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Menschenrechte fürs Meer? Größte Lagune Europas – warum Richter für sie kämpfen


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Menschenrechte für das Meer?
Warum Richter die größte Lagune Europas retten sollen


Aktualisiert am 17.04.2022Lesedauer: 5 Min.
In der Abenddämmerung scheint der Strand im spanischen La Manga endlos: So idyllisch sieht es hier im Sommer kaum aus. Dann werden tonnenweise tote Fische an die Strände des Mar Menor gespült.Vergrößern des Bildes
In der Abenddämmerung scheint der Strand im spanischen La Manga endlos: So idyllisch sieht es hier im Sommer kaum aus. Dann werden tonnenweise tote Fische an die Strände des Mar Menor gespült. (Quelle: PA)

Illegale Abwässer, Dünger und steigende Temperaturen verwandeln das spanische Urlaubsparadies Mar Menor in eine tödliche Brühe. Das Ergebnis ist ein Fischsterben in Endlosschleife. Ein europaweit einzigartiger Schritt soll helfen.

Wo Fische, Krebse und Seepferdchen im Sommer zu Tausenden ersticken, läuft etwas grundlegend falsch. Im Fall des Mar Menor sind es Abwässer und Düngemittel. Sie fließen aus den umliegenden Ackerflächen in das "Kleine Meer" an Spaniens Südostküste, Europas größte Salzwasserlagune.

Das erste Foto des Mar Menor auf Google Maps fasst gut zusammen, wofür die Urlaubsregion nahe Murcia deshalb inzwischen berüchtigt ist. Tote Fische stapeln sich am Strand, dazwischen liegen verendete Shrimps. Im Hintergrund keschert ein Mitarbeiter der Stadt alles ein, was noch rücklings an der Wasseroberfläche treibt. Das Bild stammt aus dem vergangenen Jahr.

Im August 2021 erlebte das Mar Menor das zweite große Fischsterben innerhalb von drei Jahren: Offizielle Stellen sprechen von fünf Tonnen toter Meerestiere. Umweltorganisationen gehen von zehn bis 15 Tonnen aus. Bereits 2019 waren tonnenweise Fischkadaver an die Strände getrieben worden – ein neues Gesetz zum Schutz der Lagune folgte wenig später. Doch auch das konnte den erneuten Kollaps nicht abwenden. Ein europaweit einzigartiger Schritt soll nun die Zukunft des Gewässers sichern.

Der Grund für die grüne Brühe: Die Küstenregion rund um das Mar Menor gilt als Gemüsegarten Europas. Doch die intensive Landwirtschaft hat schwere Folgen für die Lagune: Um hohe Erträge zu erzielen, werden viele Böden überdüngt. Das belastete Gießwasser fließt ebenso in die Lagune wie Abwässer illegaler Entsalzungsmaschinen und überforderter Kläranlagen in den Hotelburgen. Der Überschuss an Nährstoffen führt zu einem rasanten Algenwachstum, besonders bei heißen Temperaturen. Sterben die Algen ab, werden sie von Bakterien zersetzt, die so viel Sauerstoff verbrauchen, dass Fische und andere Meerestiere ersticken.

Einklagbare Rechte für das Mar Menor

Mit einer neuen Strategie will das spanische Parlament zumindest verhindern, dass es dem Mar Menor bald noch schlechter geht. Rund 600.000 Spanierinnen und Spanier hatten mit einem Volksbegehren darauf gedrängt. Anfang April beschlossen die Abgeordneten dann, die Salzwasserlagune als Rechtsperson anzuerkennen.

Im Klartext heißt das: Die Lagune soll einklagbare Rechte bekommen. Fürchten Bürgerinnen und Bürger, dass ein Gesetzentwurf dem Mar Menor schaden könnte, sollen sie stellvertretend für das Gewässer vor Gericht ziehen können. Auch ohne persönlich betroffen zu sein – für viele Klagen gegen Umweltzerstörung ist die direkte negative Auswirkung auf Personen bisher noch eine zentrale Voraussetzung.

Laut einem Bericht der spanischen Tageszeitung "El País" wäre das beispielsweise dann der Fall, wenn Neubaugebiete oder neue landwirtschaftliche Aktivitäten die Wasserqualität der Lagune bedrohen.

Als Nächstes muss sich die spanische Regierung mit dem Vorstoß befassen. Dank Eilverfahren könnte das neue Gesetz schon im Sommer verabschiedet werden. Erstmals würde ein Ökosystem in Europa damit denselben Schutzstatus erhalten wie Personen und Unternehmen.

Das Mar Menor und seine Bewohner wären dann Subjekte mit eigenen Rechten statt Objekte. Die rechtliche Besserstellung des "kleinen Meeres" sei wie eine Wandlung "vom Sklaven zum Bürger", zitiert "EL País" die Juraprofessorin Teresa Vicente von der Universität Murcia.

Die Idee der rechtlichen Beförderung für Ökosysteme ist zwar nicht neu, wird aber zunehmend beliebter.

Neue Richtung für den Umweltschutz weltweit

Mehr als 100 ähnliche Initiativen und Gesetze aus 30 Ländern finden sich aktuell im Verzeichnis von "Harmony with Nature", einem Programm der UN-Generalversammlung. Sie alle bemühen sich darum, die Natur oder einzelne Ökosysteme auf die gleiche Rechtsebene zu heben wie Menschen und Firmen. Ihr Ziel: Ein Ende der Hierarchie, in der die Natur an letzter Stelle kommt.

Während beispielsweise das höchste Gericht in Bangladesch 2019 die Rechte aller Flüsse anerkannt hat und die nordirische Stadt Derry seit vergangenem Jahr die Rechte von Ökosystemen mitdenkt, sind viele der Projekte bisher nur Wünsche und Hoffnungen. Ein neues Vorhaben in Deutschland hat es noch nicht einmal in die UN-Liste geschafft, doch die Organisatoren haben Großes vor.

"Gib der Natur Rechte!", fordern sie seit Kurzem in einem Volksbegehren, das den Schutz der Ökosysteme in der bayerischen Landesverfassung und im Grundgesetz verankern will. Schirmherr des Projekts ist der ecuadorianische Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Alberto Acosta Espinosa. Was innovativen Umweltschutz angeht, hat er als ehemaliger Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung seines Landes bereits einen Meilenstein gesetzt.

Ecuador als prominentes Beispiel

Seit 2008 gilt die Verfassung Ecuadors als bekanntestes Beispiel für die rechtliche Gleichstellung der Natur. Flüsse, Wälder, Moore, Wüsten, Küsten, Meere und andere Ökosysteme haben demnach das Recht zu existieren, sich zu entwickeln und zu entfalten. Unabhängig von den Interessen von Menschen und Konzernen.

Wer einen Rechtsbruch vermutet, kann klagen, egal in welchem Teil der Erde man wohnt. Wie wichtig es ist, dass solche Fälle tatsächlich vor Gericht gebracht werden, zeigt sich ebenfalls in dem südamerikanischen Land.

Noch immer setzt sich die Regierung dort über die Naturrechte hinweg, die in der Verfassung garantiert sind: Trotz katastrophaler Folgen für Flüsse und Regenwälder bekommen Unternehmen weiterhin großzügige Lizenzen für Bergbau und Ölförderung. Tausende Hektar Amazonaswald mussten allein der Kupfermine Mirador im Süden des Landes weichen. Das Kupfer von dort landet in Smartphones und Batterien für E-Autos auf der ganzen Welt; die giftigen Abwässer in den umliegenden Flüssen.

Inzwischen greift das ecuadorianische Verfassungsgericht deshalb vermehrt ein: Die Richterinnen und Richter rufen dazu auf, wegen möglicher Naturschutzverstöße zu klagen. Und sie urteilen so, wie die Verfassung es vorsieht.

Zuletzt strich das höchste Gericht die Pläne der Regierung für eine neue Kupfermine im Regenwald Los Cedros zusammen: Der Schutz des Waldes, der Flüsse und der gefährdeten Bären, Affen und Amphibien in der Gegend geht vor. Möglich ist dieser Eingriff nur, weil die Rechte der Natur in Ecuadors Grundgesetz stehen. Kein Wunder, dass das viele Naturschützer inspiriert.

Der Weg vor Gericht als besserer Schutz

Auch rund ums Mar Menor ist man bemüht, mehr Städte, Regionen und Staaten für diesen modernen Umweltschutz zu gewinnen. Juraprofessorin Vicente hat die Initiative zum Schutz des "Kleinen Meeres" schon im Ausland vorgestellt. Als Nächstes will sie das Projekt in die UN-Generalversammlung tragen, der Termin ist für Mitte April angesetzt.

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Wie effektiv sich die Salzwasserlagune in ihrer Heimatregion Murcia tatsächlich durch eigene Rechte schützen lässt, muss sich zeigen. Bisher hat nichts geholfen, um die Situation in und um das Mar Menor zu entspannen.

Obwohl die Lagune unter anderem schon als Vogelschutzgebiet anerkannt ist, auf der Liste der Vereinten Nationen für "Besondere Schutzgebiete von mediterraner Bedeutung" steht und auch durch ein internationales Abkommen über wichtige Feuchtgebiete geschützt sein sollte, drohen die Strände diesen Sommer wieder zur Todeszone zu werden.

"Wenn die Aufsichtsbehörden nicht willens sind, Verstöße gegen Umweltrecht zu ahnden, kann eine eigene Rechtspersönlichkeit der Natur den Rechtsweg erleichtern", sagt Arne Fellerman, Leiter der Klimaschutzabteilung der Umweltschutzorganisation Bund. Gerade beim Mar Menor habe sich gezeigt: Das Problem sei vor allem der mangelnde Wille, bestehende Schutzmaßnahmen umzusetzen. Ein verlässlicher Zugang zu Gerichten sei deshalb besonders wichtig. Das gelte ebenso für den Klimaschutz.

Unter Juristen ist diese Ansicht ebenfalls zu finden. "Anlässlich der Bedrohung durch die Klimakrise und zahlreicher anderer ökologischer Katastrophen erscheint es dringend geboten, auch im Recht nach neuen Wegen zu suchen", schreiben Elena Ewering und Andreas Gutmann im Verfassungsblog. Kurz: höchste Zeit, etwas anderes auszuprobieren. Nicht nur, um das "Kleine Meer" zu schützen.

Verwendete Quellen
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