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Corona-Politik | Experte: "Es fehlt eine parteiübergreifende Verantwortung"


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Pandemie-Politik
"Mit Corona-Leugnern lohnt es nicht zu sprechen"


Aktualisiert am 13.01.2022Lesedauer: 6 Min.
Eine Impfgegnerin diskutiert mit einer Polizistin (Archivbild): Der Experte Johannes Hillje schätzt die Corona-Politik der Regierung ein.Vergrößern des Bildes
Eine Impfgegnerin diskutiert mit einer Polizistin (Archivbild): Der Experte Johannes Hillje schätzt die Corona-Politik der Regierung ein. (Quelle: Leonhard Simon/getty-images-bilder)

Sowohl die Vorgängerregierung als auch die Ampelkoalition agieren scheinbar planlos in der Krise. Die Folge: Die Bürger verlieren das Vertrauen. Ein Experte erklärt, welche Fehler die Politik macht.

2G oder doch 2G plus. Lockdown ausgeschlossen, nun doch nicht mehr. Keine Impfpflicht, jetzt soll sie doch kommen. Das Krisenmanagement in der Corona-Pandemie stiftet meist mehr Verwirrung, als dass es Orientierung gibt.

Die Folge: Viele Menschen steigen aus der politischen Berichterstattung über die Maßnahmen zur Viruseindämmung aus. Die Politik verliert an Vertrauen. t-online fragte den Politikberater Johannes Hillje, welche Fehler gemacht werden und wie die Corona-Krisenkommunikation besser funktionieren könnte.

t-online: Herr Hillje, die Maßnahmen der Regierung sind in Teilen widersprüchlich und werden zudem schlecht kommuniziert. Haben Sie auch den Eindruck, dass das dazu führt, dass immer mehr Menschen aus der politischen Berichterstattung über Corona aussteigen?

Johannes Hillje: Zweifelsohne hat sich eine gewisse Corona-Fatigue eingestellt. Und neben dem ermüdenden Regel-Zickzack trägt auch die erratische politische Kommunikation dazu bei. Nichtsdestotrotz: Die Maßnahmen, die zur Viruseindämmung beschlossen werden, haben immer noch einen hohen Rückhalt in der Bevölkerung. Drei Viertel der Bundesbürger stimmen ihnen zu oder würden sogar weitergehende Maßnahmen gutheißen, die Akzeptanz ist höher als in anderen Ländern. Dennoch: Es sind vor allem kommunikative Fehler gemacht worden.

Was sich bis heute fortsetzt und sich in den Köpfen festsetzt: Die Bund-Länder-Konferenz entscheidet irgendetwas, praktisch sofort danach tritt der erste Landeschef auf und sagt: "In meinem Bundesland machen wir das anders …"

Die Politik muss ihre Dilemmata besser erklären: Es gibt ein Bedürfnis nach Einheitlichkeit und Klarheit, aber ebenso das Gebot nach regionaler Differenzierung und Verhältnismäßigkeit. Jede einzelne Freiheitseinschränkung muss verhältnismäßig sein und gegen andere Grundrechte abgewogen werden. Sonst hält sie eventuell auch Gerichtsentscheidungen nicht stand. Das führt zu unterschiedlichem Vorgehen in verschiedenen Ländern, teilweise sogar Kreisen, und zu Ausnahmeregelungen. An einer verständlichen Vermittlung dieser Komplexität scheitert die Politik regelmäßig.

Johannes Hillje
Johannes Hillje (Quelle: Erik Marquardt)

Johannes Hillje arbeitet als Kommunikations- und Politikberater in Berlin. Unter anderem veröffentlichte er 2017 das Buch "Propaganda 4.0 - Wie rechte Populisten Politik machen".

Man hat aber zunehmend das Gefühl, dass gar kein Plan mehr hinter den Beschlüssen steckt …

Ein übergeordnetes Narrativ der Pandemiebekämpfung kommt zu kurz, weil die Politik ständig der tagesaktuellen Lage hinterher rennt. Wir erleben diese Pandemie wie ein Live-Experiment der Wissenschaft. Permanent entsteht neues Wissen, das altes ablöst, und von der Politik umgesetzt werden muss. Planbarkeit bleibt da oft auf der Strecke, aber leider eben auch Nachvollziehbarkeit. Der einzelne Bürger interessiert sich vermutlich am meisten für das, was in seiner Umgebung gilt. Aber eine Erzählung über die Strategie, mit der wir aus der Pandemie kommen, würde die Sinnstiftung der Maßnahmen erhöhen können.

Aber wir sehen hier doch viel Parteipolitik. Markus Söder etwa galt lange als Hardliner der Corona-Maßnahmen. Kaum ist seine Partei in der Opposition, wird er zum Bedenkenträger bei den 2G-plus-Regelungen und der Impfpflicht.

Ja, Söder ist das Paradebeispiel für parteipolitische Opportunität. Wir sehen, dass die Parteipolitik in der Corona-Krise nicht weggegangen ist. Unserer politischen Kultur fehlt in dieser Pandemie eine parteiübergreifende Verantwortung, bei der einzelne Akteure ihre eigenen Interessen hintenanstellen. Im Wahlkampf wollte ja plötzlich auch niemand mehr über Corona sprechen. Dabei wäre es damals dringend nötig gewesen.

Aber wäre es nicht nötig, die Parteipolitik in solchen Krisen außer Acht zu lassen?

Sicher. Allerdings bin ich überzeugt, dass die Bevölkerung ein Gespür dafür hat, was Parteipolitik ist, und was nicht. Sprich: Es zahlt sich nicht aus.

Als Delta Fahrt aufnahm, hieß es von Politikern, es hätte keiner voraussehen können, dass es so kommt. Aber das ist ja schlicht falsch. Viele Experten haben vor dieser Entwicklung gewarnt.

Ja, das ist Nonsens-Kommunikation, mit der sich Politik unglaubwürdig macht. Wir haben es hier allerdings auch mit einem kulturellen Problem zu tun: Bei niedrigen Inzidenzen trägt die Bevölkerung präventive harte Maßnahmen weniger mit, bestimmte Medien stempeln es als Panikmache ab. Vorausschauendes Handeln sollte gesamtgesellschaftlich stärker gewürdigt werden.

Aber wäre es dann nicht glaubwürdiger, genau das zu kommunizieren und sich besser auf die weitere Entwicklung vorzubereiten? Wäre es nicht ehrlicher zu sagen: Unsere Experten haben uns das vorhergesagt, aber da wir damals keinen Rückhalt in der Bevölkerung hatten, haben wir dieses und jenes schon mal für die Zukunft diskutiert?

Im Grunde braucht es unter Corona eine ganz neue Art der politischen Krisenkommunikation. Wichtig wäre zum Beispiel, nicht so zu tun, als wären die Entscheidungen, die man zu einem bestimmten Zeitpunkt trifft, nicht vorläufig. Wenn Politiker deutlicher ihre eigene Lernfähigkeit unter Beweis stellen würden, würde das ihre Glaubwürdigkeit sicher steigern.

Was meinen Sie damit?

Die weitverbreite Ausschlussrhetorik bringt uns nicht weiter. Sätze wie "Es wird keine Impfpflicht geben" oder "Es wird mit uns keinen neuen Lockdown mehr geben" sind wenig klug in der unberechenbaren Situation, die Corona hervorruft.

Man beobachtet dann aber auch zum Beispiel, dass viele Politiker das Wort Lockdown ganz und gar vermeiden. Dann heißt es Kontaktbeschränkungen, die de facto ja auch ein Lockdown light sind …

Genau, man versucht dann eine bestimmte Maßnahme sprachlich zu verschleiern, weil man sie vorher ausgeschlossen hat. Aber die Medien sind an dieser Debattenform auch nicht unschuldig. Oft bekommen Politiker genau solche Fragen gestellt wie: "Schließen Sie einen neuen Lockdown aus?" Wobei auch Journalisten wissen sollten, dass das niemand mit absoluter Sicherheit sagen kann. Es braucht mehr Offenheit für Ungewissheit.

Wie die über die Impfpflicht, die ausgeschlossen wurde …

Ja, wobei ich finde: Es ist ja auch gut und richtig, dass hier zunächst der Weg der Freiwilligkeit eingeschlagen wurde. Aber der Ausschluss einer Pflicht war schlichtweg eine Fehlkalkulation, weil die nötige Impfquote nicht erreicht wurde. Schon gar nicht die, die für die neuen Varianten nötig wurde.

Aber im Übrigen hat sich nicht nur die Meinung der Politik geändert, sondern auch die der Bevölkerung. Über zwei Drittel der Menschen sind inzwischen für die Impfpflicht. Im Sommer war noch eine Mehrheit dagegen. Es hat also auch eine Selbstkorrektur in der Bevölkerung gegeben. Aus Sicht der Politik wird nun letztlich auch versucht, dieser Mehrheit gerecht zu werden.

Es gibt aber auch Strategiewechsel, die offenbar nicht klar kommuniziert werden. Wie etwa, dass man mit den neuen Quarantäne-Regeln offenbar eine Abkehr vom strengen Eindämmungskurs vollzieht oder auch durch das Offenhalten der Schulen de facto Durchseuchung in Kauf nimmt, wenn nicht sogar plant.

Diese Strategiewechsel gibt es und sie werden klar häufig nicht gut genug erklärt. Dass es während der gesamten Pandemie nur eine gesonderte Fernsehansprache der Bundeskanzlerin gab, ist viel zu wenig. Man müsste mindestens vierteljährlich erklären, was man warum macht, was sich verändert hat, warum Entscheidungen jetzt so oder so getroffen werden.

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Sonst verliert man das Vertrauen?

Bestimmt. Corona ist keine herkömmliche Krise. Bei Naturkatastrophen oder Terroranschlägen sind die direkten Krisenauslöser schneller unter Kontrolle zu bringen. Bei dieser Pandemie wandelt sich der Krisenauslöser ständig und die Ausbreitung ist nicht so einfach wie bei einem Großbrand einzudämmen. Unter Corona müssen wir Krisenkommunikation neu denken.

Wie muss dann hier kommuniziert werden?

Über die politische Fehlbarkeit offen zu sprechen, gehört dazu. Aber weil der Erfolg der Krisenbekämpfung so stark vom Mitmachen der Menschen abhängt, müssen auch ihre Wertevorstellungen stärker angesprochen werden. Menschen haben beispielsweise eine Verlustaversion, sie wollen nichts verlieren. Daher muss klarer der Nutzen kommuniziert werden, der als Folge einer Einschränkung entsteht.

So wurde zum Beispiel sehr ausführlich über die seltenen Nebenwirkungen der Impfungen berichtet, aber immer noch zu wenig darüber, welche enormen Vorteile die Impfungen bringen.

Es geht um das richtige Verhältnis von Nutzen und Risiken. Und man braucht zudem eine gezieltere Zielgruppenansprache. Kommunikation gelingt nur, wenn der Absender Vertrauen genießt. Aber viele der Menschen, die jetzt erreicht werden müssen, vertrauen nicht der Landes- oder Bundesregierung. Aber sie hören vielleicht auf den lokalen Fußballtrainer oder sprechen mit dem Döner-Verkäufer. Diese Mikroinfluencer können einen entscheidenden Einfluss haben und wir sollten sie stärker einbinden.

Nun gibt es aber Menschen, die auch so wohl nicht mehr zu erreichen sind. Sollte die Politik mit dieser sehr kleinen, aber durchaus lauten Gruppe noch sprechen?

Pegida hat gezeigt, dass die Aufmerksamkeit für solche Gruppen sie letztlich nur stärker macht. Man macht die Gruppe damit größer und einflussreicher, als sie tatsächlich ist. Wir sprechen hier von einer – durchaus radikalisierten, aber sehr kleinen – Minderheit. Die Spaltung der Gesellschaft gibt es nicht. Denn das würde bedeuten, es stünden sich zwei in etwa gleich große Lager gegenüber. Das ist nicht der Fall.

Es geht um eine Abspaltung einer Minderheit von der Mehrheitsgesellschaft, die sogar in Kauf nimmt, dass Ärzte, Apotheker oder Politiker bedroht werden. Sie nehmen in Kauf, mit Rechtsradikalen zu demonstrieren. Mit ideologisierten Menschen, die sich außerhalb des demokratischen Diskurses bewegen, lohnt es nicht zu sprechen.

Mit wem man aber sprechen muss sind die Zweifelnden, an diese Gruppe muss ein deutliches Signal der Ablehnung radikaler Kräfte gesendet werden. Zweifel und Kritik sind ja sogar wichtig, aber man sollte sich von Grenzüberschreitung zum Extremismus fernhalten.

Herr Hillje, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Johannes Hillje
  • Eigene Recherche
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