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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Virologen-Chef "Auch Omikron könnte schwere Erkrankungen verursachen"
Die neue Variante des Coronavirus sorgt für enorme Verunsicherung, auch wenn nur wenig über sie bekannt ist. Was sie im besten Fall für uns bedeuten kann, erklärt ein Experte.
Die Informationen über die neue in Südafrika nachgewiesene Corona-Mutante sind spärlich, aber geben dennoch Anlass zur Sorge. Klar scheint zu sein: Zweimal Geimpfte sind nur schlecht gegen Omikron geschützt. Nach zwei Piksen zeigte sich eine erheblich verringerte Wirksamkeit der durch die Impfung hervorgerufenen Antikörper im Vergleich zu Delta. Doch sind Antikörper nicht das einzige Maß der Immunantwort. Was könnte Omikron im besten Fall für uns bedeuten? t-online fragte den Virologen Ralf Bartenschlager.
t-online: Herr Bartenschlager, zunächst zu unserer aktuellen Situation unter Delta: Die Inzidenzen sinken leicht, bricht jetzt die vierte Welle?
Ralf Bartenschlager: Nein, von einem Brechen würde ich nicht sprechen, dafür wären stärkere Restriktionen nötig. Wir sehen im Moment eine Seitwärtsbewegung beziehungsweise eine nur geringe Reduktion der Zahlen. Und wir wissen auch nicht, ob dieser Effekt zumindest teilweise auf eine Untererfassung der Daten zurückzuführen ist. In Regionen mit sehr hohen Inzidenzen kommt die Kontaktnachverfolgung an ihre Grenzen und auch die Labore, die die PCR-Tests durchführen, sind mitunter überlastet. Wir sehen aber weiterhin sehr hohe tägliche Todeszahlen.
Wenn sich nun Omikron ausbreitet, stößt dieses Kontaktnachverfolgungssystem dann nicht generell an seine Grenzen? Die Variante gilt als deutlich ansteckender. Wäre das dann nicht einfach eine Kapitulation vor den Zahlen?
Ja, die Untererfassung könnte noch steigen. Im Moment wissen wir aber noch viel zu wenig über Omikron, vor allem, ob sie mehr oder weniger krank macht als Delta. Im besten Fall ist Omikron zwar ansteckender, führt aber seltener zu schweren Krankheitsverläufen. Viren passen sich über die Prinzipien Mutation und Selektion an. Im Optimalfall erzeugt ein Virus gar keine Symptome, dann kann es sich ungestört ausbreiten.
Dr. Ralf Bartenschlager leitet die Abteilung für Molekulare Virologie an der Universität Heidelberg und ist Präsident der Gesellschaft für Virologie.
Das heißt, wenn die Omikron-Variante gegenüber Delta den Vorteil hat, dass sie ansteckender ist, aber die schweren Krankheitsverläufe ausbleiben, könnte das eine gute Nachricht sein? Dann müssten wir uns nicht mehr so stark isolieren? Denn letztlich geht es ja bei allen Maßnahmen darum, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten und Leiden und Sterben zu verhindern.
Das ist eine theoretische Möglichkeit, aber im Moment müssen wir davon ausgehen, dass auch Infektionen mit Omikron schwere Erkrankungen verursachen können. Aus diesem Grund müssen wir dieselben Maßnahmen einhalten wie bisher.
Bei den vier bislang bekannten humanen Coronaviren ist es doch so, dass sich die Menschen infizieren und Erkältungssymptome zeigen. Aber diese Viren machen im Regelfall nicht schwer krank. Könnte SARS-CoV-2 mit der neuen Variante sich in diese Richtung entwickeln?
Das wäre der beste Fall, aber davon können wir im Moment nicht ausgehen.
Ja, und nach den vorläufigen Daten, die vorliegen, ist das wohl auch nötig. Die Antikörper, die man nach der Impfung entwickelt, wirken gegen Omikron deutlich weniger. Man könnte es in das Bild fassen: Das Messer schneidet nicht mehr so scharf, weil es abrutscht, also nicht mehr für den zu schneidenden Gegenstand gut passt.
Aber Antikörper sind ja nicht unsere einzige Waffe gegen das Virus.
Richtig, es gibt noch die T-Zellen; die sind der zweite Teil der Immunantwort. Sie erkennen Virus-infizierte Zellen und töten diese ab. Solche T-Zellen werden ebenfalls durch die Impfung gebildet.
Das heißt, wir sind auch jetzt schon nicht ganz machtlos gegen die neue Variante?
So ist es. Wir haben Antikörper und T-Zellen, die beide für die Abwehr der Infektion wichtig sind. Entscheidend ist, dass man diese Abwehr durch Mehrfachimpfung am besten aktiviert. Also boostern, das heißt eine dritte Impfung, ist jetzt besonders wichtig. Dann hat man einen guten Schutz vor einer möglichen schweren Erkrankung auch nach einer Omikron-Infektion.
Warum wurde Omikron eigentlich nicht früher entdeckt? Als erste Fälle in der Sequenzierung nachgewiesen wurden, hieß es dann: Aber die Variante war schon früher da.
Tatsache ist, dass Südafrika die Genomsequenz der Omikron-Variante sehr früh publik gemacht hat. Damit konnte man dann gezielt danach suchen, auch hier in Deutschland. Grundsätzlich ist es so, dass man als Routinemethode einen PCR-Test durchführt. Um neue Varianten zu finden, muss man aber sequenzieren. In Ländern wie Großbritannien werden ungefähr zehn Prozent aller PCR-positiven Proben sequenziert. In Deutschland sind es meines Wissens aktuell im Schnitt zwischen drei und fünf Prozent. Je mehr man sequenziert, umso schneller wird man neue Varianten finden.
Haben Sie eine Vermutung, wie die neue Variante entstanden sein könnte?
Es ist nicht klar, ob die Mutante bei einem Geimpften oder Ungeimpften auftauchte, aber Letzteres ist viel wahrscheinlicher. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Varianten entstehen, ist beispielsweise bei Menschen, deren Immunsystem nicht gut arbeitet, besonders hoch. Dieser Immundefekt kann durch eine Erkrankung verursacht werden oder medikamentös bedingt sein, beispielsweise bei Personen nach einer Organtransplantation oder mit einer Autoimmunerkrankung.
In diesen Personen kann sich das Virus sehr lange vermehren, weil die Immunabwehr nicht in der Lage ist, den Erreger niederzukämpfen. Damit hat das Virus mehr Zeit sich zu verändern, im Vergleich zu fitten Geimpften, die eine schnelle Immunantwort haben und das Virus gleich eliminieren. Wenn sich diese immungeschwächten Menschen darüber hinaus mit mehreren Varianten infizieren, also beispielsweise Alpha und Beta abbekommen haben, können Erbgutbruchstücke zwischen diesen Viren ausgetauscht werden. Das Ergebnis kann eine Art Patchwork sein, also eine Variante, die Mutationen von der einen und der anderen Variante hat.
Virologen und Modellierer gehen davon aus, dass Omikron etwa ab Januar die dominante Variante hierzulande sein wird. Sehen Sie das auch so?
Ja, davon ist auszugehen, wenn man die Daten betrachtet. Hier gilt aber das vorhin Gesagte: Ob Omikron weniger pathogen ist, können wir nicht sagen, dafür haben wir nicht genügend Daten. Wenn es so wäre, wäre das eine gute Botschaft, aber solange wir das nicht wissen, sind die Booster-Impfung und die Einhaltung der bisherigen Regeln das oberste Gebot.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Ralf Bartenschlager
- Eigene Recherche