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Klimaschutz: Warum die Industrie von einer falschen Annahme ausgeht


Hartnäckiger Mythos
Das kann Deutschlands Rettung sein

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

21.03.2025Lesedauer: 3 Min.
Klimaschutz und Wirtschaftswachstum (Symbolbild): Grüne Projekte bringen das Land voran, die Klimakrise gefährdet die Wirtschaft.Vergrößern des Bildes
Klimaschutz und Wirtschaftswachstum (Symbolbild): Grüne Projekte bringen das Land voran, die Klimakrise gefährdet die Wirtschaft. (Quelle: Mark Fairhurst/Avalon/imago-images-bilder)
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Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, wollen manche die Klimaschutzziele auflockern. Aber: Sie gehen von einer falschen Annahme aus.

Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Um Unternehmen zu entlasten, fordern einige Industrievertreter, aber auch vereinzelt Stimmen in der Union, die angestrebte Klimaneutralität um fünf Jahre zu verschieben, also von 2045 auf 2050.

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Weil auch andere europäische Länder wie Frankreich und Italien wirtschaftliche Probleme haben, hat die EU nun den Clean Industrial Deal ausgerufen. Das Programm soll die Wirtschaft bei der Transformation hin zur Klimaneutralität finanziell unterstützen, ihr aber gleichzeitig auch mehr Spielraum gewähren, etwa indem die Umsetzung des Lieferkettengesetzes und der CO2-Grenzwerte für Autohersteller nach hinten verschoben werden. All das soll Druck von den Firmen nehmen und so der Wirtschaft zum Aufschwung verhelfen. Dabei stellt sich die Frage: Ist Klimaschutz überhaupt das Problem?

Netto-Null-Sektor wächst dreimal so schnell

Wer sich Studien dazu anschaut, erkennt schnell: Klimaschutz hemmt die Wirtschaft nicht, im Gegenteil. Die nötigen Technologien sind ein Zukunftsmarkt und können das Wirtschaftswachstum sogar vorantreiben.

Hier lohnt sich ein Blick nach Großbritannien. Dort ergab eine Analyse des britischen Industrieverbands Confederation of British Industry (CBI), dass der sogenannte Netto-Null-Sektor dreimal so schnell wächst wie die gesamte britische Wirtschaft. Damit sind rund 22.000 "grüne" Unternehmen im Land gemeint, die etwa erneuerbare Energien herstellen oder betreiben. Elektrofahrzeugbauer, Wärmepumpenhersteller, aber auch umweltfreundliche Finanzbetriebe, Abfallwirtschafts- und Recyclingunternehmen, kurzum ein bunter Strauß an Firmen und Branchen, die zum Klimaschutz beitragen.

Klima-Branche: Viele Beschäftigte, gute Löhne

2024 ist der britische Netto-Null-Sektor um zehn Prozent gewachsen, 2023 um neun Prozent. Gleichzeitig senken diese Unternehmen die Klimaemissionen und erhöhen die Unabhängigkeit und Sicherheit im Energiesektor.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, sodass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

Der Sektor beschäftigt fast eine Million Menschen in Vollzeit, und das im ganzen Land. Das Durchschnittsgehalt liegt bei rund 51.000 Euro und damit etwa 6.500 Euro höher als im nationalen Durchschnitt. Die Netto-Null-Unternehmen erwirtschafteten 2024 eine Bruttowertschöpfung (BWS) von 83 Milliarden Pfund, also 1,1 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Großbritannien und damit einen größeren Anteil als jeweils die Sektoren Landwirtschaft, Werbung und Marktforschung.

Zu wenig Klimaschutz gefährdet Wachstum und Arbeitsplätze

Der Bericht des Industrieverbands kommt zu dem Ergebnis: "Die Netto-Null-Wirtschaft treibt nicht nur den ökologischen Fortschritt voran, sondern bringt auch transformative wirtschaftliche und soziale Vorteile im gesamten Vereinigten Königreich mit sich." Und das Potenzial ist groß. Viele EU-Staaten, vor allem Dänemark und Schweden, sind Untersuchungen zufolge schon deutlich weiter mit der Umstellung auf eine Netto-Nullenergieversorgung.

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) betont immer wieder, welche wirtschaftlichen Chancen in der Transformation liegen. Investitionen in zentralen Bereichen wie der Antriebs-, Energie- und Wärmewende, industrieller Automatisierung und Digitalisierung würden neue Geschäftsfelder mit enormen Wachstumspotenzialen eröffnen. "Bis 2030 werden allein in diesen Zukunftsfeldern voraussichtlich globale Umsätze von mehr als 15 Billionen Euro pro Jahr erzielt werden", heißt es in einem Statement von BDI-Präsident Peter Leibinger aus dem Februar. Im Umkehrschluss bedeutet das: Zu wenig Klimaschutz gefährdet Wachstum und Arbeitsplätze.

Klimaneutralität und Netto-Null

Klimaneutralität bedeutet nicht, dass gar keine Treibhausgase mehr ausgestoßen werden. Es heißt, dass nur so viele menschengemachte Emissionen ausgestoßen werden dürfen, wie auf natürlichem oder technischem Wege aus der Atmosphäre wieder entnommen werden kann. Das Ganze wird auch Netto-Null genannt, weil so insgesamt keine weiteren Emissionen dazukommen.

Hitze frisst 512 Milliarden Arbeitsstunden

Der Thinktank Agora Energiewende hat untersucht, was passieren würde, wenn tatsächlich so viel Geld in saubere Technologien, entsprechende Infrastruktur und Gebäudesanierung gesteckt würde, wie es notwendig wäre, um das von der EU-Kommission vorgeschlagene Klimaziel für 2040 zu erreichen. Dieses sieht vor, die Emissionen um 90 Prozent zu reduzieren. Die EU-Wirtschaft würde dadurch um etwa zwei Prozent wachsen. Außerdem würde das die Produktion in den EU-Mitgliedsstaaten stärken, neue Arbeitsplätze schaffen und dabei helfen, dass sich West- und Osteuropa wirtschaftlich annähern.

Und nicht nur das. Klimaschutz fördert mittel- und langfristig die Wirtschaftsleistung auch auf anderen Wegen. 2023 gingen weltweit bereits mehr als 512 Milliarden Arbeitsstunden durch Hitze verloren. Das ergibt der Countdown on Health and Climate Change des renommierten Gesundheits-Journals "Lancet". Um das auszurechnen, hatten Forschende steigende Temperaturen, Luftfeuchtigkeit und Sonneneinstrahlung und ihre Auswirkungen auf Arbeitskräfte im Freien oder in ungekühlten Gebäuden analysiert. Die Zahl der Arbeitsstunden, die aufgrund von Hitze nicht geleistet werden konnten, ist demnach deutlich angestiegen und liegt 49 Prozent über dem Durchschnitt der Jahre 1990 bis 1999. Das wirkt sich schon heute negativ auf die Wirtschaftsleistung aus.

Klimaschutz ist nicht das Problem – sondern ein Teil der Lösung

Es ist daher eine gute Nachricht, dass Union und SPD am Ziel der "Klimaneutralität 2045" festhalten und es dank den Grünen nun mit Bezug auf das Sondervermögen ins Grundgesetz schreiben. Denn Klimaschutz ist nicht das Problem. Auch für die Wirtschaft ist er ein essenzieller Teil der Lösung.

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