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Berufsverbot für Klimaaktivistin? Das sind die Gründe


Berufsverbot für Aktivistin
Darf Engagement so bestraft werden?

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

31.01.2025Lesedauer: 5 Min.
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Die Klimaaktivistin Lisa Poettinger: Rechtfertigen ihre Ansichten ein Berufsverbot? (Quelle: IMAGO/mufkinnphotos/imago)
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Sind Kapitalismuskritik und Proteste gegen die Automesse IAA verfassungsfeindlich und ein Grund, nicht zum Lehramt zugelassen zu werden? Nicht per se. Aber wo verläuft die Grenze?

In Bayern könnte der 28-jährigen Klimaaktivistin Lisa Poettinger der Zugang zum Referendariat am Gymnasium verwehrt werden. Das würde bedeuten, dass sie womöglich keine Lehrerin werden kann. Der Grund dafür: In der Vergangenheit hatte sie unter anderem gegen den Braunkohleabbau im nordrhein-westfälischen Lützerath und die Automesse IAA protestiert. Das bayerische Kultusministerium berät derzeit noch über die Entscheidung. Poettinger selbst spricht von einem Berufsverbot und hat angekündigt, sich juristisch zu wehren.

Die Frage, die hier verhandelt wird, lautet: Wo verläuft die Grenze zwischen legitimen Protesten und verfassungsfeindlichen Bestrebungen?

Laut Beamtenstatusgesetz müssen Beamtinnen und Beamte jederzeit gewährleisten, für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Das Kultusministerium hält unter anderem die kapitalismuskritische Einstellung Poettingers für nicht vereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ein Argument der Behörde lautet, dass die Aktivistin die Internationale Automobil-Ausstellung IAA in einem Interview als ein "Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima" bezeichnet habe. In einem Bescheid heißt es über die Wortwahl: "‘Profitmaximierung’ ist eine den Begrifflichkeiten der kommunistischen Ideologie zuzuordnende Wendung."

Poettinger: Marxistin, aber keine Kommunistin

Poettinger bezeichnet sich selbst als Marxistin – ausdrücklich aber nicht als Kommunistin. Sie sei eine überzeugte Verfechterin des Grundgesetzes und der bayerischen Verfassung. "Ich finde die Analyse richtig, dass Kapitalismus zu Ausbeutung von Menschen und der Natur führt", zitiert sie der BR, "und auch allgemein zu ungerechten Strukturen, die uns letztendlich, wie wir ja sehen, gegen die Wand fahren."

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, sodass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

Auch, dass Poettinger den in der Klimabewegung gängigen Slogan "System change, not climate change" (“Systemwandel statt Klimawandel”) verwendet, wird vom Kultusministerium als Aufruf zum politischen Umsturz interpretiert. Der Slogan könne nicht nur als Appell zur Klimaneutralität verstanden werden, sondern als Appell zu einem grundlegenden Systemwechsel. Im bayerischen Verfassungsschutzbericht von 2023 heißt es, die linksextremistische Szene nutze die Sorgen der Klimabewegung vor den Folgen der Erderhitzung, um "gegen das ‘kapitalistische System’ als vermeintliche Ursache des Klimawandels zu hetzen" und wolle sie mit Slogans wie "System change, not climate change" politisieren.

Ist Kapitalismuskritik also radikal und eventuell sogar verfassungsfeindlich? Oder notwendig, wenn die Klimakrise eingedämmt werden soll?

Industrienationen müssen bald klimaneutral sein

Dafür muss ich etwas ausholen: Seit Langem wird diskutiert, ob eine Lösung der Klimakrise im Kapitalismus möglich ist oder nicht. Oft dreht sich die Diskussion um die Frage, ob Wirtschaftswachstum und Emissionen voneinander entkoppelt werden können. Die Antwort darauf ist – zumindest theoretisch – einfach: Ja, können sie. Wenn 100 Prozent des Energiebedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Den Prozess der Entkopplung kann man in diversen Industrieländern wie Deutschland bereits beobachten. Die Wirtschaft wächst und die Emissionen sinken. Jedoch nicht genug. Die entscheidende Frage ist daher nicht, ob eine komplette Entkopplung möglich ist, sondern wie schnell.

 
 
 
 
 
 
 

Um ihren fairen Anteil zu leisten, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, müssen viele große Industrienationen bereits in wenigen Jahren klimaneutral sein. Wächst die Wirtschaft weiter, steigt auch die Nachfrage nach Strom. Diese innerhalb der kurzen verbleibenden Zeit mit erneuerbaren Energien zu befriedigen, wird schwierig. Und: Die Menschheit lebt nicht nur in der Klimakrise.

Jahrzehntelang wurde ohne Rücksicht auf die Grenzen des Planeten gelebt und gewirtschaftet. Das ist keine ideologische Analyse, die Auswirkungen werden seit Jahren naturwissenschaftlich gemessen und nachgewiesen. Mehrere planetare Belastungsgrenzen wurden bereits gefährlich weit überschritten. Die Wirtschaft hat die Umwelt verschmutzt, in und von der wir leben, und die Kosten dafür auf die Gemeinschaft und zukünftige Generationen abgewälzt. Sie hat Ressourcen verbraucht, Wälder abgeholzt, Flächen versiegelt, Böden und Wasser verseucht, Tiere und Pflanzen verdrängt und vergiftet und Treibhausgase ausgestoßen. In sozialistischen Staaten ebenso wie in kapitalistischen. Wächst die Wirtschaft, wächst aber auch der Ressourcenverbrauch weiter. Es gibt nicht eine Studie, die darauf hinweist, dass sich beides entkoppeln lässt.

Kritik an Wachstumsmaxime

Eine immer größer werdende Gruppe von Forschenden schaut daher kritisch auf die Wachstumsmaxime des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Einige gehen davon aus, dass die Wirtschaft und der Konsum schrumpfen müssen, andere davon, dass der Konsum einfach nicht weiter wächst. Wieder andere sind diplomatischer und fordern, Wachstum zu hinterfragen und neu zu definieren. Marxismus und Kommunismus sind längst nicht mehr die einzigen Alternativen zum aktuellen Wirtschaften.

Kapitalismuskritik erschien mir persönlich lange zwar nötig, Fundamentalkritik aber weltfremd. Heute weiß ich: Kapitalismuskritik ist weit mehr als ideologische Hetze. Ich hätte mir gewünscht, dass mir das schon im Schulunterricht vermittelt worden wäre.

Mittlerweile sehe ich die Frage nach Wirtschaftssystem und Wachstum pragmatisch: Wenn wir unsere Lebensgrundlagen retten wollen, müssen wir jetzt aufhören, Dinge zu tun, die sie zerstören, und anfangen, Dinge zu tun, die sie fördern, schützen und erhalten. Und das in allen möglichen Bereichen. Mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien ist es nicht getan. Das wird zwangsläufig zu größeren Änderungen führen. Zu einem Systemwandel.

Seit 2009 heißt es "System Change – not climate change"

Der Ruf nach einem Systemwechsel angesichts der Klimakrise ist nicht neu. Fast 300 Organisationen forderten zum Klimagipfel 2009 in Kopenhagen in einer Erklärung: "System Change – not climate change".

Die kapitalismuskritische Haltung Poettingers allein scheint aber auch nicht das Problem zu sein. Laut Kultusministerium geht es auch um ihre Wahl der Mittel. Ihr werden unter anderem "Tätigkeit und Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen" vorgeworfen. Poettinger nahm demnach als Mitglied der Gruppen "Smash IAA" und "Offenes Antikapitalistisches Klimatreffen München" an verschiedenen Protestaktionen teil.

Aktuell laufen Gerichtsverfahren gegen Poettinger. Bei den Protesten gegen den Kohleabbau in Lützerath soll sie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet und einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte verübt haben. Außerdem soll sie AfD-Wahlplakate zerstört haben, die ihrer Auffassung nach eine antisemitische Bildsprache nutzten. Ob letzteres die Zerstörung fremden Eigentums oder Zivilcourage ist, auch darüber wird jetzt gestritten. Die Urteile stehen noch aus, solange gilt die Unschuldsvermutung.

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All das mögen für den bayerischen Staat Gründe dafür sein, dass eine Frau keine Lehrerin werden darf. Aber man kann das auch anders sehen: Teachers for Future, die Lehrerinnen und Lehrer in der For-Future-Bewegung, solidarisieren sich mit ihrer angehenden Kollegin Lisa Poettinger. Auch sie setzen sich für einen Systemwandel ein, orientiert an den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen im Sinne der Unesco. Poettinger lebe vor, was alle verbeamteten Lehrkräfte geschworen haben: den Schutz der Lebensgrundlagen gemäß Artikel 20a des Grundgesetzes.

Fragen der Verfassungstreue sind berechtigt

"Angesichts der eskalierenden Klima- und Biodiversitätskrise weist sie auf notwendige Veränderungen in unserem Wirtschafts- und Konsumverhalten hin", heißt es in einer Erklärung, "im Einklang mit den Empfehlungen des IPCCs und mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021, das Klimaschutz als Voraussetzung für die Freiheit künftiger Generationen deklariert." So übernehme Poettinger Verantwortung für die Zukunft, auf die Lehrerinnen und Lehrer junge Menschen vorbereiten sollen.

Bald wird entschieden, ob Lisa Poettinger zum Referendariat zugelassen wird. Eine Frau, die sich grundsätzlich für die richtigen Inhalte einsetzt und dafür manchmal offenbar radikalere Mittel wählt. Wer in den Staatsdienst will, muss sich gefallen lassen, dass die Behörden bei der Frage der Verfassungstreue genauer hinschauen.

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