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Kopfschmerz-Expertin: "Viele Menschen wissen gar nicht, dass sie Migräne haben"


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Ärztin klärt auf
Das ist der Unterschied zwischen Migräne und Kopfschmerz

InterviewVon Andrea Goesch

Aktualisiert am 14.12.2024Lesedauer: 6 Min.
Eine Migräne-Attacke wird häufig von Lichtempfindlichkeit begleitet.Vergrößern des Bildes
Eine Migräne-Attacke wird häufig von Lichtempfindlichkeit begleitet. (Quelle: fizkes)
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Kopfschmerzen hat fast jeder mal. Kehren sie aber immer wieder, kommen überfallartig und werden von weiteren Beschwerden begleitet, liegt meist eine Migräne vor.

Migräne ist die häufigste neurologische Erkrankung in Deutschland. Etwa 3,7 Millionen Frauen und zwei Millionen Männer sind davon betroffen. Trotzdem wissen viele Menschen wenig über die Krankheit. Denn sie hat viele Gesichter und kann sich individuell sehr unterschiedlich äußern.

t-online sprach mit der Kopfschmerzexpertin Professor Dr. Dagny Holle-Lee. Die Neurologin und Buchautorin erklärt, was bei einer Migräneattacke im Kopf passiert, welche Begleitsymptome auftreten können, und wie sich die Krankheit behandeln lässt.

t-online: Was genau passiert bei einer Migräne im Kopf?

Professor Dr. Dagny Holle-Lee: Bei Migräne handelt es sich um eine Netzwerkstörung im Gehirn. Sie ist nicht auf ein bestimmtes Zentrum begrenzt, sondern ganz viele Strukturen sind involviert. Früher dachte man, dass eine Erweiterung der Blutgefäße die für Migräne typischen Kopfschmerzen auslöst. Heute weiß man aber, dass vor allem Entzündungsprozesse eine wichtige Rolle spielen. Durch sie werden an mehreren Orten im Gehirn Botenstoffe ausgeschüttet, die zu Schmerzattacken führen.

Warum leiden manche Menschen unter Migräne und andere nicht?

Es gibt eine Anfälligkeit für Migräne, die vererbbar ist. Menschen kommen schon mit einem "Migränegehirn" auf die Welt. Häufig sind mehrere Familienmitglieder betroffen. Allerdings ist es individuell sehr unterschiedlich, wie stark die Migräne ausgeprägt ist und in welchen Lebensphasen sie auftritt. Ich hatte kürzlich einen Patienten, bei dem erst im Alter von 60 Jahren Migränesymptome aufgetreten sind.

(Quelle: Universitätsmedizin Essen)

Zur Person

Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee ist Neurologin, zertifizierte Kopfschmerzexpertin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) sowie Buchautorin. Sie leitet das Westdeutsche Kopfschmerz- und Schwindelzentrum der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Essen.

Wie erkenne ich, dass ich Migräne habe?

Die Migräne umfasst ein sehr breites Spektrum an Symptomen. Die Attacken können sich sehr unterschiedlich äußern. Einige Patienten klagen über starken, einseitigen Kopfschmerz, Licht- und Lärmempfindlichkeit sowie Übelkeit und Erbrechen und sind mehrere Tage nicht einsatzfähig.

Andere Patienten haben leichtere Migräneattacken, bei denen schwächere oder nur einzelne Symptome auftreten. Viele denken noch immer, dass eine Migräne nur einseitig auftritt. Dabei fangen die Schmerzen häufig beidseitig im Nacken an und ziehen dann nach oben.

Daher wissen viele Betroffene gar nicht, dass sie Migräne haben. Sie denken, ihre Kopfschmerzen seien ganz normal. Doch normal sind Kopfschmerzen nie, vor allem dann, wenn sie immer wiederkehren. Sie sollten bei Beeinträchtigung immer von einem Arzt abgeklärt und behandelt werden.

Migräne oder Spannungskopfschmerz: Wo liegt der Unterschied?

Im Gegensatz zu einer Migräne führen Spannungskopfschmerzen zu keiner Beeinträchtigung und die Beschwerden klingen meist schnell wieder ab. Man erinnert sich dann gar nicht, dass man kurz mal Kopfschmerzen hatte. Migränekopfschmerzen dagegen kommen in regelmäßigen Abständen immer wieder und stören den Alltag der Betroffenen.

Wie stellt der Arzt die Diagnose "Migräne"?

Ein beweisendes diagnostisches Verfahren gibt es nicht, da körperliche Untersuchungen, Blutanalysen oder bildgebende Verfahren nicht aussagekräftig sind. Migräne kann daher nur über eine Ausschlussdiagnose festgestellt werden. Das passiert mittels eines Anamnese-Gesprächs, bei dem der Arzt den Patienten nach der Art und dem Auftreten bestimmter Symptome befragt und so die Diagnosekriterien abcheckt.

Immer wieder hört man, dass Migräne durch bestimmte Trigger ausgelöst wird. Was weiß man darüber?

Früher dachte man, dass solche Trigger eine große Rolle spielen. Viele Patienten sind auch heute noch davon überzeugt und dokumentieren ihre Ernährung und ihre Aktivitäten in speziellen Migräne-Apps oder schreiben sie auf. Allerdings lassen sich aus solchen Aufstellungen meist keine ursächlichen Zusammenhänge ableiten.

Dennoch glauben viele Migränepatienten an auslösende Faktoren und denken, ein Muster zu erkennen.

Die meisten Faktoren, die man als Trigger identifiziert hat, sind nur Vorläufersymptome einer Migräneattacke. So bekommen einige Patienten vor ihrer Migräne Heißhunger auf Schokolade, weil der Hypothalamus im Gehirn aktiviert ist. Daraus leiten viele dann ab: "Wenn ich das esse, bekomme ich Migräne." Doch das Gelüst ist nur ein Zeichen dafür, dass die Migräne schon begonnen hat. Es gibt nur wenige echte Trigger, die als Auslöser einer Migräneattacke in Betracht kommen.

Können Sie das an einem Beispiel konkretisieren?

Ein nachgewiesener Trigger ist bei Frauen die Menstruation. Sie führt zu einem Abfall des Hormons Östrogen, was eine Migräne auslösen kann. Einige Menschen reagieren auch auf Rotwein mit Migräne.

Auch das Wetter wird oft für Migräne verantwortlich gemacht. Was ist dran an dieser These?

Es ist durchaus möglich, dass bestimmte Wetterlagen eine Migräne begünstigen, insbesondere Wetterumschwünge. Allerdings gibt es keine wissenschaftlichen Daten dazu. Daher ist es wichtig, dass man sich nicht verrückt macht, wenn der Wetterbericht einen Wetterumschwung ankündigt. Denn die Angst, eine Migräne zu bekommen, kann dazu führen, dass man sie tatsächlich bekommt. So etwas nennt man dann selbst erfüllende Prophezeiung.

Wie wird eine Migräne behandelt?

Bei der Behandlung unterscheidet man zwei ineinandergreifende Behandlungsverfahren: die medikamentöse und die nicht medikamentöse Therapie. Zu letzterer gehören Ausdauersport, Entspannungsverfahren und Regelmäßigkeit im Alltag. Die medikamentöse Therapie besteht aus einer Akuttherapie und einer Prophylaxe.

Worin unterscheiden sich Akuttherapie und Prophylaxe?

Bei der Prophylaxe geht es darum, Migräneattacken vorzubeugen oder deren Intensität zu verringern. Bei der Akuttherapie geht es darum, die Beschwerden zu lindern, die bereits begonnen haben. Hierzu können bei milden Verläufen einfache, frei verkäufliche schmerzstillende Mittel eingesetzt werden wie Ibuprofen oder Paracetamol. Einige Patienten kommen gut damit klar.

Wenn das nicht ausreicht, gibt es Triptane. Das sind Seratoninagonisten. Sie zeigen eine gute Wirkung und sind schon länger auf dem Markt. Daneben gibt es seit Kurzem einige neue, sehr wirksame Medikamente auf dem Markt, die anders als die Triptane wirken.

Um welche Präparate handelt es sich und welche Vorteile haben sie?

Bei der Akutbehandlung ist hier zunächst das Lasmeditan zu nennen. Im Gegensatz zu den Triptanen führt es nicht zu einer Verengung der Gefäße. Für Patienten, die ein erhöhtes Schlaganfall- oder Herzinfarktrisiko haben, ist das ein großer Vorteil.

Darüber hinaus gibt es ein weiteres Medikament, das kurz vor der Einführung steht. Es heißt Rimegepant und wird für die akute Behandlung von Migräne mit oder ohne Aura sowie die vorbeugende Behandlung der episodischen Migräne eingesetzt. Das Medikament, das als Tablette verabreicht wird, ist sehr gut verträglich und hat nahezu keine Nebenwirkungen.

Gibt es weitere Medikamente, um Migräneattacken vorzubeugen?

Es gibt ältere etablierte Präparate in Form von Tabletten. Die meisten dieser Präparate waren ursprünglich nicht für Migräne gedacht, sondern stammen aus anderen Bereichen. Hierzu gehören auch Betablocker, einige Herzmedikamente, Antidepressiva oder Mittel zur Behandlung von Epilepsie.

Seit einiger Zeit gibt es aber auch erste spezifische Medikamente, die Migräneattacken vorbeugen. Das sind neben dem erwähnten Rimegepant die sogenannten CGRP-Antikörper, die als Spritze oder Infusion verabreicht werden. Sowohl die Wirksamkeit als auch eine gute Verträglichkeit konnten nachgewiesen werden.

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Und wie sieht es mit Botox aus?

Auch Botox kann bei einer prophylaktischen Therapie eingesetzt werden, sofern eine chronische Migräne vorliegt. Das heißt, ein Patient hat mindestens 15 Kopfschmerztage im Monat. Der Vorteil ist, dass man das Mittel nur alle drei Monate verabreicht bekommt und nahezu keine Nebenwirkungen auftreten. Allerdings gilt auch hier wie bei allen anderen prophylaktischen Maßnahmen: Migräneattacken können nie völlig ausgeschlossen werden. Im besten Fall werden sie aber schwächer und weniger.

Immer wieder hört man, dass auch Cannabis gegen Migräne helfen soll.

Die Datenlage ist unbefriedigend. Es gibt keine kontrollierten Studiendaten zur Behandlung von Kopfschmerzen oder Migräne mit Cannabis. Für Patienten, denen mit schulmedizinischen Mitteln nicht geholfen werden konnte, kann Cannabis jedoch einen Versuch wert sein. Einige Betroffene sprechen gut darauf an, bei anderen jedoch zeigt sich kaum ein Effekt.

Kann Migräne auch wieder verschwinden?

Migräne ist eine sehr spezielle Erkrankung, die zyklisch verläuft. Das heißt, es gibt Phasen im Leben, wo die Symptome mal stärker und mal schwächer ausgeprägt sind. Hier spielen vor allem auch hormonelle Veränderungen eine wichtige Rolle. Und es gibt einen deutlichen Trend, dass mit dem Alter die Beschwerden nachlassen und sogar verschwinden können.

Aber auch ein Arbeitsplatzwechsel oder sportliche Aktivitäten können dazu beitragen, dass die Attacken weniger werden und man möglicherweise die Medikamente nicht mehr braucht.

Gibt es auch Hausmittel, die bei Migräne helfen?

In der Akutphase hilft häufig ein starker Kaffee. Wenn Übelkeit auftritt, hat sich Ingwer als Tee bewährt. Auch ein kalter Lappen auf der Stirn oder auf dem Nacken kann Linderung schaffen. Als prophylaktische Maßnahme hat sich die Einnahme von Magnesium bewährt.

Auch Sport und Entspannungsübungen wirken vorbeugend. Was ebenfalls wichtig ist, ist ein regelmäßiger Schlafrhythmus ohne starke Veränderungen. Wer unter der Woche immer früh aufsteht und am Wochenende extrem lange ausschläft, könnte Probleme bekommen.

Frau Dr. Holle Lee, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee
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