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Klima, Müll und Co.: Die Erde kommt einem Herzinfarkt immer näher


Planetarische Grenzen überschritten
Die Erde kommt einem Herzinfarkt immer näher

Von afp, dpa, aj

Aktualisiert am 14.09.2023Lesedauer: 4 Min.
Eine Frauensilhouette vor der Sonne (Symbolbild): Die Ausbeutung des Planeten sorgt für immer größere Risiken.Vergrößern des Bildes
Eine Frauensilhouette vor der Sonne (Symbolbild): Die Ausbeutung des Planeten sorgt für immer größere Risiken. (Quelle: AP/dpa)

Die Menschheit setzt den Planeten einem enormen Risiko aus: Sechs von neun Belastungsgrenzen sind überschritten, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Wie ein Patient, der mit Bluthochdruck kämpft, kommt die Erde einem Herzinfarkt immer näher: So beschreiben es die Verfasser einer neuen Studie zu den Belastungsgrenzen des Planeten. Sechs von neun dieser planetaren Grenzen, die zusammen einen sicheren Handlungsraum für die Menschheit definieren, seien überschritten, teilten die Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) am Mittwoch mit.

"Wir können uns die Erde als einen menschlichen Körper vorstellen und die planetaren Grenzen als eine Form des Blutdrucks", erklärte Hauptautorin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen. "Ein Blutdruck von über 120 zu 80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko." Deshalb werde daran gearbeitet, den Blutdruck zu senken. Die Umweltschutzorganisation WWF sprach angesichts der Studienergebnisse von sechs "läutenden Alarmglocken" und forderte Deutschland zu stärkerem Handeln auf.

Erstmals alle Belastungsgrenzen quantifiziert

Die Wissenschaftler quantifizierten zum ersten Mal alle neun planetaren Belastungsgrenzen und konnten den Angaben zufolge damit einen detaillierten Überblick über die schwindende Widerstandsfähigkeit der Erde geben. Auch nach dem Überschreiten der Belastungsgrenzen wachse der Druck globaler Prozesse auf diese Grenzen weiter, hieß es in der Studie, die in der Fachzeitschrift "Science Advances" veröffentlicht wurde.

Erstmals definiert wurden die planetaren Grenzen im Jahr 2009. Dabei handelt es sich um neun Teilbereiche wie etwa die Nutzung von Süßwasser, die Funktion der Biosphäre, das Klima oder die Aerosolbelastung der Atmosphäre. Nun analysierte das internationale Forschungsteam um Rockström und Richardson den Zustand aller neun Systeme. Die sechs überschrittenen planetaren Grenzen sind der Studie zufolge folgende:

  • Globale Erwärmung
  • Biosphäre
  • Entwaldung
  • Schadstoffe beziehungsweise Plastik
  • Stickstoffkreisläufe
  • Süßwasser

"Die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht"

"Dieses Generalupdate der planetaren Grenzen zeigt deutlich – die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht", erklärte auch der zu den Autoren der Studie zählende PIK-Direktor Johan Rockström. Es sei unklar, wie lange entscheidende Grenzen derart überschritten werden könnten, bevor die Auswirkungen zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden führten.

Mikroplastik, Pestizide, Atommüll: Grenze überschritten

Deutlich überschritten sei der sichere Bereich bei der globalen Erwärmung sowie bei der Unversehrtheit der Biosphäre, schreibt das Team im Fachjournal "Science Advances" und verweist etwa auf das Artensterben und die Zerstörung von Lebensräumen. "Neben dem Klimawandel ist die Funktionsfähigkeit der Biosphäre die zweite Säule der Stabilität unseres Planeten", sagt Co-Autor Wolfgang Lucht vom PIK. "Und wie beim Klima destabilisieren wir derzeit auch diese Säule."

Überschritten sei die Grenze auch im Bereich des Einbringens neuartiger Stoffe in die Umwelt – also dem Eintrag vom Menschen erzeugter chemischer Verbindungen wie Mikroplastik, Pestiziden oder Atommüll. Nicht ganz so kritisch sei die Situation beim Verbrauch von Süßwasser, doch auch hier sei die planetare Grenze überschritten, heißt es weiter.

Derzeit noch im sicheren Bereich liegt demnach die weltweite Partikelverschmutzung der Atmosphäre, auch wenn in einigen Regionen wie etwa Südasien diese Grenze regelmäßig überschritten werde. Die Ozeanversauerung liegt nach der Definition der Forscher gerade noch im grünen Bereich, ebenso der Ozonabbau in der oberen Atmosphäre.

Gerade aus dieser Entwicklung zieht das Team eine Hoffnung auf Besserung auch für andere Probleme: In den 1990er Jahren habe der Abbau der Ozonschicht die planetare Grenze überschritten. "Aber dank globaler Initiativen, die durch das Montrealer Protokoll erreicht wurden, wird dieser Grenzwert aktuell nicht mehr überschritten", betont Richardson.

WWF Deutschland: "Unser Hunger nach Ressourcen"

Der WWF Deutschland zeigte sich angesichts der Ergebnisse der Studie alarmiert und rief die Bundesrepublik dazu auf, entschlossener zu handeln. "Unser Hunger nach Ressourcen treibt die Erde über ihre Belastungsgrenzen", erklärte Florian Titze von der Umweltschutzorganisation. "Wie sehr wir bereits über das Limit gegangen sind, zeigen uns die eskalierende Klimakrise und das rapide Artensterben."

Die Lösungen, um wieder innerhalb der planetaren Grenzen zu handeln, seien mit erneuerbaren Energien, Kreislaufwirtschaft, einem nachhaltigen Ernährungssystem und einem besseren Schutz von Ökosystemen bekannt. "Deutschland als erfolgreiche Industrienation muss sich endlich an die Spitze der ökologischen Transformation und einer zukunftsfähigen Wirtschaft setzen."

1,5 Grad-Ziel noch realistisch?

Für die Neubewertung der planetaren Grenzen nutzte das Forschungsteam zum einen aktuelle Studien, zum anderen simulierte es die Entwicklung der Erde mit Modellen des Erdsystems und auch der Biosphäre für mehrere hundert Jahre in die Zukunft. Als Vergleichsbasis diente ihnen die Phase zwischen der letzten Eiszeit und dem Beginn der Industriellen Revolution.

Wenn eine Belastungsgrenze überschritten sei, gebe es aber noch Möglichkeiten, die Lage zu bessern, betont das Team und verweist am Beispiel der Erderwärmung etwa auf Aufforstung. Sollte die Menschheit es schaffen, den CO2-Gehalt der Atmosphäre auf 450 Teilchen pro Million (parts per million, ppm) zu begrenzen – derzeit liegt er bei 417 – und zudem den Bestand des borealen und des tropischen Waldes nicht unter 60 Prozent der ursprünglichen Bewaldung sinken zu lassen, könnte die Erderwärmung deutlich gebremst werden: "Dann deutet die Simulation auf einen durchschnittlichen Temperaturanstieg über dem Land von 1,4 Grad bis zum Jahr 2100 hin", heißt es.

Allerdings halten etliche Klimaforscher das Erreichen des Zieles, die Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Phase auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, für nicht mehr realistisch.

Verwendete Quellen
  • science.org: "Earth beyond six of nine planetary boundaries" (englisch)
  • Nachrichtenagenturen dpa und afp
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