Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Leben 100 Jahre nach dem Verbot – die Grüne Fee ist zurück
Comeback im Glas: Am 16. März 1915 verbot die französische Regierung die Herstellung des Absinth – der bittere Kräuterschnaps wurde als Droge eingestuft. . wanted.de beleuchtet die Historie des skandalumwitterten Drinks.
Absinth findet wegen seiner sagenumwobenen Inhaltsstoffe und auch wegen der kultigen Verkostung viele Anhänger. Der Kräuterschnaps, der pur wunderbar grüngelb schimmert und beim Tschechischen oder auch Böhmischen Ritual über dem Glas angezündet wird, hat sogar ein eigenes Museum. Das "Haus des Absinths" im schweizerischen Môtiers ist heute quasi die Heimat der Grünen Fee.
Verbot im März 1915
Vor dieser Ehrung stand eine schmerzliche Prohibition, da sich andere Länder dem Aus in Frankreich anschlossen. Schließlich ist die wichtigste Komponente das in hoher Konzentration gefährliche Nervengift Thujon. Erst Ende der 80er Jahre hob Paris das Verbot wieder auf, seit Mai 2011 darf die Spirituose wieder unter ihrem legendären Namen "absinthe" verkauft werden. >>
Wer bekannte sich nicht alles zu dem skandalumwitterten Getränk: Schriftsteller wie Ernest Hemingway, Josef Roth und Edgar Allan Poe sowie Maler wie Paul Gauguin oder Henri de Toulouse-Lautrec. Um die "Grüne Fee" ranken sich zahlreiche Anekdoten. Maler wie Edouard Manet ("Der Absinthtrinker") oder Pablo Picasso ("Glas mit Absinth") huldigten ihr. Der Dichter Charles Baudelaire soll sich im Absinthrausch die Haare grün gefärbt, der Maler Vincent van Gogh sich selbst ein Ohr abgeschnitten haben.
Solche Exzesse seien heute aber kaum zu befürchten, versichern die Hersteller. Denn die Thujon-Konzentration sei mit der EU-Aroma-Richtlinie von 1991 auf maximal 35 Milligramm pro Liter beschränkt worden - das ist weniger als ein Fünftel der vor dem Verbot üblichen Menge.
Absinth als Medizin
Die Droge war einst so stark, dass der Trunk als Medizin diente. Das Wort "Absinth" geht zurück auf die lateinische und die griechische Bezeichnung für Wermuth - absinthium und apsinthion. >>
Erste Texte über den Einsatz des Artemisia-Krautes finden sich rund 1500 vor Christus - die Pflanze wurde zur Entwurmung und als Magen-Mittel eingesetzt. In der Neuzeit soll der bittere Kräuter-Schnaps in der heutigen Form im Jahr 1769 von Madame Henriette Henriod in der Schweiz erfunden worden sein. Andere Quellen sprechen von einem royalistischen Arzt, der in den französischen Revolutionswirren in die Schweiz geflüchtet war. Ein gewisser Monsieur Henri-Louis Pernod brachte das berauschende Getränk schließlich im Jahr 1805 auf den Markt.
Französische Ärzte sorgten für den großen Boom, als sie in den 1830ern in den Algerien-Feldzügen den Soldaten Absinth verabreichten, um die Folgen von verdorbenem Wasser und Malaria zu bekämpfen - und um den Kampfgeist zu steigern. Die Truppe machte die "Fee Verte" schließlich in Frankreich bekannt - so wurde der Trunk zur "Grünen Stunde" zwischen 17 und 19 Uhr ausgeschenkt. Vor allem die Künstlerszene im Paris des 19. Jahrhunderts schwor auf Absinth - die Spirituose galt als Droge der Bohème.
Von der Armee in die Bohème
Gerade der Ruf als Intellektuellen-Getränk sorgt für ein Comeback in der Trendsetter-Szene. Viele Touristen, vor allem Amerikaner, Kanadier und sogar Brasilianer kämen eigens in seine Bar, um das skandalumwitterte Getränk zu kosten, versichert Mickey (seinen Nachnamen nennt er nie), der Eigentümer der Pariser Szenekneipe "Cantada II". Gerade das einstige Tabu "fasziniert Leute aus allen gesellschaftlichen Schichten", urteilt auch Martial Philippi, der in Berlin die Kneipe "Absinth Depot" betreibt.
Der Spirituosenhändler Markus Lion aus dem südbadischen Eschbach kann dies nur bestätigen. Seit er 2001 den "Absinthvertrieb Lion" gründete, ging sein Umsatz mit der "Grünen Fee" kontinuierlich in die Höhe. Heute liefert der Händler jährlich "mehrere zehntausend" Flaschen Absinth aus der Schweiz und Frankreich an trendige Bars in deutschen Großstädten, wo der hochprozentige Wermutstropfen - den Kenner mit Zucker versüßen - inzwischen zum festen Angebot gehört. Das Comeback ist fulminant: Nach Angaben des französischen Verbandes der Spirituosen-Hersteller produziert derzeit in Frankreich >>
ein gutes Dutzend Brennereien jährlich rund 800.000 Liter. Die Grüne Fee wird weiter mit Wermutspflanzen, Anis, Fenchel und anderen Kräutern destilliert, heute bringt sie zwischen 45 und 72 Volumenprozent ins Glas. "Es geht langsam voran, aber es geht voran", bestätigt François Guy, der 1983 die Absinth-Brennerei seiner Eltern im ostfranzösischen Pontarlier übernommen hat. Seine Produktionsmenge ist von 7200 Litern im Jahr 2001 auf 30.000 Liter im vergangenen Jahr gestiegen. Und der Franzose hofft, in einigen Jahren die Schwelle von jährlich 100.000 Litern zu erreichen.
Guy kämpfte jahrelang für die Rehabilitierung des grünlichen Getränks, als dessen französische Heimat das nahe der Schweizer Grenze liegende Pontarlier gilt: Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in dem Städtchen 23 Destillerien mit rund 3000 Beschäftigten, die jährlich über zehn Millionen Liter Absinth in die ganze Welt exportierten.
Absinth - ein wahnsinniger Drink
An eine solche Produktionsmenge ist heute freilich nicht mehr zu denken, denn das Misstrauen gegenüber der "Grünen Fee" ist noch lebendig. In vielen Köpfen habe sich der Ruf von Absinth als einem Getränk festgesetzt, das Leute verrückt macht, erläutert Fabrice Herard, der jedes Jahr in Pontarlier die Absinth-Tage "Absinthiades" organisiert. Der "Grünen Fee" hänge noch immer eine "mysteriöse Aura" an. Das macht aber nichts: Schließlich bleibt der Drink so exklusiv.
Und was kostet der Spaß? In etwa so viel wie ein guter Rum oder ein edler Whisky. Eine Flasche echten Absinths aus Pontarlier kostet gut 50 Euro. Impressionen zum Absinth und zu seinem Museum sehen Sie in unserer Fotoshow.