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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bäckermeister erklärt "Wirklich gutes Brot kostet mindestens vier Euro das Kilo"
Gutes Brot braucht nicht viel, meint Bäckermeister Bernd Kütscher. Im Interview erzählt er, warum er von billigem Brot vom Discounter dennoch nichts hält und verrät, was deutsches Brot so besonders macht.
Deutsches Brot ist weltweit bekannt, in vielen Ländern wird explizit mit Broten nach deutschen Rezepten geworben. Die Unesco hat die Deutsche Brotkultur sogar als Weltkulturerbe anerkannt.
Doch was macht deutsches Brot so besonders und was ist überhaupt ein gutes Brot? Bäckermeister Bernd Kütscher ist Direktor der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk und verrät im Interview, warum gerade deutsches Brot in aller Welt bekannt ist und worauf es beim Backprozess ankommt. Er sollte es wissen, schließlich ist er auch der Coach der deutschen Bäckernationalmannschaft.
t-online.de: Ist Brot, das im Discounter für weniger als einen Euro das Kilo angeboten wird, noch gutes Brot?
Bernd Kütscher: Das muss jeder für sich entscheiden, doch ich finde: Eindeutig nein! In der Regel sind die Brote in den SB-Regalen vor Wochen irgendwo vollautomatisch gebacken und dann eingefroren worden. Dann kommen sie in Plastiksäcke, Kartons und auf Paletten und werden kreuz und quer transportiert, bis sie irgendwann im Handel landen und dort kurz aufgebacken werden, um den Eindruck einer frischen Backware zu erwecken. Oft steht sogar 'frisch gebacken' dran. Ich finde, das ist Verbrauchertäuschung! Bei diesem Prozess leidet auch die Qualität sehr.
Wenn das Brot beim Discounter ohnehin in den Ofen muss, warum wird es dann nicht einfach vor Ort gebacken?
Dazu braucht es eine Backstube und Bäckermeister, die tagesfrische Teige herstellen
und am Ofen den optimalen Zeitpunkt der Gare bestimmen können. Denn ein Teig ist etwas sehr Lebendiges: Wenn er zu reif ist, fällt er im Ofen zusammen und ist auch geschmacklich nicht mehr toll. Wenn er zu knapp ist, reißt das Brot im Ofen auseinander und wird zu kompakt. Da ist es natürlich einfacher und billiger, Kartons mit fertigen, lediglich sehr hell gebackenen Broten, aufzureißen und am Ofen die Programmnummer zu drücken, die auf dem Karton steht.
Bernd Kütscher, Jahrgang 1968, ist Bäckermeister, Direktor der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim und Coach der deutschen Bäckernationalmannschaft. Außerdem war er Mitglied der Jury in der ZDF-Sendung Deutschlands beste Bäcker und hat mehrere Fachbücher über Brot geschrieben.
Was macht denn ein richtig gutes Brot aus?
Für ein gutes Brot benötigt man nichts weiter als Mehl, Wasser, Salz und vielleicht etwas Hefe. Auch Sauerteig besteht ja nur aus Mehl und Wasser, das zusammen fermentiert wurde. Je nach Brotsorte kommen natürlich weitere Zutaten wie Sonnenblumenkerne, Nüsse oder Gewürze dazu. Der Teig muss sehr weich sein, was Handarbeit erfordert. Er braucht dann eine möglichst lange Reifezeit und eine ausreichende Backzeit im Ofen, sodass sich eine ordentlich dicke Kruste entwickelt. 80 Prozent des Brotaromas kommen aus der Kruste, die das Brot auch lange frisch hält.
Bei Ihrer Aufzählung der Zutaten kamen Enzyme nicht vor. Haben Enzyme in einem guten Brot nichts verloren?
Grundsätzlich setzt man ja Enzyme zu, um die Brotqualität zu verbessern. Bäcker haben schon vor über 100 Jahren gemerkt, dass Malz ein Brot leckerer macht. Malzen sind nichts anderes als natürlich hergestellte Enzyme aus gekeimter Gerste. Wenn man also zu gewissen Brotsorten etwas Malz hinzugibt, dann finde ich das gut. Wenn man technische Enzyme nur zugibt, um den industriellen Prozess überhaupt zu gewährleisten, finde ich das weniger gut. Denn dann geht es nicht mehr um die Produktqualität, sondern darum, einen Prozess zu ermöglichen.
Höhere Qualität erfordert auch einen höheren Preis. Was glauben Sie, muss ein Brot mindestens kosten, damit es gut sein kann?
Ich glaube, wirklich gutes Brot kostet mindestens vier Euro das Kilo. Wer handwerklich produziert, hat es unter diesem Preis sehr schwer und muss Einschränkungen machen. Zum Beispiel bei der langen Ruhezeit, die es bei der Industrie ohnehin kaum gibt.
Warum sind Ruhezeiten für Teige in der Industrie unüblich?
Wenn Sie eine Anlage haben, aus der zehn Tonnen Brot pro Stunde rausfallen, dann haben Sie keinen Platz, diese Teige ewig reifen zu lassen. Da muss alles sehr schnell gehen. Man kann natürlich Enzyme einsetzen, die diese Prozesse beschleunigen. Aber man kann das auch auf natürliche Weise machen, indem man den Teigen einfach Zeit gibt, um zu reifen. Ich glaube, dass ein gutes Brot diesem natürlichen Prozess entspringt und nicht einem beschleunigten.
Gutes Brot braucht also neben guten Zutaten viel Zeit. Ist das auch das Grundrezept für gutes deutsches Brot? Was macht es so besonders?
Wenn Sie in die Welt rausreisen, werden Sie feststellen, dass überall das Weizenbrot verbreitet ist. Weizen hat den Mais abgelöst und auch in Asien zunehmend den Reis. Das typisch deutsche Brot ist das Mischbrot, das eben nicht nur auf Weizen basiert, sondern auch Roggen beinhaltet.
Warum dominiert in Deutschland das Mischbrot?
Der Hintergrund ist unter anderem die Getreidevielfalt in Deutschland. Wir haben eben auch den Roggen im Norden des Landes und wir haben den Dinkel auf der schwäbischen Alb.
Roggen und Dinkel machen deutsches Brot also besonders. Was noch?
Der deutsche Föderalismus hat dafür gesorgt, dass die Menschen in den einzelnen Landstrichen sich schon immer auch im Brot unterscheiden wollten. Deshalb ist beispielsweise eine badische Brezel von der Form und von der Rezeptur her ganz anders als eine bayerische Laugenbrezel. Man wollte sich halt unterscheiden und das Brot hatte einen Regionalcharakter. Aber es gab auch immer eine Durchmischung der Brotkultur. Früher sind die Gesellen gewandert und haben die Kultur aus anderen Regionen mitgebracht, heute haben wir offene Grenzen. Auch diese Vermischung ist typisch deutsch.
Gibt es auch handwerkliche Unterschiede zu Brot aus anderen Ländern?
In Deutschland haben wir ein Ausbildungssystem, um das uns viele beneiden. Hier darf nur jemand eine Bäckerei eröffnen, der auch Bäckermeister ist. Und deutsche Bäckermeister haben erlernt, Vielfalt zu erstellen und eigene Rezepte zu kreieren. In Spanien beispielsweise darf jeder eine Bäckerei aufmachen. Brot nach einem Rezept nachzubacken, kriegen viele noch hin, aber um eigene Rezepte zu erstellen, braucht es schon mehr Kenntnisse.
Vielfalt ist also wesentlich für das deutsche Kulturgut Brot. Wie viele Brotsorten gibt es denn eigentlich in Deutschland?
Es gibt über 3.200 verschiedene Brotsorten, die derzeit jeden Tag am Markt angeboten werden. Das rührt auch daher, dass wir in Deutschland sehr aufgeschlossene Verbraucher haben, die die Vielfalt im Brot sehr schätzen. Versuchen Sie mal, einem Franzosen ein Pumpernickel zu verkaufen! Das wird schwer, weil Franzosen durch ihre Kultur sehr an die lockeren, weizenbetonten Brote gebunden sind. Die Deutschen sind eher offen für Neues und finden auch Trends wie Brote mit Chia-Samen aus Südamerika ganz spannend. Die Bäcker bekommen das mit, nutzen ihre Chance und bieten auch mal ein Brot mit Chia-Samen an.
Sind denn Chia-Brote gerade der aktuelle Trend?
Chia ist fast schon wieder vorbei! Brottrends kommen und gehen in Deutschland fast täglich. Ein sehr nachhaltiger Trend sind Brote aus Urgetreide. Menschen kaufen ganz bewusst Brote aus alten Getreidesorten wie Emmer, Dinkel oder Einkorn. Das betont auch das Thema Regionalität, weil es für das Urgetreide noch keinen Weltmarkt gibt. Es sind in der Regel regional erzeugte Getreide.
Sie sind auch Coach der Bäckernationalmannschaft. Hilft Ihnen der Ruf des deutschen Brotes bei Wettkämpfen?
Nein. (lacht) Der hilft leider nicht! Natürlich sind wir als Team Deutschland immer auch in der Favoritenrolle. Aber im Wettkampf selbst zählt das Produkt, wie es da liegt. Da hilft der gute Ruf leider gar nichts. Das ist genauso wie beim Fußball. Wenn Brasilien gegen Deutschland spielt, dann haben beide Mannschaften einen guten Ruf. Wie man aber schon mal gesehen hat, kann eine Mannschaft auch einen schlechten Tag haben. Da nützt der gute Ruf gar nichts, da zählen nur Tore. Und bei Backwettbewerben zählen nur Punkte.
Sie haben in Ihrer täglichen Arbeit mit vielen leckeren Brotsorten zu tun. Haben Sie trotzdem ein Lieblingsbrot?
Welches Brot ich gerne esse, hängt stark von meiner Stimmung ab. Wenn draußen die Sonne strahlt, dann esse ich gerne mediterrane Brotsorten. Dann darf es was Lockerleichtes mit Olivenöl sein. Ich mag aber auch klassische, rustikale Sauerteigmischbrote mit dicker Kruste, gerne im Holzofen gebacken. Je nach meiner Tagesform können gerne auch Walnüsse oder Sonnenblumenkerne drin sein.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kütscher.