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Klimaaktivistin Luisa Neubauer: "Corona-Krise ist Klimakrise klar im Vorteil"


Interview
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Aktivistin Luisa Neubauer
"Wir sind in einer krassen Situation"

  • Steven Sowa
InterviewVon Steven Sowa

Aktualisiert am 10.11.2020Lesedauer: 7 Min.
Luisa Neubauer: Die deutsche Klimaaktivistin spricht im Interview mit t-online über ihren neuen Podcast "1,5 Grad".Vergrößern des Bildes
Luisa Neubauer: Die deutsche Klimaaktivistin spricht im Interview mit t-online über ihren neuen Podcast "1,5 Grad". (Quelle: IPON/imago-images-bilder)

Klimaaktivistin Luisa Neubauer wirft Deutschland bei der Klimapolitik "gravierende Verantwortungslosigkeit" vor. Warum die 24-Jährige dennoch das 1,5-Grad-Ziel nicht verloren glaubt, erklärt sie im Interview mit t-online.

Luisa Neubauer spricht mit ruhiger, fester Stimme. Sie wirkt ernst und entschlossen, als wir sie für unser Interview virtuell auf dem Bildschirm begrüßen. Ab dem 10. November präsentiert sie den Podcast "1,5 Grad", um die Klimakrise aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.

Was hat sie vor und wie wütend ist die 24-jährige "Fridays for Future"-Aktivistin darüber, dass die Bundesregierung in der Corona-Krise kaum klimagerechte Subventionen beschließt? Mit t-online spricht sie über Politik, aber auch über das, was sie privat glücklich macht.

t-online: Sie machen einen Podcast bei Spotify, wollen aber kein Geld damit verdienen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Luisa Neubauer: Ich wollte die Klimakrise auf die größtmögliche Plattform holen, Spotify war dafür gut geeignet. Doch die Entscheidung war auch nicht einfach, denn es handelt sich bei Spotify um einen großen, internationalen Konzern. Deshalb hatte ich als Klimaaktivistin klare Bedingungen, unter denen dieser Podcast zustande kommen kann. Das Produkt musste klimaneutral sein, es sollte werbefrei sein und ich verzichte auf eigenen Wunsch auf mein Honorar. Ich wollte in keine finanzielle Abhängigkeit geraten. Spotify spendet das Geld an eine Organisation, die zur effektiven Emissionsreduktion beiträgt.

Aber Sie müssen das doch irgendwie finanzieren und Ihre Miete bezahlen. Wie gelingt das?

Ich bekomme lediglich eine Aufwandsentschädigung. Aber ich mache keinen Gewinn mit dem Podcast, ich kann nur die Kosten decken, die durch den Podcast entstehen. Das geht für mich, weil ich als Studentin auch noch ein Stipendium bekomme – diese Entscheidung konnte ich aus einer privilegierten Position heraus treffen, das ist mir wichtig zu betonen.

Wen treffen Sie denn alles für "1,5 Grad", Ihren neuen Podcast?

Ich habe mich zum Beispiel mit dem YouTuber Rezo getroffen und spreche mit der US-Schauspielerin Jane Fonda. Sie wird auch der allererste Gast in meinem Podcast sein.

Für die Klimakrise bleibt im Prinzip keine Zeit mehr, es muss sofort agiert werden. Ein Podcast hingegen ist ein Medium, bei dem sich die Hörer sehr viel Zeit nehmen und in Ruhe in ein Thema abtauchen. Wie wollen Sie diese Diskrepanz auflösen?

Das eine geht nicht ohne das andere. Ich möchte der Frage nachgehen, was uns eigentlich davon abhält, jetzt loszulegen. Ich stelle immer wieder fest, wie problematisch es ist, Bewusstsein für diese Krise zu schaffen. Das hat auch mit Narrativen zu tun. Deshalb finde ich es richtig, bei einem Mainstream-Anbieter darüber zu sprechen, wie es gelingen kann, die Krise zu bewältigen.

Wer ist dabei Ihre anvisierte Zielgruppe?

Wir wollen generationsübergreifend Menschen ansprechen und den Austausch unter allen fördern. Deshalb spreche ich auch mit Menschen, denen sonst wenig Gehör geschenkt wird.

Sie haben viel zu kritisieren. Aber wenn Sie es auf einen zentralen Punkt bringen müssten: Was werfen Sie Deutschland in der Klimapolitik für Verfehlungen vor?

Deutschland verfehlt das Ziel, das es sich selbst, in Absprache mit der internationalen Staatengemeinschaft, gesetzt hat. Der Pfad, auf dem sich das Land befindet, ist nicht Paris-konform. Es gibt auch keinen Regierungsplan, der an dem Weg zu diesem Ziel arbeiten würde. Deutschland hat die finanziellen Möglichkeiten, nutzt sie aber nicht. Auch technologisch, gesellschaftlich und politisch könnte Deutschland viel weiter sein, aber die Regierung weigert sich, den notwendigen Teil dazu beizutragen, dass wir weltweit die Klimakrise bewältigen können. Das ist eine gravierende Verantwortungslosigkeit, mit katastrophalen Konsequenzen, die heute schon spürbar sind und die noch viel stärker in der Zukunft zu spüren sein werden.

1,5-Grad-Ziel
Beim 2015 verabschiedeten Pariser Klimaabkommen haben sich fast alle Staaten weltweit dazu verpflichtet, die Erwärmung der Erde bei unter zwei Grad und möglichst bei 1,5 Grad zu stoppen. Dies soll gefährliche Folgen des Klimawandels wie Stürme, Dürren und Überflutungen in Grenzen halten. Bisher reicht der Klimaschutz weltweit dafür nicht aus.

Glauben Sie noch an das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels?

Physikalisch betrachtet wird es immer unerreichbarer. Aber 1,5 Grad ist mehr als eine Zahl. Es ist auch ein Versprechen der Menschheit an sich selbst: Dass wir alle aufeinander und auf die Welt Acht geben. Dass wir das schlimmste Leid verhindern wollen, und bis zuletzt kämpfen. Die Zusage an 1,5 Grad ist der einzige Garant, eine sichere Zukunft für kommende Generationen zu ermöglichen. Daraus spricht Weltbewusstsein und globale Solidarität. Für mich ist das eine Frage des Respekts jüngeren Generationen und den Menschen, die heute schon betroffen sind, gegenüber – und auch ein Meisterwerk der Diplomatie, das für mich hochgradig inspirierend ist.

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In der Corona-Krise kommt es zu Überschneidungen mit der Klimakrise. Bestimmte Branchen, die nicht nachhaltig agieren, werden massiv finanziell gestützt. Macht Sie das wütend?

Wir erleben aktuell, dass man Krisen auch ernst nehmen kann. Die Corona-Krise ist der Klimakrise da klar im Vorteil. Man könnte daraus lernen und auch beim Klima präventiv handeln. Wir sehen außerdem, dass es durchaus möglich ist, den Menschen etwas zuzumuten. Sie als Teil des Wandels ernst zu nehmen und mit Fakten auszustatten. Dass die Coronavirus-Pandemie bisher nicht ernsthaft genutzt wurde, um Deutschland zukunftsfähig zu gestalten, ist nicht nur tragisch, es ist destruktiv. Das Geld, das gerade ohne transformativen Anspruch in Industrien investiert wird, ist für immer verloren. Gerade wurde errechnet, dass zehn Prozent der finanziellen Corona-Hilfen weltweit schon gereicht hätten, um das Ziel von Paris durch zu finanzieren.

Aber funktioniert Politik wirklich nach solch einfachen Rechnungen? Hier zehn Prozent abziehen und woanders investieren, klingt trivial, ist aber mit immensem Aufwand verbunden.

Mir ist bewusst, dass schon eine Krise alleine eine politische Zumutung ist. Nur braucht es eine Politik, die sich aufmacht, Klima- und Corona-Krise gleichermaßen anzugehen, und nicht – wie jetzt – die eine durch die Bewältigung der anderen zu befeuern. Diese Prioritätensetzung ist fatal und eine beeindruckende Kurzsichtigkeit.

Das ist ein Argument der Kritiker von progressiver Klimapolitik: Wir können den Menschen nicht zu viel zumuten. Ist das aus Ihrer Sicht ein legitimes Argument oder woran scheitert die Bewältigung der Klimakrise auf politischer Ebene tatsächlich?

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Das Bewusstsein für die Krise ist nicht vorhanden. Klimaschutz stellt sich immer nur als sehr unbequeme Investitionsfrage dar. Und natürlich spielt dabei immer wieder das Argument eine Rolle, Menschen könne das nicht zugemutet werden. Mir kommt es auch etwas wie ein Trauma der Grünen vor: 'Zu viel Klima und wir fliegen aus dem Parlament'. Welche Angst im ganzen demokratischen Spektrum zu finden ist: 'Zu viel Zumutung und die Leute rennen zur AfD'. Die Politik denkt ewig an den sogenannten 'kleinen Mann', der angeblich nur eine kleine Toleranzspanne hat. Ist diese überschritten, springt er zur AfD. Aber für wen wird denn Politik gemacht?

Es kann gute Argumente dafür geben, Politik so zu gestalten, dass Menschen nicht zur AfD rennen.

Natürlich. Aber wenn die Politik davon spricht, den Menschen nicht so viel zuzumuten, meint sie die Industrien und nicht den kleinen Mann. Der hat ja vielleicht auch Kinder und ein Interesse an einem gesicherten Arbeitsplatz in einer zukunftsfähigen Branche. Es geht bei der Ausredensuche für weniger Klimaschutz im Kern um Gewohnheit, den fossilen Produktivismus und darum, eine lobbystarke, gut vernetzte Industrie aufrechtzuerhalten. Die größte Zumutung, und übrigens auch die größte Freiheitseinschränkung und Wirtschaftsbedrohung, ist eine langfristig eskalierende Klimakrise.

Treten Sie deshalb für die Absenkung des Wahlalters ein, weil Sie überzeugt sind, dass die aktuelle Politik eine Politik für alte Menschen ist und jüngere Wähler ab 16 Jahren dies verändern könnten?

Warum sollte eine Demokratie nicht alle mündigen Bürger wählen lassen? Es gibt doch keine triftigen Gründe dafür, 16-Jährige nicht wählen zu lassen. Dass sie nicht 'reif' genug dafür sind, konnte wissenschaftlich schon als Nonsens nachgewiesen werden. 16- und 17-Jährige haben sehr wohl ein politisches Bewusstsein und dürfen auch auf Kommunal- und Landesebene schon wählen – also wo ist das Argument, sie für die Bundespolitik auszuschließen? Dass es Parteien gibt, die vehement gegen die Absenkung des Wahlalters eintreten, sagt vor allem etwas über deren Selbstverständnis.

Sie erreichen mit Ihren Botschaften Hunderttausende. Allein bei Instagram folgen Ihnen über 180.000 Menschen. Sehen Sie bei diesen Reichweiten überhaupt noch durch und bemerken es, wenn Freunde Ihnen schreiben?

Meine Freunde schreiben mir über andere Kanäle. Aber ich habe mich letztens sehr gefreut, als mir eine alte Schulkameradin bei Instagram geschrieben hat. Ich muss aber zugeben: Ich habe keine Zeit, meinen Tag auf Instagram zu verbringen. und ich sehe, wie viele Menschen man dort erreichen kann und ich entschuldige mich für alle Nachrichten, die ich nicht lese. (lacht)

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Strengt es Sie an, bei so einer Reichweite zu kommunizieren?

Die Reichweite ist nicht anstrengend. Anstrengend ist es, hauptberuflich zu kommunizieren – und das auch noch halbwegs verantwortungsbewusst. Klimaaktivismus ist per se anstrengend. Ich bemühe mich, diszipliniert und achtsam zu sein und die Menschen nicht mit Nonsens zu stressen und ihre Zeit zu verschwenden. Keine Posts von mir werden so sehr geliked, wie die, bei denen ich erzähle, was ich heute gegessen habe. Aber das hilft in der Klimafrage nicht weiter, offensichtlich. Ich will politisch bleiben, und Menschen im Kampf gegen die Klimakrise mitnehmen.

Was macht Sie eigentlich glücklich?

Mich macht mein Aktivismus sehr glücklich und mit so vielen verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten. Aber mich machen auch ganz andere Sachen glücklich: Zeit mit meinen Freunden verbringen, mit meinem Rennrad fahren, einen Kaffee in der Sonne trinken, tanzen.

Warum wirkt es nicht so, als wären Sie glücklich?

Naja, wir sind in einer krassen Situation. Wir haben die Welt in einen Zustand manövriert, in dem es existenziell wird. Täglich überschlagen sich die schlechten Nachrichten. In dieser Krise, bei all der Gewalt und Zerstörung, ist es natürlich trotzdem wichtig, liebevoll zu bleiben und fröhlich im Herzen. Aber es gibt keinen Grund, eine Situation zu glorifizieren oder zwanghaftes Vergnügen, Realitätsausblendung zu suchen, wenn wir in einer sehr ernsten Zeit leben. Es ist an der Zeit, loszulegen, wohlwollend, umsichtig und mutig. Wenn wir das tun, bleibt auch wieder mehr Gelegenheit, um schöne Dinge zu machen.

Verwendete Quellen
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