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Atomausstieg: Habeck und Scholz nach Untersuchungsausschuss in der Kritik


Wahlkampf im U-Ausschuss
Kommt die Atomenergie zurück?

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

Aktualisiert am 17.01.2025 - 15:30 UhrLesedauer: 6 Min.
Scholz: Eine Vielzahl von Argumenten spricht gegen die Atomkraft in Deutschland, meint unsere Kolumnistin.Vergrößern des Bildes
Scholz: Eine Vielzahl von Argumenten spricht gegen die Atomkraft in Deutschland, meint unsere Kolumnistin. (Quelle: Florian Gaertner/imago)
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Im Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg werfen vor allem die Unionsparteien den Grünen vor, Entscheidungen nicht ergebnisoffen getroffen zu haben. Und haben damit auf gewisse Weise sogar recht.

Der Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg kommt zum Ende. Unter der Leitung von Stefan Heck von der CDU wurden in dieser Woche Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) befragt. Der Ausschuss war eingesetzt worden, um die Entscheidungsprozesse der Regierung im Frühjahr 2022 rund um die Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke zu untersuchen. Im Zentrum steht die Frage, ob die Laufzeitverlängerung damals tatsächlich ergebnisoffen erfolgte. Diese war für wenige Monate beschlossen worden, nachdem der Angriffskrieg gegen die Ukraine die Versorgungslage in Deutschland verändert hatte.

Die Union hatte zunächst mehr als 500 Zeugen benannt, eine ungewöhnlich hohe Zahl. Insgesamt wurden jetzt 40 befragt, herausgekommen ist wenig Neues. Der Abschlussbericht mit Stellungnahmen aller Fraktionen soll noch vor der Bundestagswahl im Februar vorgelegt werden. Auf mich wirkt der Ausschuss auch wie ein Versuch der Unionsparteien, Wahlkampf zu machen.

Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün

Mehr als um die konkrete Frage, ob in der Krise ein verlängerter Betrieb tatsächlich ergebnisoffen geprüft wurde, ging es im Ausschuss nämlich um Grundsätzliches: Sollte Atomenergie in Deutschland weiter genutzt werden oder nicht? CDU/CSU und FDP kommen da zu grundsätzlich anderen Einschätzungen als Grüne und SPD. Und blenden dabei gern all die Argumente und Fakten aus, die ihnen nicht gefallen.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, sodass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

Zur Erinnerung: Den deutschen Atomausstieg hatte 2002 die rot-grüne Bundesregierung beschlossen. 2009 folgte der Ausstieg aus dem Ausstieg, die schwarz-gelbe Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel verlängerte die Laufzeiten der Kraftwerke deutlich.

Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima kehrte die schwarz-gelbe Regierung 2011 ihren Kurs um und beschleunigte den Ausstieg sogar. Die letzten Atommeiler wurden schließlich im Frühjahr 2023 abgeschaltet. Die Ampelkoalition hatte deren Laufzeiten zuvor noch mal um drei Monate verlängert, um die Versorgungssicherheit im ersten Winter nach Kriegsbeginn zu garantieren. Mitgetragen und verantwortet haben die Entscheidung zum Atomausstieg also alle hier streitenden Parteien.

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Befürworter der Atomenergie klagen oft, Klimaschützer würden immer schnelles und effizientes Handeln fordern, sobald aber jemand auf die emissionsarme Atomenergie verweise, erscheine die Klimakrise auf einmal doch nicht mehr so schlimm. Sofortiges Handeln sei plötzlich nicht mehr so wichtig – allein aus ideologischen und irrationalen Gründen.

 
 
 
 
 
 
 

War der Weiterbetrieb nicht ergebnisoffen?

So auch der Vorwurf im Untersuchungsausschuss: Der Weiterbetrieb – auch über die beschlossenen drei Monate hinaus – sei nicht ergebnisoffen geprüft, sondern die Entscheidung aufgrund ideologischer Vorgaben gefällt worden. Ist da etwas dran?

Tatsächlich liest sich die Einschätzung des Weltklimarates (IPCC) zu Atomenergie relativ positiv. Um CO2-Emissionen zu senken und letztlich zu stoppen, gebe es unterschiedliche Optionen. Energiequellen mit geringen Emissionen sind dafür notwendig, stellt der Weltklimarat etwa im neuesten Bericht von 2022 fest. Neben erneuerbaren Energien zählt er auch Atomenergie und Carbon-Capture-and-Storage-Technologien (CCS) auf, also Technologien, die CO2 auffangen und speichern.

Über die geringen Emissionen hinaus sieht der Weltklimarat weitere Vorteile: Atomenergie sei in vielen Ländern bereits eine etablierte Technologie. Ähnlich wie Solar- und Windenergie hätten auch Atomkraftwerke einen positiven Einfluss auf die Luftqualität. Und neue Generationen von Reaktoren könnten künftig das Potenzial noch erhöhen und kohlenstoffarme Energie in großem Maßstab liefern.

Selbst Klimaaktivisten haben pragmatische Haltung

Allerdings sei der Ausbau von Atomenergie und CCS-Technologien langsamer verlaufen als in den eigenen Szenarien zur Stabilisierung des Weltklimas erwartet. Die politische, wirtschaftliche, soziale und technische Machbarkeit von Solarenergie, Windenergie und Stromspeichertechnologien hingegen habe sich in den vergangenen Jahren dramatisch verbessert. Und in allen im Bericht enthaltenen Modellen hat Atomenergie einen im Vergleich zu Sonne und Wind geringen Anteil an der Energieversorgung.

Viele Wissenschaftler, Expertinnen und selbst Klimaaktivistinnen und -aktivisten vertreten eine eher pragmatische Haltung zur Atomenergie. Sie soll demnach so lange wie nötig – und so kurz wie möglich – als Übergangstechnologie genutzt werden, wo Kraftwerke vorhanden und in Betrieb sind. In der Vergangenheit wurde Atomenergie lange Zeit gefördert, den Übergang zu erneuerbaren Energien hat das sogar erschwert. In Deutschland hat sich das erst mit dem beschlossenen Atomausstieg verändert. Seitdem wird zu Recht voll auf den Ausbau erneuerbarer Energien gesetzt, anstatt neue Atomkraftwerke zu bauen. Denn dafür gibt es gute Gründe:

1. Atomenergie ist zu langsam verfügbar

Um die Erderhitzung zu begrenzen, müssen die Emissionen so schnell wie möglich heruntergefahren, entsprechende Technologien so schnell wie möglich ausgebaut werden. Neue Atomkraftwerke ans Netz zu bringen, dauert Jahre. In der Vergangenheit waren es laut Weltklimarat bis zu 15 Jahre, in Asien wurden zuletzt aber auch Kraftwerke innerhalb von fünf bis sechs Jahren in Betrieb genommen. Solar- und Windparks können technisch viel schneller aufgestellt werden. Und wer jetzt mit den komplizierten Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland und dem Widerstand der Anwohnenden gegen solche Parks argumentiert, kann ja mal versuchen, an gleicher Stelle ein Atomkraftwerk oder gar ein Endlager zu planen und schauen, wie die Menschen darauf reagieren.

2. Atomenergie ist zu teuer

Weil es vorab massive Investitionen erfordert, werden knapp 90 Prozent der im Bau befindlichen Kernkraftwerke von staatlichen oder staatlich kontrollierten Unternehmen betrieben, betont der Weltklimarat. Die Regierungen übernehmen dabei auch einen erheblichen Teil der Risiken und Kosten. Zwischen 1955 und 2022 wurde Atomenergie in Deutschland massiv staatlich gefördert, laut dem Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft mit insgesamt rund 210 Milliarden Euro. So wurde der Preis für Atomstrom künstlich kleingehalten. Kernenergie sei wirtschaftlich nie konkurrenzfähig gewesen und habe im Energiemarkt von Anfang an nur durch massive staatliche Finanzierung überlebt, erklärten 2021 auch die deutschen Scientists for Future in einer Studie. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist mittlerweile deutlich billiger als mit fossilen und nuklearen Technologien. Die deutschen Reaktoren waren außerdem sehr alt. Sie länger weiterzubetreiben, hätte massive Nachrüstungen und damit Investitionen erfordert, um die nukleare Sicherheit zu gewährleisten.

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3. Atomenergie ist zu gefährlich

Der Weltklimarat verweist darauf, dass die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bei einem "normalen Betrieb von Kernkraftwerken wesentlich geringer sind als die durch fossile Brennstofftechnologien verursachten Auswirkungen". Statistisch sind die Gefahren gering. Realistisch gab es aber seit den 1970ern in jedem Jahrzehnt schwere Unfälle und diverse kleinere Zwischenfälle. Die Schäden bei einem Großunfall sind so hoch, dass die erforderlichen Versicherungsbeiträge faktisch unbezahlbar sind. Die Kosten für die Katastrophen von Fukushima, Tschernobyl oder Three Mile Island in den USA bezahlte jeweils die Gesellschaft.

  • Podcastfolge mit Sara Schurmann:
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4. Atomenergie ist störanfällig

Atomkraftwerke nutzen oft Flusswasser zum Kühlen ihrer Anlagen und können so laut IPCC zu lokalem Wasserstress beitragen. Kraftwerke in Frankreich mussten schon in den vergangenen Jahren in heißen und trockenen Sommern immer wieder abgeschaltet werden, weil sie nicht mehr ausreichend gekühlt werden konnten, wenn die Flüsse – aufgrund der Klimakrise – nicht genug Wasser führten. Auch wenn neuere Werke geschlossene Kreisläufe zum Kühlen verwenden könnten, steigen die Risiken in Zukunft noch. Nicht nur Dürren und Hitzewellen gefährden die Produktion von Atomstrom, auch Extremwetter wie Stürme und Fluten und der Meeresspiegelanstieg erhöhen die Gefahr für die Kraftwerke. Nur weil ein Standort in den vergangenen Jahrzehnten als sicher galt, bedeutet das nicht, dass er auch in den kommenden Jahrzehnten sicher sein wird. Das ist die Natur der Klimakrise.

5. Fusionsenergie ist nicht zeitnah verfügbar

Fusionsreaktoren werden seit Jahren heiß diskutiert und als Quell der Hoffnung gehandelt. Union und FDP geben in ihren Wahlprogrammen an, die Forschung in diesem Bereich fördern zu wollen. Atomenergie ohne giftigen Abfall, in kleineren, dezentralen Anlagen – diese Aussicht klingt zu gut, um wahr zu sein. Und tatsächlich ist es das auch bisher.

Eine aktuelle Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestages (TAB) schaut sich die Möglichkeiten der Kernfusion genauer an. Das Fazit: Mit Fusionskraftwerken ist frühestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu rechnen. Ob sie tatsächlich einen nennenswerten Anteil der Stromerzeugung leisten können, sei fraglich.

Selbst wenn die verbleibenden grundlegenden Probleme der Fusionstechnologie irgendwann gelöst werden, wird Kernfusion die Klimakrise nicht lösen. Wir haben schlicht keine Zeit, darauf zu warten, bis solche Anlagen marktreif sind. Das spricht nicht gegen Forschung in diesem Bereich. Sie darf nur nicht als Feigenblatt dienen, um erneuerbare Energien heute nicht mit voller Kraft auszubauen.

6. Es gibt bisher kein sicheres Endlager

2031 sollte der Standort für ein deutsches Atommüllendlager feststehen. Laut einem Bericht des Öko-Insituts könnte das jedoch noch weitere 50 Jahre dauern. Das Umweltministerium widerspricht zwar, rechnet selbst aber erst Mitte der 2050er-Jahre mit einem Ergebnis – da hätte eigentlich die Befüllung beginnen sollen. Bis dahin lagern die Behälter weiterhin in oberirdischen und damit unsichereren Zwischenlagern; in Gorleben läuft die Genehmigung dafür schon im Jahr 2034 aus.

Angesichts dessen ging es nie um eine langjährige Laufzeitenverlängerung, sondern immer nur um die Frage, wie Deutschland durch den ersten Winter ohne russisches Gas kommt. Wenn die Unionsparteien daher meinen, ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke sei nicht ergebnisoffen geprüft worden, dann haben sie so gesehen sogar recht: Ein Ausstieg aus dem Ausstieg stand nie zur Debatte. Aus guten Gründen. Nicht aufgrund von Ideologie.

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