigt nichts, ich beschreibe einen Prozess, den ich häufig sehe. Auf eine Art passen wir also hervorragend zusammen. Aber es ist für beide Seiten, na sagen wir, unbefriedigend."

Aber wenn jemand Druck hat, muss er doch nicht zuschlagen?

"Richtig. Doch in manchen Menschen, Männern, staut sich immer mehr emotionaler Druck auf, den sie nicht loswerden. In den meisten Fällen haben sie nicht gelernt, damit umzugehen. Sie leiden und sehen die Ursachen nur außerhalb von sich. Und wenn jemand beispielsweise als Kind auch noch Gewalt als häufige Verhaltensweise kennengelernt hat, kann er zu einem Pulverfass werden. Druck, Gefühle und Wut stauen sich auf – und entladen sich irgendwann nach außen, etwa gegen seine Partnerin oder wer immer in der Nähe ist, der schwächer ist. Und das oft mit dem Gefühl, im Recht zu sein. Zumindest bis bei manchen danach die Schuldgefühle spürbar werden."

Gibt es besonders heikle Situationen?

"Ja, Verlust, wie zum Beispiel eine Trennung. Das löst intensive Gefühle von Schmerz, Trauer und Hilflosigkeit aus. Mit Wut versuchen wir, uns vor diesen Gefühlen zu schützen. Was, das betone ich, nur vorübergehend funktioniert, denn sie sind ja bereits in uns. Wut ist bei Männern häufig zerstörerisch, weil sie sie eher ausagieren – mehr als Frauen. Wenn eine Frau sich von dem Partner trennen will, kann dann die Lage eskalieren.

Es gibt Männer, die erleben den Schmerz, die Trauer und die damit verbundene Hilflosigkeit als übergroß, sie können damit aber nicht in sich umgehen. Sondern versuchen, nach außen zu reagieren, sie versuchen irgendwie zu handeln. Das Motto ist dann: Ich töte den Überbringer der schlechten Nachricht – damit der innere Schmerz endlich aufhört. Auch wenn das nicht gelingen kann. Aber in der Regel sind die Täter in ihren inneren Welten und Gefühlen gefangen, in Ängsten, dem Schock des Verlassenwerdens. Da kommen sie auch nach der Tat manchmal kaum raus. Manche bringen auch sich selbst um, um nicht mehr zu fühlen."

War überhaupt mal Liebe im Spiel, wenn am Ende Mord steht?

"Ich unterscheide auch bei der Liebe – und anderen Gefühlen – zwischen der äußeren, der rationalen Handlungsebene. Und der inneren Ebene, auf dieser geht es um unsere Gefühle, die nichts mit Logik zu tun haben. Viele dort sind in der Kindheit entstanden und nicht verarbeitet. Am Anfang so einer Beziehung kann eine erwachsene Liebe gestanden haben. Aber alles Verletzte und Ungelöste in uns möchte geheilt werden und zeigt sich vor allem in unseren engen Beziehungen.

Wenn kindliche Sehnsüchte, Bedürfnisse und kindliche Abhängigkeit zwischen zwei Menschen die Hoheit übernehmen, würde ich nicht mehr von einer erwachsenen Liebe sprechen. Sobald die inneren Dramen regieren, ist einer, meistens beide, in kindlichen Emotionen verfangen. In sehr vielen Partnerschaften wird das Thema – und dann geht es darum, diese Anteile bei sich wahrzunehmen und sie in sich zu heilen. Dafür kann ich mir fachkundige Unterstützung suchen. Mein Partner oder Partnerin ist nicht verantwortlich für diese Gefühle.

Kann ein derart gewalttätiger Mann sich ändern?

"Das ist schwer. Jemand, der so in seinem inneren Drama gefangen ist, glaubt oft, da er die Hilflosigkeit nicht aushalten kann, er müsse genau das tun – und nichts anderes. Aber wenn sein Leidensdruck extrem groß ist, kann es auch eine Art Aufwachen geben. Der Mensch muss sich bewusst werden, welche Kräfte in seinem Inneren wirken. Das kann passieren, wenn die Frau klare Grenzen setzt, wenn sie aus ihrem Gefühlsdickicht rauskommt und handelt. Das ist etwas, was uns Frauen, im Gegensatz zu Männern, meistens so schwer fällt: nicht erst verstehen und verstanden werden wollen, sondern für uns selbst in die Handlung zu kommen."

Was sollte eine Frau, die Opfer häuslicher Gewalt ist, tun?

"Zum Beispiel kann sie, bei Gewalt, schon früh zur Polizei gehen. Die hat oft geschulte Leute, die ihr erstmal mit Informationen helfen, klarer zu sehen, welche Möglichkeiten sie hat. Oder der Mann erkennt, was er getan hat, nach einer Tat im Prozess oder Gefängnis. Oder in einer Therapie. Aber es ist eine große Herausforderung. Wirklich wahrzunehmen, was man gemacht hat, ist sehr schmerzhaft. Stellen Sie sich vor, Sie fühlen sich richtig mit einer so folgenschweren Handlung, und sei es nur, weil Sie überzeugt waren, keine andere Möglichkeit gehabt zu haben. Und dann erkennen Sie, wie falsch Sie gelegen haben, wie blind sie waren... Puh, damit muss man erstmal klarkommen."

Wie kommt man aus dem Teufelskreis häuslicher Gewalt heraus?

Je eher ein Mann merkt, dass seine Wut, seine Gefühle nur mit ihm selbst zu tun haben und sich Unterstützung beim Umgang mit ihnen sucht, desto besser. Dazu muss er erleben, dass sein Verhalten nicht akzeptiert wird. Vorzugsweise durch andere Männer. Gleichzeitig braucht es dazu auch Frauen, die sich ihres eigenen Wertes und ihrer Kraft bewusst sind. Und die klar und fest ihre Grenzen setzen und dementsprechend handeln. Das fängt schon im Kleinen an.

Hilfen und Anlaufstellen

Für Opfer häuslicher Gewalt gibt es ein engmaschiges Netz von Hilfsangeboten – vom Notruftelefon über Zufluchtsorte bis zur Unterstützung speziell für Kinder.

  • Im Notfall sollten Opfer oder Beobachter von häuslicher Gewalt die 110 wählen, rät die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes. Die Polizei kann Täter zum Beispiel aus der Wohnung verweisen oder in Gewahrsam nehmen und Schutzmaßnahmen für das Opfer anordnen.
  • Telefonische Hilfe für Betroffene gibt es rund um die Uhr, kostenlos und vertraulich beim bundesweiten Hilfetelefon unter der Rufnummer 08000/116 016. Verantwortlich dafür ist das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, die Beraterinnen beherrschen insgesamt 17 Sprachen. Speziell für Kinder gibt es die Nummer gegen Kummer: 0800/111 03 33.
  • Hilfe und Zuflucht finden Opfer von häuslicher Gewalt auch bei Ehe- und Familienberatungsstellen, bei Rechtsberatungsstellen, Opferhilfeorganisationen oder in Frauenhäusern. Auf der Webseite www.frauen-gegen-gewalt.de gibt es eine Suchmaschine für lokale Hilfsangebote.

2016 hat das Bundeskriminalamt für das Vorjahr Zahlen zu häuslicher Gewalt in Deutschland zusammengetragen.
Im Jahr 2015 wurden 127.457 Menschen Opfer von Mord und Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Bedrohung und Stalking durch Partner oder Ex-Partner. Davon waren knapp 82 Prozent Frauen, insgesamt mehr als 104.000.
36 Prozent aller Frauen, die 2015 in Deutschland Opfer von Mord und Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Bedrohung und Stalking wurden, erlitten dies in Paarbeziehungen.
77.200 Frauen wurden in Partnerschaften Opfer von Körperverletzungen.
16.200 Frauen wurden bedroht.
Über 7900 Frauen wurden gestalkt.
331 Frauen wurden Opfer von Mord und Totschlag.
Bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung in Partnerschaften waren die Opfer zu fast 100 Prozent weiblich, bei Stalking und Bedrohung in der Partnerschaft waren es fast 90 Prozent. Bei vorsätzlicher einfacher Körperverletzung sowie bei Mord und Totschlag in Paarbeziehungen waren es rund 80 Prozent.

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