EU-Pläne zu Gentechnik Gibt es bald viel mehr genveränderte Lebensmittel?
Die EU plant Lockerungen beim Umgang mit Gentechnik in der Landwirtschaft. Doch was bedeutet das für Verbraucher und unsere Lebensmittel?
Die EU-Kommission stellt neue Pläne zum Umgang mit Gentechnik in der Landwirtschaft vor. Offenbar sollen die bisherigen Regelungen deutlich gelockert werden. Damit könnte es einfacher werden, mit Verfahren wie der Gen-Schere CRISPR/Cas neue Pflanzen für Nahrungs- und Futtermittel zu züchten.
Welche Neuerungen plant die EU?
Der Gesetzentwurf könnte den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft erheblich erleichtern. So empfiehlt die Behörde, die Anbau- und Kennzeichnungspflicht für bestimmte, mit Gentechnik gezüchtete Pflanzen zu lockern. Pflanzen könnten demnach mit konventionellen Züchtungen gleichgesetzt werden, wenn die Modifikationen auch durch natürliche Kreuzungen entstehen könnten.
Dadurch würde eine Kennzeichnung von aus diesen Pflanzen entstandenen Produkten möglicherweise wegfallen.
CRISPR/Cas
Diese Methode der Gentechnik ist auch als "Gen-Schere" bekannt und gilt als gezieltes und kostengünstiges Verfahren. Dabei werden nicht zwingend fremde Erbinformationen (DNA) in die Pflanze oder das Tier eingebracht.
Die vorhandenen Informationen können auch einfach nur verändert werden. So können beliebige Stellen im Erbgut ausgeschnitten, ausgetauscht, aktiviert oder blockiert werden.
Warum sollen die Regelungen gelockert werden?
Ziel der Deregulierung ist unter anderem, dass schneller neue Pflanzen zum Einsatz kommen, die etwa widerstandsfähiger gegen Wassermangel oder Schädlinge sind. So würden weniger Pestizide und weniger Wasserressourcen benötigt.
Neue gentechnische Methoden könnten laut einer Einschätzung der EU-Kommission so "zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem" beitragen. Wissenschaftler drängen schon länger darauf, die strengen EU-Regeln für sogenannte grüne Gentechnik zu lockern.
Welche Lebensmittel wären von der Regelung betroffen?
Wie der Verbraucherzentrale-Bundesverband bereits im März erklärte, könnten die neuen Techniken "im Prinzip bei allen Lebensmitteln" angewandt werden. Es könnten demnach Nutzpflanzen wie Weizen oder Reis verändert werden, aber auch Nutztiere.
Zu Forschungszwecken habe es beispielsweise bereits gentechnisch veränderte Äpfel und Champignons gegeben, die nach dem Anschneiden nicht braun werden sollten.
Allerdings: In deutschen Supermärkten sind Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Zutaten bereits jetzt erhältlich. Das berichtete die Verbraucherzentrale Hamburg kürzlich, nach einer im Mai und Juni 2023 durchgeführten Stichprobe.
Insgesamt 24 Produkte von Rewe und Edeka in Hamburg wurden in dem Test der Verbraucherzentrale untersucht. Die gentechnisch veränderten Produkte sind zumeist Süßigkeiten und Snacks aus den USA, wie etwa von Hershey's, Nerds und Reese's. In den Staaten ist der kommerzielle Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen seit Langem erlaubt.
Welche Kritik gibt es?
Kritiker, etwa Nichtregierungsorganisationen, fürchten, dass große Konzerne noch mehr Kontrolle über die Lebensmittelproduktion bekommen könnten. Zudem sehen etwa Verbraucherschützer die Gefahr, dass Menschen sich nicht mehr bewusst gegen Essen entscheiden könnten, das durch neue Gentechnikmethoden verändert wurde.
"Neue Gentechnik-Pflanzen bringen keine Pestizidreduktion – im Gegenteil", betonten bereits im Juni die Organisationen Global 2000, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Foodwatch. "Vielmehr würde eine Deregulierung des EU-Gentechnikrechts Agrarkonzernen wie Bayer oder Corteva eine noch stärkere Kontrolle über unser Saatgut geben und das Geschäftsmodell von herbizidresistentem Saatgut inklusive Pestiziden im Paket stützen." Verlierer dieses "toxischen Deals" wären demnach Umwelt, Biodiversität sowie Landwirte und Konsumenten.
Und auch der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) kritisiert die Pläne und nennt als mögliche Folgen:
- Die Wahlfreiheit der Verbraucher wäre beeinträchtigt.
- Der ökologische und gentechnikfreie Anbau wäre gefährdet.
- Umwelt und Biodiversität wären unbekannten und nicht abschätzbaren Risiken ausgesetzt.
Die Umweltschützer fordern deshalb, "dass sich die deutsche Bundesregierung in Brüssel für Wahlfreiheit, Verbraucherschutz und die Anwendung des Vorsorgeprinzips starkmacht und auf der strikten Regulierung von alter und neuer Gentechnik besteht."
Franz-Martin Rausch, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Lebensmittel (BVLH), sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dass umfassende Verbraucherinformation ein langjähriger Grundpfeiler des EU-Lebensmittelrechts sei und Verbrauchern eine Wahlmöglichkeit gelassen werden sollte.
Der europäische Branchenverband für gentechnikfreie Lebens- und Futtermittel (Enga) nannte die bisher bekannten Überlegungen der EU-Kommission gar "fahrlässig und unwissenschaftlich". Auch Enga-Generalseketärin Heike Moldenhauer bewertete die angestrebten Ziele skeptisch. "Das Versprechen der Gentechnik klingt faszinierend. Es ist aber naiv zu glauben, man könne mit einer neuen technischen Lösung alle Probleme lösen", sagte sie dem RND.
Welche Risiken bergen genveränderte Lebensmittel?
Forschende haben das Vorhaben bislang klar begrüßt: Führende wissenschaftliche Organisationen in Deutschland und Europa bewerteten die Technologie ähnlich wie die Kommission, betonte Nicolaus von Wirén vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung. Es gehe von derartig veränderten Pflanzen kein erhöhtes Risiko für Mensch und Natur aus.
So reagiert die Politik auf die Pläne
Von Vertretern der Ampelparteien waren bislang unterschiedliche Positionen zu dem Vorhaben zu hören. "Wer diese Technologie ablehnt, agiert fahrlässig und verantwortungslos", sagte Carina Konrad, stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende. Dies sollten auch das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium endlich anerkennen.
Aus dem vom Grünen Cem Özdemir geführten Agrarministerium hieß es jüngst, gentechnisch veränderte Pflanzen sollten eine Risikoprüfung durchlaufen, gekennzeichnet werden und rückverfolgbar sein. Aus dem Bundesumweltministerium unter Leitung von Steffi Lemke (Grüne) gab es skeptische Äußerungen bezüglich einer Lockerung von Gentechnik-Regeln.
Auch in den Reihen der SPD gibt es Kritik an der Gentechnik: "Ihr gesellschaftlicher Nutzen wird in der Theorie oft behauptet, aber in der Praxis zielt die Gentechnik auf Patente und Profite", sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze der Funke Mediengruppe.
- foodwatch.org: "Echte Pestizidreduktion statt leere Gentech-Versprechen"
- verbraucherzentrale.de: "Neue Gentechnik-Verfahren wie CRISPR/Cas9 bei Lebensmitteln"
- nabu.de: "Neue Gentechniken auf der politischen Agenda"
- mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP