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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutsche Klimapläne "Es wird keine Atom-Renaissance geben"
Zur Weltklimakonferenz in Glasgow wird Svenja Schulze erst verspätet dazustoßen. Vorher will sie noch schnell in Deutschland die Weichen für die Klimarettung stellen. Mit vielen Windrädern – und null Atomenergie.
Es geht nicht nur um die Zukunft des Planeten, sondern auch um ihre eigene: Während die Weltklimakonferenz in Glasgow in vollem Gange ist, verhandelt Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Klimapolitik der neuen Regierung mit Grünen und FDP in Berlin. Am Ende wird es dabei auch darum gehen, ob sie ihren Job im Ministerium behalten kann.
Im Interview mit t-online erklärt Schulze, weshalb Länder wie Indien und China auf die deutsche Klimapolitik schauen und warum die Energiewende keine einzige Kilowattstunde Atomstrom braucht.
t-online: Frau Schulze, nach 26 Klimakonferenzen ist immer noch nicht sicher, ob die Welt einer globalen Klimakatastrophe entgehen kann. Wie erklären Sie dieses enorme politische Versagen?
Svenja Schulze: Das ist nicht meine Bewertung. Die Aufgabe ist gewaltig, es geht um nicht weniger als einen kompletten Umbau der Wirtschaft, und das weltweit. Man sollte nicht den Fehler machen, die Abschaffung der Klimakonferenzen zu fordern, denn es gibt keine bessere Alternative. Ohne die Klimakonferenzen wäre die Erderhitzung noch viel schlimmer. Der ganze Prozess ist produktiver, als viele glauben. Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt mussten in den ersten Tagen der Konferenz klar sagen, was ihr Land zum Klimaschutz beiträgt. Wir reden längst nicht mehr nur über Ziele, sondern zunehmend auch über die nötigen Maßnahmen wie den Ausstieg aus der Kohle.
Bisher halten sie aber viele ihrer Versprechen nicht. So lässt sich die globale Erderwärmung nicht auf eineinhalb Grad beschränken.
Es ist unglaublich schwierig, aber es gibt auch Gründe zur Hoffnung, dass das 1,5-Grad-Ziel noch erreichbar ist. Neben den Maßnahmen, die einzelne Länder zum Klimaschutz beitragen, gibt es jetzt zusätzliche gemeinsame Vereinbarungen verschiedener Staatengruppen, die dabei helfen werden.
Welche denn?
Mehr als 100 Länder haben diese Woche zugesagt, ihre Methan-Emissionen deutlich zu reduzieren. Auch gegen die Abholzung der Wälder gibt es eine neue Abmachung. Und Deutschland hat sich mit einigen Partnern zusammengetan, um Südafrika beim Kohleausstieg zu helfen. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Svenja Schulze (SPD) ist geschäftsführende Bundesumweltministerin. Seit März 2018 leitet sie die Behörde, der in der Klimapolitik bisher die bedeutendste Rolle zukam. Zuvor führte sie sieben Jahre lang das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung in Nordrhein-Westfalen. Aktuell beteiligt Schulze sich für die SPD an den Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP – vor allem beim Thema Klima. Ab 10. November nimmt sie persönlich an der Weltklimakonferenz in Glasgow teil.
Sie selbst haben aber zu Beginn des Glasgower Gipfels vor zu hohen Erwartungen gewarnt. Wie lange können wir es uns noch leisten, beim Klimaschutz Kompromisse zu machen?
Ich warne nur davor, eine Erlösungserwartung an eine einzelne Konferenz zu haben, bei der 197 Vertragsstaaten einen Konsens finden müssen. So funktioniert internationale Politik nicht. Es gibt beim Klimaschutz nicht diesen einen Hurra-Moment, an dem sich alles zum Guten wendet und die Arbeit getan ist. Die Staaten gehen Schritt für Schritt, und alles zusammen kann eine wirklich große Summe ergeben.
Aber doch nicht groß genug – wie die Regierungen jetzt auch wieder von Wissenschaftlern bescheinigt bekommen. Saudi-Arabien und Indien haben zwar verkündet, dass sie bis 2060 beziehungsweise 2070 klimaneutral werden wollen. Das ist aber viel zu spät.
Wir müssen immer besser werden, klar. Aber ich kann auch den Fortschritt würdigen. Noch vor Kurzem hat mir die indische Regierung erklärt, warum das Ziel der Klimaneutralität für Indien in absehbarer Zeit nicht infrage kommen kann. Jetzt ist das Ziel erstmals konkret zugesagt und das wird das Denken und Planen in Indien verändern. Es gibt dort schon heute sehr gute Ausbaupläne für Wind- und Solarenergie. Ein anderes Beispiel ist Chinas Ankündigung, keine Kohlekraftwerke außerhalb des eigenen Landes mehr zu finanzieren. Diese Zusage macht Mut, weil sie zeigt, dass unsere Klimadiplomatie wirkt.
Ihr Optimismus passt nicht zu den drastischen Warnungen, die man gerade auf der Klimakonferenz hört. UN-Generalsekretär António Guterres sagt: "Wir graben unser eigenes Grab!" Wenn jetzt nicht die Zeit für radikales Handeln ist, wann dann?
Ja, wir müssen dringend handeln. Ich teile diese Dringlichkeit. Der Sinn der Klimakonferenzen ist es gerade auch, das zu unterstreichen und diejenigen sichtbar zu machen, die versuchen, sich darum herumzudrücken. Diese Debatte würde ohne die Klimakonferenz weltweit nicht mit dieser enormen Aufmerksamkeit stattfinden.
Immer wieder wird Deutschlands Vorbildfunktion beim Klimaschutz beschworen. Kümmert es Länder wie Brasilien oder Indien wirklich, was wir tun?
Ja, es wird sehr stark darauf geschaut, dass wir als Industrieland sagen, wir werden bis 2045 klimaneutral – ganz ohne Kohle und auch ohne Atomenergie. Und Deutschland gilt vielen Schwellen- und Entwicklungsländern als verlässlicher Brückenbauer. Wir genießen deshalb weltweit hohes Vertrauen.
Viele Menschen in Deutschland fragen sich dennoch, wieso sie weniger Fleisch essen und das Auto stehenlassen sollen, solange die Chinesen, Inder und Brasilianer im großen Stil das Klima verschmutzen. Was sagen Sie diesen Menschen?
Alle müssen mithelfen und jeder kann etwas tun. Aber es ist auch klar, dass wir die Welt nicht allein retten können, selbst wenn alle Menschen in Deutschland jetzt nur noch vegetarisch essen würden. Trotzdem trägt es etwas zum gemeinsamen Ziel bei, wenn wir weniger Fleisch essen, ein E-Auto fahren oder mit Bus, Bahn oder Fahrrad unterwegs sind. Was mich wirklich freut, ist, dass wir beim Klimaschutz inzwischen darüber reden, wie wir es machen und nicht mehr darüber, ob es sich lohnt. Bei den Koalitionsverhandlungen 2017 durfte auf Drängen der CDU nicht einmal das Wort Klimaschutzgesetz im Koalitionsvertrag stehen. Nun aber haben wir ein solches Gesetz, und es geht darum, wie wir es schnellstmöglich umsetzen.
Bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen sitzen Sie selbst mit am Tisch. Ganz so fix und ambitioniert geht es da beim Thema Klima aber nicht zu.
Jetzt warten Sie doch mal das Ergebnis ab. Wir haben Vertraulichkeit vereinbart, daran halte ich mich. Aber schon das Sondierungsergebnis zeigt: SPD, Grüne und FDP sind sich einig, dass wir das Tempo beim Klimaschutz erhöhen müssen. Klimaschutz wird nicht mehr wie früher an die Umweltpolitiker delegiert, sondern auch in anderen Bereichen mitgedacht. Vom Verkehr über die Landwirtschaft bis zum Sozialen ist das in allen Verhandlungsgruppen ganz selbstverständlich ein Thema. Das ist neu, und das finde ich wirklich klasse.
Naja, die FDP hält an der Pendlerpauschale fest, das Tempolimit ist begraben, und für einen früheren Ausstieg aus der Kohle gibt es auch kein starkes Signal. Wie sehr wird auch beim deutschen Klimaschutz auf die Bremse getreten?
Klar wäre ein Tempolimit ein schöner Beitrag gewesen, das ist aber jetzt vom Tisch. Bei drei verschiedenen Parteien ist es logisch, dass wir uns über einzelne Maßnahmen auseinandersetzen. Meinungsunterschiede gehören zur Demokratie nun mal dazu! Aber es geht beim Klimaschutz nicht mehr um das Ob. Bei den großen Punkten ist eine große Einigkeit da: Wir müssen schneller vorankommen, vor allem beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
An vielen Küchentischen in Deutschland klingt das aber noch anders. Ein großer Teil der Menschen ist immer noch nicht davon überzeugt, dass es sich lohnt, viel Zeit und Geld in Klimaschutz zu investieren. Warum hat die Bundesregierung die Menschen nicht stärker für die Dringlichkeit sensibilisiert?
Natürlich ist noch viel Überzeugungsarbeit notwendig. Deshalb werbe ich auch immer so dafür, mehr über konkrete Veränderungen zu sprechen, also über Windräder, Solardächer oder Elektroautos – und weniger über abstrakte Prozentzahlen. Aus meiner Sicht sind wir aber vorangekommen. Übrigens auch, weil so viele junge Leute auf die Straße gegangen sind. Da hat sich in den vergangenen drei, vier Jahren enorm viel verschoben. Klimaschutz schafft es inzwischen auf die erste Seite der Zeitungen und auf die größten Plattformen im Internet.
Am Widerstand gegen neue Windparks hat das nicht viel geändert. Kaum jemand möchte ein Windrad vor der Haustür haben. Muss Klimaschutz wehtun?
Was heißt wehtun? Die Formulierung finde ich seltsam. Wir wollen doch alle eine sichere Energieversorgung haben und jederzeit auf Strom zugreifen können. Wenn man das ohne Kohlekraftwerke und Atomenergie machen will, und das wollen wir, funktioniert das eben nicht ohne erneuerbare Energien in Deutschland. Deswegen ist es so wichtig, dass man auch dafür sorgt, dass die Regionen, die erneuerbare Energien ausbauen, viel stärker davon profitieren. Erste Schritte dafür gibt es schon, aber das kann man sicherlich noch verstärken.
Was heißt das konkret?
Die Regionen müssen selbst mehr Geld aus den erneuerbaren Energien bekommen. Ich wohne zum Beispiel im Münsterland; da hat mir ein Bürgermeister das mal so erklärt: Als es bei ihm das erste Windrad gab, habe ihn das jeden Tag geärgert. Damals gehörte die Anlage einem großen Energieunternehmen. Seitdem das Windrad der Kommune gehört, freut er sich darüber und hat noch drei weitere Räder finanziert. Statt "wusch, wusch, wusch" hört er jetzt "pling, pling, pling" und sieht das Geld, das für seine Kommune reinkommt. Diese Erfolgsgeschichten muss man weitererzählen, damit sich der Blick auf Windparks verändert.
Das stärkste Zeichen für mehr Tempo bei den Erneuerbaren kam gerade aber nicht aus ihrer Koalitionsrunde, sondern aus NRW. Da will der neue Ministerpräsident Hendrik Wüst den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen – während die Ampelparteien ein klares Signal scheuen. Ist Ihnen das nicht peinlich?
Die CDU hätte in NRW und auch im Bund längst mehr machen können – sie war schließlich jahrelang in der Regierung. SPD, Grüne und FDP haben in ihrer Sondierung vereinbart, idealerweise schon bis 2030 aus der Kohle auszusteigen. Das gelingt aber nur mit einem beherzten Ausbau der erneuerbaren Energien. Wer aus Kohle und Atom aussteigt, muss in etwas Neues einsteigen. Dieser Zusammenhang muss auch in der CDU endlich mal ankommen. Bisher blockieren sie in Nordrhein-Westfalen mit ihren Abstandsregeln für Windräder.
Mit dem Atomausstieg geht Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern einen Sonderweg – und hat sich damit von russischem Erdgas und hohen Gaspreisen abhängig gemacht. Brauchen wir zumindest vorübergehend noch mal Atomkraft, um die Klimaziele erreichen zu können?
Ich kann mir kein Szenario vorstellen, bei dem es in Deutschland eine Mehrheit für den Wiedereinstieg in die Atomenergie gäbe. Viele Staaten in Europa sind gar nicht erst in die Atomenergie eingestiegen, andere sind auch schon wieder ausgestiegen. Wir sind da in guter Gesellschaft. Atomenergie ist die teuerste aller Energieformen. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, in etwas einzusteigen, das viel zu gefährlich, viel zu teuer und viel zu langsam ist, um beim Klimaschutz auch nur irgendwas zur Lösung beizutragen. Es wird keine Renaissance der Atomenergie in Deutschland geben. Bei mir stehen auch noch keine Bürgermeister vor der Tür, die den ganzen Atommüll haben wollen. Wir haben drei Generationen lang Atomenergie genutzt und zwingen jetzt schon 30.000 Generationen, sich mit den Resten zu beschäftigen. Ich kenne niemanden, der davon noch mehr haben will.
Die Grünen haben im Wahlkampf ein Klimaschutzministerium mit Vetorecht gefordert. Ihre Partei lehnt das ab – warum eigentlich?
Meine Erwartung ist, dass der Klimaschutz eine der zentralen Aufgaben der gesamten Regierung sein wird.
Eine Behörde, die alle Gesetze und Reformen auf ihre Klimawirkung prüft und in kritischen Fällen ihr Veto einlegen kann, ist doch aber etwas anderes.
Aus meiner Erfahrung als Umweltministerin ist etwas anderes wichtiger: Wir müssen vorankommen, statt zu behindern. Und genau das machen wir in den Koalitionsgesprächen.
Welche konkreten Beschlüsse können wir von der Klimakonferenz in Glasgow noch erwarten?
Ich hoffe, dass es uns in der verbleibenden Zeit gelingt, das Regelbuch für das UN-Klimaabkommen abzuschließen. Das ist quasi die Gebrauchsanleitung für das, was 2015 in Paris beschlossen wurde. Dabei geht es um einheitliche Regeln dafür, wie Fortschritte der einzelnen Länder gemessen und festgehalten werden. Auch das zeigt: Wir sind jetzt im Jahrzehnt der Umsetzung. Und das ist gut für den Klimaschutz.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schulze.