Notfallverhütung EU-Kommission befreit Pille danach von der Rezeptpflicht
In Zukunft können Frauen in Deutschland die Pille danach direkt in der Apotheke abholen – die EU-Kommission hat das Medikament Ellaone freigegeben. Ihre Entscheidung gilt europaweit.
Lange hat sich die deutsche Bundesregierung dagegen gesträubt, die Pille danach von der Rezeptpflicht zu befreien. Jetzt hat die EU-Kommission ihr die Entscheidung abgenommen: In Zukunft können Frauen das Medikament Ellaone in der EU ohne ein Rezept in der Apotheke kaufen. Mit der Freigabe folgt die Kommission einer Empfehlung der europäischen Arzneimittelbehörde (Ema) vom November. Das bestätigte eine Sprecherin der EU-Kommission gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Ellaone (Wirkstoff Ulipristalacetat) ist die neuere von zwei Pillen danach, die in Europa auf dem Markt sind. Nachdem sie 2009 zugelassen wurde, unterlag sie bislang in der EU der Verschreibungspflicht. Die Vorsichtsmaßnahme diente dazu, noch unbekannte Nebenwirkungen so gut wie möglich zu dokumentieren. Dieser Prozess ist aus Sicht der Ema abgeschlossen. Da Ellaone auf einen Schlag in der EU zugelassen wurde, gilt die Freigabe ebenfalls EU-weit.
Anders ist es bei der Verschreibungspflicht der zweiten Pille danach auf dem europäischen Markt, der seit längerem etablierten Pidana mit dem Wirkstoff Levonorgestrel. Da sie in den EU-Ländern separat zugelassen wurde, obliegt es bei ihr auch den einzelnen Ländern, über die Rezeptfreigabe zu entscheiden. Während Frauen das Medikament etwa in Frankreich seit 1999 direkt in der Apotheke kaufen können, stemmte sich das zuständige Bundesgesundheitsministerium um CDU-Minister Hermann Gröhe bis zuletzt gegen die Freigabe. Auch das könnte die EU-Entscheidung jetzt ändern.
Ellaone knapp doppelt so teuer wie Pidana
Die von der Kommission freigegebene Ellaone ist fast doppelt so teuer wie die unter deutscher Rezeptpflicht stehende Pidana. Auch sonst haben beide Präparate Vor- und Nachteile: Während die Pidana spätestens 72 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr geschluckt werden muss, kann Ellaone bis zu 120 Stunden später eingenommen werden. Außerdem scheint Ellaone bei Frauen, die mehr als 75 Kilo wiegen, besser zu wirken als das ältere Präparat. Dafür existieren für sie weniger Daten zur Sicherheit.
Beharrt das Gesundheitsministerium darauf, Pidana nicht freizugeben, hätten Frauen in der Apotheke keine Wahlmöglichkeit zwischen den beiden Präparaten. Für die deutlich länger etablierte Pidana bräuchten sie nach wie vor ein Rezept vom Arzt, während sie die neuere Ellaone vom Apotheker erhalten könnten. Ein paradoxer Zustand. Gröhe deutete jedoch bereits an, dass es so weit nicht kommen werde.
"Unser Ziel ist es, auch weiterhin eine gute Beratung für beide Präparate aus einer Hand sicherzustellen. Wenn diese Beratung aufgrund einer Brüssler Entscheidung zukünftig nicht mehr zwingend durch einen Arzt vorgenommen werden muss, ist eine intensive Beratung auch in den Apotheken der richtige Weg", erklärte er im Hinblick auf die Ema-Empfehlungen zur Aufhebung der Rezeptpflicht von Ellaone. Eine Sprecherin erklärte jetzt gegenüber SPIEGEL ONLINE, dass der Inhalt der Äußerung noch immer Bestand habe.
Das spricht für die Freigabe beider Pillen danach in Deutschland - und dagegen, dass die Bundesregierung mithilfe einer speziellen Richtlinie versuchen wird, sich über die Entscheidung der EU-Kommission hinwegzusetzen. Jetzt muss Gröhe Worten Taten folgen lassen, denn bei beiden Präparaten kommt es vor allem auf eines an: Dass sie nach der Verhütungspanne so schnell wie möglich geschluckt werden. Dies war auch einer der Hauptgründe der Ema, für eine Freigabe zu plädieren.
PILLE DANACH: ARGUMENTE FÜR UND GEGEN DIE REZEPTFREIGABE
Pro:
- Die Arzneimittel-Experten vom BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) haben in einer Prüfung keine medizinischen Argumente gefunden, die zwingend gegen eine Entlassung aus der Rezeptpflicht sprechen.
- Die Familienberatung Pro Familia argumentiert, in ländlichen Gebieten sei der Zugang zu Ärzten am Wochenende, an Feiertagen oder in der Nacht nicht immer gewährleistet.
- Die Weltgesundheitsorganisation WHO schreibt in einem Factsheet: "Für einen korrekten Gebrauch ist eine medizinische Überwachung nicht notwendig." Die Levonorgestrel-Präparate seien sicher, führten nicht zu einem Schwangerschaftsabbruch, und Nebenwirkungen seien selten und normalerweise gering.
- Der von rot-grünen Bundesländern dominierte Bundesrat hatte im November die Rezeptfreiheit verlangt, um gerade jungen Frauen einen schnellen Zugang zu dem Präparat ohne Arztbesuch zu ermöglichen. Auf diese Weise würden letztlich auch Abtreibungen verhindert.
- Laut Pro Familia gibt es noch immer "sehr viele" Krankenhäuser, die Frauen abweisen, wenn sie die Pille danach haben möchten.
Kontra:
- Die katholische Kirche argumentiert, das Präparat könne befruchtete Eizellen daran hindern, sich in der Gebärmutterschleimhaut einzunisten. Wissenschaftlich nachgewiesen ist das nicht.
- Gröhe sagte, das Medikament habe in Einzelfällen schwere Nebenwirkungen und müsse daher von einem Arzt nach ausführlicher Beratung verschrieben werden. Außerdem sei ärztliche Beratung wichtig, da die verschiedenen Wirkstoffe abhängig vom Zeitpunkt der Einnahme und vom Körpergewicht der Frau unterschiedlich zuverlässig wirkten.
- Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery sprach sich im Deutschlandfunk für die weitere Rezeptpflicht aus, weil das deutsche System mit Beratung durch Ärzte gut funktioniere. Es gebe in Deutschland trotz Verschreibungspflicht die wenigsten Teenager-Schwangerschaften aller Industrieländer der Welt.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.