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"Wichtig ist, dass die Flut von Emotionen nicht zur Lähmung führt"


Psychotherapeut über Umgang mit Krisen
"Wichtig ist, dass die Flut von Emotionen nicht zur Lähmung führt"

InterviewVon Lydia Klöckner

30.04.2025 - 08:09 UhrLesedauer: 6 Min.
Mann starrt auf sein SmartphoneVergrößern des Bildes
Mann starrt auf sein Smartphone: Ein übermäßiger Konsum negativer Nachrichten kann das psychische Wohlbefinden belasten. (Quelle: filadendron/Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Das Weltgeschehen verfolgen, ohne zu verzweifeln: Das scheint immer schwieriger zu werden. Was kann dabei helfen? Ein Psychotherapeut gibt Tipps.

Der Krieg in der Ukraine tobt nun schon seit über drei Jahren, US-Präsident Donald Trump verunsichert die Weltgemeinschaft und der Klimawandel führt zu schleichenden, schwer einzuschätzenden Umweltveränderungen. Tag für Tag Schreckensmeldungen zu lesen, kann die Psyche belasten und sogar krank machen. Um das zu verhindern, ist ein bewussterer Nachrichtenkonsum wichtig, sagt der Psychotherapeut Fabian Chmielewski. Im Interview mit t-online erklärt er, wie ein gesunder Umgang mit Krisenstimmung und Zukunftsängsten aussehen kann.

t-online: Die Nachrichtenlage mit all den Krisen in der Welt ist für viele bedrückend bis alarmierend, und zwar seit Jahren. Merken Sie das als Psychotherapeut auch in Ihrer Praxis?

Fabian Chmielewski: Ja, das ist eine auffällige Entwicklung. Gerade der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat viele Menschen stark belastet. Einer meiner Patienten kämpfte mit der Angst, der Krieg könnte sich bis hin zu einem Dritten Weltkrieg ausweiten. Aber schon während der Corona-Pandemie haben Patienten mehr Themen reingebracht, die mit der Nachrichtenlage zusammenhingen: Angst vor einer Ansteckung, existenzielle Ängste, Unsicherheiten mit Impfentscheidungen.

Mit den Auswirkungen globaler Krisen auf die psychische Gesundheit haben Sie sich intensiv beschäftigt: 2023 ist Ihr Fachbuch zu dem Thema erschienen. Darin schreiben Sie, dass es eine wichtige Chance bieten kann, den aktuellen Themen Raum zu geben. Welche denn?

Zum Beispiel die Chance, die eigenen Prioritäten neu zu ordnen. Solche globalen Krisen können dazu führen, dass Menschen wieder die Werte für sich entdecken, die ihnen wirklich wichtig sind. Vielleicht merke ich im Angesicht einer Krise, dass beruflicher Erfolg mir doch nicht so viel bedeutet wie die Zeit, die ich mit meiner Familie verbringe. So bedrückend die Nachrichtenlage war und ist: Sie kann auch zu einer Neuausrichtung anregen, die die eigene Entwicklung fördert. Was ist mir wichtig im Leben? Wofür möchte ich mich engagieren?

Viele sind dazu aber nicht in der Lage. Sie fühlen sich überfordert und haben vor allem Angst.

Ja, bei meinen Patientinnen und Patienten erlebe ich eine ganze Bandbreite an Emotionen. Angst und Zukunftssorgen sind besonders präsent, sei es in Bezug auf die Klimakrise oder den Krieg in der Ukraine. Ein Patient etwa grübelte ständig darüber nach, wie sich die Klimakrise auf seine Kinder auswirken wird und was er tun kann, um sie zu schützen. Eng damit verknüpft ist oft ein Gefühl der Hilflosigkeit bis hin zur Ohnmacht. Viele fragen sich: Was kann ich als Einzelner schon tun?

(Quelle: Lukas Palik Fotografie)
(Quelle: Lukas Palik Fotografie) (Quelle: LUKAS PALIK FOTOGRAFIE)

Zur Person

Dr. Fabian Chmielewski ist Psychotherapeut in Hattingen. Er hat Fachartikel und ein Buch über globale Krisen in der Psychotherapie verfasst und hält als Dozent Vorträge über dieses Thema.

Wie sieht ein gesunder Umgang mit solchen Gefühlen aus?

Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Krisennachrichten. Psychologisch lassen sich drei typische Reaktionsweisen unterscheiden, nämlich Fight, Flight und Freeze, also der Kampfmodus, die Flucht beziehungsweise Vermeidung und das Erstarren. Manche stürzen sich mit viel Energie ins Engagement und können Gefahr laufen, dabei auszubrennen – denken wir an Klimaaktivsten. Andere fühlen sich völlig überwältigt und hilflos, während wieder andere versuchen, das Thema auszublenden. Therapeutisch ist es wichtig, zunächst zu erkennen, in welche dieser Kategorien jemand fällt, um gezielt und maßgeschneidert Unterstützung zu bieten.

Angenommen, ich verfalle in den kämpferischen Modus und engagiere mich bis zur Erschöpfung für den Klimaschutz. Wie würden Sie mir helfen?

Im ersten Schritt würde ich die positive Seite anerkennen: Der kämpferische Modus kann selbstbestimmtes Engagement für die eigenen Werte bedeuten. Extrem ausgelebt, kann er auch zur Selbstaufopferung führen. Genauso haben die anderen Strategien auch positive Seiten: Starke Emotionen können erst einmal überwältigen. Doch sie zeigen auch, dass jemand sich seinen Gefühlen nicht verschließt. Wichtig ist aber, dass diese Flut von Emotionen nicht zu einer völligen Lähmung führt.

Und auch die Vermeidung kann sinnvoll sein, da sie Pausen vom Krisenstress ermöglichen kann, wenn die Menschen sich erst mal um sich selbst kümmern. Das sollte aber nicht in einer völligen Verdrängung münden. Es geht darum, eine Balance zu finden: Engagement, ohne sich aufzureiben, bewusster Umgang mit Gefühlen und gezielte Selbstfürsorge.

Das klingt einleuchtend, könnte sich aber im Alltag als herausfordernd erweisen.

Wichtig ist, sich so konkret wie möglich zu überlegen, was man selbst ändern könnte. Ein Beispiel ist der exzessive Nachrichtenkonsum. Viele fühlen sich verpflichtet, ständig informiert zu sein. Studien zeigen aber, dass ein übermäßiger Konsum negativer Nachrichten das psychische Wohlbefinden belasten kann. Es geht also darum, informiert zu bleiben, ohne sich dauerhaft emotional zu überfordern und dabei in eine Negativspirale aus Angst und Ohnmacht zu geraten. Hier hilft es, bewusste Mediengewohnheiten zu entwickeln, den Zeitpunkt der Nachrichtenaufnahme selbst zu bestimmen, nicht endlos lang schlechte Nachrichten zu konsumieren und auch für Ablenkung zu sorgen – etwa beim Spielen mit den Kindern oder auf einer Party.

Was ist, wenn es zu spät ist? Sie erwähnten ja schon, dass die Angst irgendwann in Verzweiflung, Resignation und Depression umschlagen kann. Wie kommt man da wieder heraus?

Die Resignation hat oft damit was zu tun, dass ich mich selbst als hilflos wahrnehme und als wenig wirksam. Viele fragen sich: Hilft es wirklich dem Weltklima, wenn ich kürzer dusche oder auf einen Hotdog verzichte, während große Industrien weitermachen wie bisher?

Um Machtlosigkeit und Hoffnungslosigkeit zu überwinden, kann es helfen, den Fokus von individueller auf kollektive Wirksamkeit zu verlagern. Anstatt sich allein mit der eigenen Ohnmacht zu quälen, hilft es, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen – etwa in Klima- oder Bürgerbewegungen. In der Gemeinschaft entsteht ein neues Maß an Handlungsfähigkeit, das realistisch und ermutigend ist.

Häufig rufen Krisenstimmung und Zukunftsängste auch potenziell gefährliche Gefühle hervor: Wut zum Beispiel, die sich zu Hass und Fremdenfeindlichkeit aufschaukeln kann. Wie lässt sich damit konstruktiv umgehen?

Dazu gibt es eine interessante Studie. Sie zeigt, dass die Fähigkeit, mit Bedrohungen konstruktiv umzugehen, stark davon abhängt, wie gut unsere grundlegenden Bedürfnisse erfüllt sind. Wer sozial eingebunden ist, Erfolgserlebnisse hat und sich als selbstbestimmt empfindet, kann realistischer auf Krisen blicken und ist weniger anfällig für Verdrängungs- oder Verleugnungsprozesse. Menschen, die einsam sind oder das Gefühl haben, ständig Niederlagen zu erleben, neigen hingegen eher zu problematischen Bewältigungsstrategien – sie bagatellisieren Bedrohungen, suchen Sündenböcke oder reagieren mit Aggression.

Das Problem ist: Krisen bringen es mit sich, dass viele Menschen wichtige Bedürfnisse nicht mehr erfüllen können. Doch auch sie können versuchen, mehr von dem zu suchen, was ihnen Halt gibt – etwa soziale Unterstützung oder eine sinnstiftende Tätigkeit.

Zwischen Freunden und in Familien bieten viele politische Themen nicht selten Anlass für Streit. Wie lässt sich verhindern, dass solche Konflikte Beziehungen belasten oder sogar zerstören?

Zunächst sollte man sich bewusst machen, dass hinter den Meinungen und Handlungen eines Menschen ein Bedürfnis oder eine Wertvorstellung steckt. Selbst hinter Aussagen, die uns extrem oder unverständlich erscheinen, stehen oft Sorgen, Ängste oder tieferliegende Bedürfnisse – etwa nach Sicherheit, Autonomie oder Gerechtigkeit.

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Wie sollte man dann damit in Gesprächen umgehen?

Ein konstruktiver Ansatz für schwierige Gespräche ist es, nachzufragen: "Was befürchtest du eigentlich? Was ist dir daran wichtig?" So kann man Verständnis entwickeln und vielleicht sogar Gemeinsamkeiten erkennen, anstatt sich in pauschalen Gegensätzen wie "Klimahysteriker" versus "Klimaleugner" zu verhärten. Empathie bedeutet nicht, jede Meinung zu teilen, sondern das menschliche Bedürfnis dahinter zu sehen.

Hilfreich finde ich dabei die Idee hinter der sogenannten "Moral Foundations Theory": Moral kann nicht einfach in "gut" oder "schlecht" unterteilt werden. Vielmehr setzen Menschen unterschiedliche moralische Schwerpunkte. Einige legen besonders viel Wert auf Gerechtigkeit und Fairness, während für andere Freiheit, Respekt vor Autorität oder Loyalität wichtiger ist. Das heißt auch, dass jemand, dessen Haltung ich kritisch sehe, nicht zwangsläufig unmoralisch denkt, sondern vielleicht auf andere moralische Aspekte fokussiert ist.

Was, wenn all das nicht reicht, um eine gemeinsame Basis zu finden?

Wenn einem die Beziehung sehr am Herzen liegt, kann es in manchen Fällen besser sein zu sagen: "Let's agree to disagree", also zu sagen: Lass uns akzeptieren, dass wir unterschiedlicher Meinung sind. Das heißt, man klammert problematische Themen bewusst aus und besinnt sich auf Gemeinsamkeiten.

Toleranz heißt jedoch nicht, alles zu erdulden – besonders nicht Intoleranz – und erfordert stets, die eigenen Grenzen im Blick zu behalten.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dr. Fabian Chmielewski
Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.

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