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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Luisa Neubauer über COP26 "Das ist beschämend und respektlos"
Sie saß schon in allen großen Talkshows und spricht fast jedes Wochenende auf einer Bühne. Jetzt rechnet Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin mit den Vereinten Nationen ab.
Selbstverständlich ist sie mit dem Zug gekommen. Für Luisa Neubauer hat sich die lange Reise von Berlin ins schottische Glasgow aber gelohnt, denn hier findet in diesen Tagen die Weltklimakonferenz statt. Eine gute Gelegenheit für sie und ihre Mitstreiter, den Druck der Straße direkt vor die Türen der Verhandlungsräume zu tragen. Dort soll die Klimakatastrophe noch verhindert werden – Glasgow gilt vielen als letzte Chance.
Im Interview mit t-online erzählt Neubauer, weshalb sie nicht daran glaube, dass es auf der 26. UN-Klimakonferenz einen entscheidenden Durchbruch geben werde. Und warum sie das Treffen dennoch nicht als Zeitverschwendung sehe.
t-online: Bei Ihrer Ankunft mit Greta Thunberg in Glasgow haben Sie rund 1.000 Leute am Bahnhof begrüßt. Gewöhnt man sich an solche Rockstar-Empfänge?
Luisa Neubauer: Ich gebe mir Mühe, dass das nicht passiert. Das sind schon völlig absurde Situationen, aber ich denke, das geht irgendwann vorüber. Bis dahin versuche ich, den Trubel mit Humor zu nehmen.
Sie sind mit dem Zug aus Berlin gekommen, der Trip dauerte rund 15 Stunden. Wäre Fliegen da nicht doch leichter gewesen?
Von Berlin gibt es eine sehr gute Zugverbindung nach London. Vor der Pandemie habe ich die Strecke oft gemacht, um meine Schwester und meinen Bruder zu besuchen, die beide dort leben. Auf dem Weg zur Klimakonferenz haben wir in London auch einen Zwischenstopp gemacht, um zu protestieren. Wir konnten die Anreise also auch mit Aktivismus verbinden. Und hoch nach Schottland ist es eine wunderbare Strecke, das war ganz entspannt.
Luisa Neubauer ist eine der bekanntesten deutschen Klimaaktivistinnen. Sie gilt als das deutsche Gesicht der Klimabewegung Fridays for Future, die 2018 von der Schwedin Greta Thunberg gestartet wurde. Neubauer hat einen Bachelorabschluss in Geografie. Die zweite Staffel ihres Klima-Podcasts "1,5 Grad" läuft ab dieser Woche auf Spotify.
Die meisten der 25.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Weltklimakonferenz sind nach Glasgow geflogen. Wäre es nicht sinnvoller, solche Veranstaltungen klimafreundlich online zu machen?
Es ist grundsätzlich fraglich, wie sinnvoll diese Art von Klimakonferenz ist. Wenn wir sie aber abhalten, ist es absolut richtig, sich vor Ort zu treffen. Das funktioniert einfach besser im echten Leben, wenn es irgendeine Art von zwischenmenschlichen Interaktionen geben kann.
Das heißt?
Das heißt, dass es zusammenschweißt, gemeinsam den ganzen Stress durchzustehen, die langen Nächte und Schlangen vor den Kaffeeautomaten. Da geht es uns Klimaaktivistinnen und Klimaaktivsten vermutlich ähnlich wie den Verhandlerinnen und Verhandlern. Dafür muss man schon zusammenkommen.
Ihre Mitstreiterin Greta Thunberg sagte kürzlich, dass UN-Klimakonferenzen nur leeres "Blablabla" seien. Wenn das nicht der Ort ist, um die Klimakrise zu lösen, welcher ist es dann?
Der Kampf gegen die Klimakrise ist kein Projekt, bei dem wir an einer Stelle einen Hebel umlegen und dann ändert sich alles. Am Ende müssen sich Dinge überall bewegen. Damit das passiert, müssen die Menschen auf der ganzen Welt die Gelegenheit bekommen, zu begreifen, wie wichtig Klimaschutz ist. Die Veränderungen müssen in Parlamenten und Institutionen passieren, aber auch in Konzernen, in den Medien und vor allem auch im öffentlichen Raum.
Und beim COP in Glasgow?
Das ist jetzt die 26. UN-Klimakonferenz, sie findet also seit fast drei Jahrzehnten statt. Über all die Jahre ist eines klar geworden: Diese Konferenzen werden uns nicht retten, so funktioniert Klimaschutz nicht. Im besten Falle kann man sich hier gut absprechen. Aber die Regierungen werden nicht nach 40 Jahren Klimadiplomatie, nach 26 Klimakonferenzen auf einmal das tun, was notwendig ist, um Lebensräume zu erhalten. Das werden sie nur durch einen noch nie dagewesenen Druck der Zivilgesellschaft machen.
Also treffen sich die Länder völlig umsonst?
Nein, so würde ich das auch nicht sagen. Der COP ist nun mal die einzige globale Klimakonferenz in diesem Rahmen, die wir haben. Deshalb sind wir als Klimabewegung ja auch in Glasgow. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, wählerisch zu sein. Wir sind hier, um alles aus diesem Treffen rauszuholen, was möglich ist, um es konstruktiver zu machen, als es in der Vergangenheit war. Und um zu zeigen, wie groß der Druck ist.
Wie sieht das konkret aus?
Wir protestieren, sind jeden Tag in der Stadt unterwegs, sprechen mit Entscheidungsträgern und vernetzen uns mit den vielen anderen Aktivistinnen und Aktivisten, die aus aller Welt hier nach Glasgow gekommen sind. Dabei geht es einerseits darum, deutlich zu machen, dass das hier kein Hinterzimmertreffen ist. Andererseits zeigen wir, dass die Welt große Erwartungen hat – und wir erinnern an die gravierenden humanitären und gesellschaftlichen Kosten, die ohne konsequenten Klimaschutz entstehen.
Glauben Sie wirklich, dass die Politik das nicht weiß? Immerhin war die Klimakrise eines der wichtigsten Themen im Bundestagswahlkampf.
Und trotzdem hält man sich nicht an das Pariser Klimaziel, das man schließlich selbst verhandelt hat. Die deutsche Politik bildet da keine Ausnahme. Internationaler Klimaschutz funktioniert nur, wenn Regierungen einhalten, was sie bei den Klimakonferenzen versprechen.
Was genau meinen Sie damit?
Für viele Entscheidungsträger ist es offensichtlich immer noch bequemer, die Klimakrise eskalieren zu lassen, anstatt einzugreifen. Das liegt auch daran, dass sie am Ende nicht zur Rechenschaft gezogen werden können – und so für die Kosten bisher nicht aufkommen mussten. Unsere Aufgabe als Klimabewegung ist es, den Regierungen klarzumachen: Es gibt einen öffentlichen, medialen, unternehmerischen und inzwischen auch industriellen Widerstand gegen ihre Gleichgültigkeit. Und der nimmt so lange zu, bis die Politik angemessen auf die Klimakrise reagiert.
Momentan verhandeln SPD, Grüne und FDP in Berlin den Koalitionsvertrag. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die neue Bundesregierung den Klimaschutz ernst nimmt?
Deutschland hat eine problematische Klimabilanz. Bisher war die Bundesregierung gut darin, Versprechen zu machen, aber wenn es darum ging, diese einzuhalten, hatte man auf einmal andere Dinge zu tun. Das gilt auch jetzt: Kein einziges Wahlprogramm der Ampel-Parteien würde es schaffen, die Klimaziele zu erreichen. Das ist nicht nur beschämend, sondern auch respektlos.
Warum?
Weil wir bei vielen Ländern im Wort stehen, die darauf angewiesen sind, dass reiche Industrieländer wie Deutschland nicht nur mit Geld helfen, sondern mit gutem Beispiel vorangehen. Menschen in den am stärksten betroffenen Weltregionen müssen ungefragt die Konsequenzen von Emissionen ausbaden, die sie selbst überhaupt nicht verursacht haben – sondern, unter anderem, wir hier in Deutschland. Die Bundesregierung muss ihren Ansatz in der Klimapolitik grundlegend verändern.
Was fordern Sie von der Ampelkoalition in spe?
Die Zeiten, in denen ein paar mehr Windräder und ein bisschen mehr Tempo bei der Energiewende genug waren, sind vorbei. Heute muss Klimapolitik anders, schneller, radikaler sein, wenn wir irgendeine Chance haben wollen, die schlimmsten Katastrophen zu verhindern. Die neue Regierung muss das Klima in allen Politikbereichen mitdenken, bei jedem neuen Gesetz, bei jeder Reform. Klimaschutz kann nicht länger ein Thema von vielen sein, es muss die Grundannahme jeder Maßnahme sein. So eine Art von Politik haben wir noch nie gesehen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass sie möglich ist.
Wie wollen Sie der Bundesregierung Dampf machen, damit das auch geschieht?
An dieser Stelle würde ich gerne betonen, wie absurd ich die Selbstverständlichkeit finde, mit der von Aktivistinnen und Aktivisten verlangt wird, die Regierungen zu ihren eigenen Zielen zu bringen. Man würde ja meinen, das schaffen die alleine. Nun gut. Regierungen können sich nicht davon frei machen, was die Wählerinnen und Wähler wollen, und sie sind natürlich einem immensen öffentlichen und wirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Plus: Wir sprechen darüber, dass wir auf dem Weg in eine Klimakatastrophe sind, die Politik bisher kaum etwas dagegen tut und das so bleiben wird, wenn wir Menschen nicht laut werden. Viel zu viele Menschen wissen das immer noch nicht.
Überrascht Sie das?
Nein, überhaupt nicht. Es ist kein Zufall, dass vielen Menschen die Informationen fehlen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sprechen für sich, aber die Klimakrise wurde in den vergangenen Jahren kleingeredet, bürokratisiert, normalisiert und als Nebenthema im Wetterbericht behandelt. Viele Medien stellen Klimaschutz als ein Bedürfnis von Aktivistinnen und Aktivisten dar. Sie behaupten immer noch, Klimaschutz sei unbezahlbar oder bestehe nur aus Verboten. Dazu kommt die Politik, die den Leuten mehr Angst vor einem Tempolimit macht als vor der bevorstehenden Klimakatastrophe. Und die Lobbyisten der Gas-, Öl- und Kohleindustrie verbreiten das Märchen, der wichtigste Beitrag der Menschen zum Klimaschutz sei nachhaltiger Konsum.
Sie haben also Verständnis dafür, dass viele Menschen in Deutschland immer noch allergisch reagieren, wenn sie den Begriff Klimaschutz hören?
Ich verstehe es, finde aber nicht, dass das so bleiben soll und kann. Es geht darum, den Leuten zu zeigen: Die Klimakrise betrifft dich, egal ob du willst oder nicht. Nichts wird unsere Gesundheit, unseren Wohlstand, unsere Lebensräume mehr gefährden, als nicht zu handeln. Mit diesem Wissen möchten wir die Leute aber nicht erschlagen, sondern sie ermächtigen. Das ist ein großer Unterschied. Die Klimakrise ist kein Zufall, sie ist eine politische Entscheidung, und die kann man ändern. Die können wir ändern. Wir haben jetzt noch die Möglichkeit, Dinge zum Positiven zu verändern.
Aber wie viel bringt mehr Engagement in Deutschland, wenn Länder wie China, Indien oder Brasilien beim Klimaschutz nicht mitziehen?
Genug Klimaschutz von deutscher Seite ist entscheidend dafür, dass andere Länder auch anfangen, etwas zu tun und unsere verpassten Versprechen nicht länger als Ausrede nutzen. Das lässt sich bei den Klimakonferenzen gut beobachten. Man kann sich die Verhandlungen hier auch etwas wie eine achte Klasse vorstellen: Es bilden sich Grüppchen, alle wollen zu den Coolen gehören. Sind das die, die sagen, ihr könnt uns mal, wir machen hier unser eigenes Ding? Oder sind die Coolen diejenigen, die sagen: Wir haben fantastische Lösungen, mit denen wir Klimaschutz, Wohlergehen, Gesundheit und Gerechtigkeit für alle organisieren können? Am Ende geht es darum, wer ein wirkliches Klimavorbild ist und die anderen mitreißen kann.
Und Deutschland kann das?
Auf jeden Fall. Wenn wir es wollen – und die Bundesregierung anfängt zu liefern.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Neubauer.