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Freedom Day in Dänemark | Experte: Kein mutiger Schritt, sondern Kapitulation


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Dänemark macht auf
Experte: Das ist kein mutiger Schritt, sondern eine Kapitulation


Aktualisiert am 05.02.2022Lesedauer: 3 Min.
Reisende in Kopenhagen: Das Land hat alle Corona-Maßnahmen aufgehoben.Vergrößern des Bildes
Reisende in Kopenhagen: Das Land hat alle Corona-Maßnahmen aufgehoben. (Quelle: Dean Pictures/imago-images-bilder)
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Freedom Day in unserem Nachbarland: Am Dienstag hob Dänemark alle Corona-Beschränkungen auf. Also ist das Virus besiegt? Nein, sagt ein Experte, das Land hat kapituliert.

Die Sehnsucht nach Lockerungen der Anti-Corona-Maßnahmen ist auch in Deutschland groß. Die Rufe nach Öffnungen werden lauter. Erste Bundesländer lockern die 2G-Regel im Einzelhandel. Justizminister Marco Buschmann (FDP) stellt Öffnungen im März in Aussicht.

Doch was ist in Dänemark passiert? t-online fragte den Mathematiker Kristan Schneider, der zur Modellierung epidemiologischer Prozesse forscht.

t-online: Herr Schneider, was macht Dänemark anders als wir? Ist das Land mutiger?

Kristan Schneider: Nein, was nach außen nach einem progressiven Schritt aussieht, ist in Wirklichkeit eine Verzweiflungshandlung.

Was meinen Sie damit? Wie hoch ist denn die Infektionsrate derzeit dort?

Überschlagsrechnungen zeigen, dass derzeit dort etwa jeder Fünfte infiziert ist. Die Rechnung geht so: Dänemark hat 5,8 Mio. Einwohner und momentan ca. 50.000 Fälle täglich. Rechnet man mit einer Dunkelziffer von 40 Prozent der Gesamtinfektionen, die nicht erkannt werden, sind das 83.000 Infektionen täglich. Bei einer Krankheitsdauer von zwölf Tagen macht das rund eine Million aktive Infektionen. Das ist fast ein Fünftel der Gesamtbevölkerung.

Kristan Schneider berechnet die Pandemie und ihre Folgen.
Kristan Schneider berechnet die Pandemie und ihre Folgen. (Quelle: Helmut Hammer)



Kristan Schneider ist Mathematik-Professor an der Hochschule Mittweida. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Modellierung epidemiologischer Prozesse.

Aber wie kann man mit diesen Infektionszahlen öffnen?

Das ist leicht zu begründen: Müssten in Dänemark jetzt alle diese Fälle getestet und in Isolation geschickt werden, würde das System dort zusammenbrechen. Dänemark hat den Punkt erreicht, an dem die Pandemie aus dem Ruder gelaufen ist.

Also kapituliert man letztlich?

Ja, so muss man es sagen.

Wie entwickelt sich das weiter: Was wird jetzt passieren?

Die Fallzahlen werden rapide nach unten gehen. Nicht weil es die hohe Infektionsrate nicht gäbe, sondern weil man nicht mehr testet. Und die Fallzahlen werden nicht mehr berichtet. Damit sollte man einen Soforteffekt haben. Man wird in den nächsten Tagen noch einige Fälle gemeldet bekommen, aber das ist nur der Rückstau an Tests in den Laboren und Nachmeldungen. Es gibt sicherlich viele, die dennoch vorsichtig sind und begreifen, dass die Pandemie dort nicht vorbei ist.

Was ist im Hintergrund zu beobachten?

Tatsächlich steigt die Anzahl der Hospitalisierungen unter den Kindern stark, also unter der Gruppe, die bisher durch Vorinfektion oder Impfung am wenigsten mit dem Virus in Berührung kam. Wir sehen das in Großbritannien, in Deutschland müssen immer mehr Kinder mit Covid-Symptomen zum Arzt und das wird in Dänemark nicht anders sein. Und wir kennen die Folgen von Long Covid bei Kindern nicht.

Aber es heißt doch immer, die Öffnungen wären wegen der hohen Durchimpfungsquote in Dänemark möglich.

Die Zahlen legen schon nahe, dass fast jeder Erwachsene im Nachbarland geimpft ist, ja. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen sind es über 93 Prozent, insgesamt sind 82 Prozent der Dänen geimpft. Rechnet man Personen mit Vorerkrankungen, Allergien, Schwangere etc. raus, ist fast jeder geimpft. Nun wissen wir leider aber, dass die Impfstoffe gegen Omikron nicht die gleiche Wirkung zeigen wie bei den Vorgängervarianten, zumindest was die Infektion betrifft.

Was würde die dänische Situation in Deutschland bedeuten? Was hätten wir für Inzidenzen?

Legt man alles auf Deutschland um, würde das bedeuten, man hätte mehr als 710.000 täglich gemeldete Neuinfektionen, 1,2 Millionen tatsächliche Neuinfektionen und 14 Millionen aktive Infektionen. Nicht nur, dass das Land dann vor dem Kollaps stünde: Bei den großen Impflücken, die hierzulande klaffen, hätte das fatale Folgen, was Krankheits- und Todesfälle angeht.

Wie ist Ihre Einschätzung: Müssen die Dänen eventuell wieder zurückrudern, wie die Briten es nach ihrem Freedom Day auch schon mussten?

Das ginge am Anfang einer Welle, der kritische Punkt dürfte schon überschritten sein. Man würde dort einen kompletten Lockdown für alle benötigen, radikaler als alles zuvor. Dann müssten so viele Menschen in Isolation, dass es sicherlich zu systemischen Ausfällen käme.

In etwa zwei bis drei Wochen wird man dort einschätzen können, wie gefährlich die Situation tatsächlich ist. Dann schlagen sich die hohen Infektionen in den Krankenhausbelegungen nieder. Es ist dann aber auch zu spät, um gegensteuern. Aber deutlich wird: Dänemark wagt keinen mutigen Schritt, sondern wurde von dem Virus in die Knie gezwungen.

Herr Schneider, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Kristan Schneider
  • Eigene Recherche
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