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Auslaufmodell Kuh: Warum Milchalternativen boomen


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Alternativen auf dem Vormarsch
Tschüss Kuhmilch


Aktualisiert am 01.08.2022Lesedauer: 5 Min.
Cow in European meadow with rocky mountains on the background. Cloudy autumn or summer day in German Alps near famous castle Neuschwanstein. Bavaria, Germany (Deutschland)Vergrößern des Bildes
Kuh auf einer Weide im Allgäu: 2021 war der Pro-Kopf-Verbrauch von Trinkmilch in Deutschland so gering wie zuletzt vor 30 Jahren. (Quelle: SbytovaMN/imago-images-bilder)
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Es wird immer weniger Kuhmilch gekauft, stattdessen floriert das Geschäft mit pflanzlichen Alternativen. Demnächst wohl auch dank eines Steuervorteils.

"Milch" darf man zwar sagen, es auf die Packung zu drucken, ist bei diesen Produkten in Europa aber verboten: Pflanzendrinks sind dennoch beliebt wie nie – und ersetzen Kuhmilch in vielen Kaffeetassen und Müslischüsseln in der Bundesrepublik.

Auch wenn nur vier Prozent der Bevölkerung ganz auf Kuhmilch verzichten, weicht inzwischen mehr als ein Drittel regelmäßig oder gelegentlich auf Milchersatzprodukte aus. Und das trotz eines gesetzlichen Preisaufschlags.

Denn egal ob aus Hafer, Soja, Mandel, Reis oder Kokosnuss: Bei Milchersatzprodukten sind 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig. Das Original aus dem Euter wird auf dem Preisschild hingegen nur mit 7 Prozent veranschlagt. Für einige ist das ein ungerechtfertigter Verkaufsvorteil für die Kuhmilch.

Steuervergünstigung für Milchalternativen

"Die Mehrwertsteuer für pflanzliche Produkte muss gesenkt werden", fordert beispielsweise Victor Perli, Umverteilungspolitischer Sprecher der Linksfraktion, im Gespräch mit t-online. Er hält die steuerliche Benachteiligung von Pflanzendrinks und Co. für aus der Zeit gefallen. Einen entsprechenden Antrag für eine Anpassung des Umsatzsteuergesetzes "an die aktuellen Verzehrgewohnheiten von Nahrungsmitteln in Deutschland" hat seine Fraktion Anfang Juli in den Bundestag eingebracht.

Längst sei klar, dass tierische Produkte nur eine sehr untergeordnete Rolle für eine gesundheitsbewusste, klima- und umweltfreundliche Ernährung spielten, so Perli. In diesem Punkt stimmt auch die Bundesregierung zu, die mit einer neuen Ernährungsstrategie unter anderem dafür sorgen will, mehr pflanzenbasierte Lebensmittel in die Einkaufswagen und auf die Teller zu bringen.

"Insbesondere aus Gründen des Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutzes ist es sinnvoll, Anreize zu setzen, um den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren und eine pflanzenbetonte Ernährung zu stärken", hieß es auf Anfrage von t-online aus dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung. In anderen Worten: Tierische Produkte dürften teurer, pflanzenbasierte günstiger werden.

Ein Hebel hierfür wäre eine Senkung der Mehrwertsteuer bei pflanzlichen Produkten und eine Anhebung der Steuer bei tierischen Nahrungsmitteln. Inwiefern dies in der Ernährungsstrategie der Bundesregierung eine Rolle spielen könnte, wollte man im Ministerium jedoch noch nicht andeuten.

Dass Pflanzendrinks begünstigt werden dürften, scheint allerdings plausibel. Denn neben Fleisch und Wurst stehen zunehmend auch Milchprodukte in der Kritik.

Vom weißen Gold zum Klimakiller

Einst als Superfood gefeiert, rückt Kuhmilch vermehrt mit ihrer fragwürdigen Umweltbilanz in den Fokus. Das Rennen gegen Zeit und Klimakrise ist auch in diesem Teil des Kühlregals angekommen.

"Selbst die umweltschädlichste Sojamilch ist besser für den Planeten als eine Kuhmilch, die so umweltschonend hergestellt wurde, wie es nur geht", sagt Joseph Poore, Umweltforscher am Fachbereich Zoologie der Universität Oxford.

Poore und sein Team haben Daten von rund 40.000 Bauernhöfen aus 119 Ländern ausgewertet, um den Klima- und Umweltfußabdruck zahlreicher landwirtschaftlicher Produkte unter verschiedenen Herstellungsbedingungen zu vergleichen. Auf Milch und Pflanzendrinks haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei ein besonderes Augenmerk gelegt, da der weltweit steigende Konsum von Milch und Milchprodukten ihnen Sorge bereitet. Denn: Durch zunehmenden Wohlstand steigt die Nachfrage besonders in Schwellenländern in Asien und Afrika rapide an.

Geht es so weiter wie bisher, könnte die Weltbevölkerung im Jahr 2050 bis zu 1,3 Trillionen Liter Milch verbrauchen, 60 Prozent mehr als heute, lautet die Prognose aus Oxford. Innerhalb weniger Jahrzehnte könnte die Milchindustrie so dazu beitragen, die Landwirtschaft zur größten Quelle von CO2-Emissionen zu machen, fürchten die Forscher.

Aktuell entsteht ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft; in Deutschland sind es etwas mehr als 8 Prozent.

Jeder Milchersatz schlägt Kuhmilch

Die Studie von Joseph Poore und seinen Kollegen zeigt gleichzeitig auf, wie viel sich mit Pflanzendrinks für Umwelt und Klima erreichen lässt: In allen zentralen Kategorien schneidet Kuhmilch schlechter ab als die pflanzliche Konkurrenz.

Im Schnitt benötigt die Produktion eines Liters Kuhmilch demnach rund zehnmal so viel Fläche, verursacht dreimal so viele Treibhausgase, verbraucht zweimal so viel Wasser und führt zu höherer Phosphatbelastung des Grundwassers als Ersatzprodukte aus Hafer, Soja, Mandel oder Reis.

Einen klaren Gewinner unter den Milchalternativen gibt es allerdings nicht. Je nachdem, welche Umweltschäden man am dringendsten vermeiden will, scheint sich jeweils eine andere Option anzubieten: Mandelmilch schont das Klima am ehesten, Reismilch hat den geringsten Flächenverbrauch und die Herstellung von Sojamilch verbraucht am wenigsten Wasser und belastet das Grundwasser mit den geringsten Phosphatmengen.

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In jedem Fall sei es immer besser für den Planeten, die eigene Ernährung umzustellen, rät Umweltforscher Poore. Weniger Kuhmilch, mehr pflanzlicher Ersatz.

Pflanzendrinks als Accessoires?

"Milch ist und bleibt ein Grundnahrungsmittel, Alternativen sind Lifestyle", sagt hingegen Björn Börgermann, Sprecher des Milchindustrie-Verbandes (MIV). Er findet Vergleiche wie jenen der Universität Oxford irreführend. Statt die Klimabilanz je Liter Kuhmilch und Liter Pflanzendrink gegenüberzustellen, müsse man den Treibhausgasausstoß auf den Nährwert der Produkte runterbrechen.

"Wenn man einen Vergleich zwischen den natürlichen Inhaltsstoffen der Milch – Fett, Protein, Laktose, Mineralien – und denjenigen von Ersatzprodukten zieht, können viele der vermeintlich so wertvollen Alternativen nicht mithalten: Pro Kilogramm Nährstoff hat Kuhmilch eine viel bessere CO2-Bilanz als erwartet und liegt damit auch in Sachen Nachhaltigkeit weit vorn", so Milchindustrie-Vertreter Börgermann.

Tatsächlich ist die durchschnittliche Nährstoffdichte von Milchersatzprodukten geringer als jene von Kuhmilch, auch wenn den meisten Pflanzendrinks Calcium und Vitamine zugesetzt werden und einige Sorten durchaus hohe Mengen an Ballaststoffen (Haferdrink), Proteinen (Sojadrink) oder Kohlenhydraten (Reisdrink) aufweisen. Doch rechtfertigt der bessere Nährwert von Kuhmilch ihre deutlich schwerwiegenderen Konsequenzen für Klima und Umwelt?

Überholte Ernährungsratschläge

Gerade bei tierischen Fetten raten Ernährungsexperten zu Mäßigung und stufen pflanzliches Eiweiß gleichzeitig als ebenso wertvoll ein wie tierisches. Dennoch lautet die offizielle Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für eine erwachsene Person weiterhin: 250 Milliliter Kuhmilch, Joghurt oder Buttermilch pro Tag, dazu ein wenig Käse. Vasanti Malik, Professorin für Ernährungswissenschaften an der Universität Harvard, gehört zu jenen, die diese Weisung für überholt halten.

Kuhmilch habe selbstverständlich ein einzigartiges Nährstoffprofil, so Malik. Für Kinder mit eingeschränktem Speiseplan biete sie daher eine praktische Rundumversorgung mit Vitamin D, Protein und Calcium. Bei Erwachsenen sei der Wachstumsprozess jedoch beendet und ihr Nährstoffbedarf geringer. "Es gibt wirklich keinen Grund, Milch zu trinken – außer man mag sie", erklärt Malik. "Liegt Ihnen aber die Umwelt am Herzen, sollten Sie sich die milchtypischen Nährstoffe aus anderen Lebensmitteln holen." Dass hierfür tatsächlich bald ein Preisanreiz kommen wird, ist recht wahrscheinlich.

Umweltbundesamt und Bauern für Steuerreform

Neben der Linksfraktion forderte jüngst auch das Umweltbundesamt, den Kauf von Haferdrinks und Co. mit 7 statt mit 19 Prozent zu besteuern. Im Gegenzug sollten alle tierischen Lebensmittel mit dem höheren Regelsteuersatz belegt werden – außer für Milch, Joghurt und Käse gilt der ermäßigte Satz bisher beispielsweise ebenso für Hackfleisch und Steak.

Selbst der Bauernverband hat bereits signalisiert, für eine Mehrwertsteuerreform offen zu sein. Die Erhöhung der Steuer auf 19 Prozent für alle tierischen Produkte sei angesichts der schwierigen Situation vieler Viehhalter "das kleinere Übel", sagte der Vizepräsident des Verbands, Werner Schwarz, kürzlich der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Denn auf vielen Höfen fehlt das Geld für den tierwohlgerechten Umbau der Ställe – die höhere Mehrwertsteuer könnte das nötige Kapital hereinspülen. Sofern der Staat die Mehreinnahmen an die Bauern weiterreiche, wolle man mitziehen, so Schwarz. Sogar eine Absenkung der Besteuerung pflanzlicher Produkte auf null Prozent könnten die Bauern dann akzeptieren. "Sie brauchen dringend eine Lösung dafür, wie es weitergehen soll. Kommt diese nicht, dann steigen die Bauern aus der Tierhaltung aus."

Die Zeit, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gezielter einzusetzen, drängt also nicht nur angesichts der fortschreitenden Klimakrise. Beim Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung scheint man die gebotene Eile aber bloß bedingt zu spüren.

Hier will man sich mit der Thematik "vertieft im Rahmen der Entwicklung der Ernährungsstrategie" auseinandersetzen. Der Entwurf für diese Strategie soll allerdings erst im Laufe des kommenden Jahres stehen. Mögliche Maßnahmen müssen dann noch durch Bundestag und Bundesrat. Der Weg zum vergünstigten Pflanzendrink ist also noch weit.

Verwendete Quellen
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