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Corona-Ausbruch: "Mit jeder Welle gibt es neue Herausforderungen"


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Gesundheitsamts-Abteilungsleiter warnt
"Das erinnert mich an ein Katastrophenszenario"

InterviewVon Sandra Simonsen

Aktualisiert am 17.11.2021Lesedauer: 5 Min.
Intensivstation in Leipzig: Überall herrscht derzeit Personalmangel.Vergrößern des Bildes
Intensivstation in Leipzig: Überall herrscht derzeit Personalmangel. (Quelle: getty-images-bilder)
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Die Corona-Inzidenzen explodieren, Krankenhäuser kämpfen mit Bettenmangel, die Kontaktnachverfolgung wird schwieriger. Ulrich Wagner vom Karlsruher Gesundheitsamt kann sich darum Lockdown-Maßnahmen vorstellen.

Eigentlich konnten sich die Deutschen immer darauf verlassen, dass sie bei einem Verkehrsunfall oder einem Herzinfarkt schnellstmöglich, bestmöglich und auch in der Nähe gesundheitlich versorgt werden. Doch mit der Corona-Pandemie und den dramatisch steigenden Fallzahlen ist das nicht mehr so selbstverständlich, wie Dr. Ulrich Wagner vom Gesundheitsamt in Karlsruhe erklärt.

Und nicht nur in den Krankenhäusern, auch in den Behörden herrscht Personalmangel. Fälle können nicht mehr hundertprozentig nachverfolgt, nicht mehr alle Kontakte registriert werden. t-online hat mit Dr. Ulrich Wagner darüber gesprochen, was das für die Bürger bedeutet, aber auch gefragt, was er von der Politik jetzt erwartet und ob er einen erneuten Lockdown für wahrscheinlich hält.

t-online: Bei Ihnen im Gesundheitsamt wird seit einer Weile gewarnt: Wer beispielsweise mit dem Fahrrad stürzt, könne im Zweifel nicht mehr in der Nähe intensivmedizinisch versorgt werden. Wie ist die aktuelle Lage in Ihren Krankenhäusern?

Dr. Ulrich Wagner: Erfreulicherweise hat sich die Lage in der vergangenen Woche zumindest nicht wesentlich verändert – die Befürchtung war, dass es jetzt noch einmal kritischer würde. Aber es gibt eine breite, auch öffentliche Diskussion über die Verlegung von Intensivpatienten. Man versucht dann immer erst innerhalb eines Clusters zu verlegen – wenn die Situation noch kritischer wird, wird bundeslandweit verlegt.

Und wir sind jetzt so weit, dass schon über die Verlegung über Bundesländergrenzen hinaus diskutiert wird. Dass man jetzt überlegt, Menschen aus Karlsruhe nach Niedersachsen zu verlegen, erinnert mich auf jeden Fall schon an ein Katastrophenszenario.

Die Fallzahlen sind so hoch sind wie noch nie, gleichzeitig gibt es so wenig Personal wie noch nie. Können Sie das beziffern?

Genau beziffern können wir das nicht. Aber es gibt Schwerpunkte beim Verlust von Intensivfachpflegepersonal. Andere Krankenhäuser sagen, es gibt ein Nadelöhr bei den Ärzten.

Es unterscheiden sich also die Schwerpunkte ein wenig – aber eigentlich hören wir aus allen Kliniken, und auch aus dem niedergelassenen Sektor, dass es Personalprobleme gibt. Denn das eine sind natürlich die Beschäftigten, die aufgrund der andauernden Überlastung gegangen sind – aber es gibt auch einen relevanten Krankenstand.

Dr. Ulrich Wagner ist Leiter der Abteilung Gesundheitsschutz des Gesundheitsamtes im Landkreis Karlsruhe und damit unter anderem zuständig für den Infektionsschutz, die hygienische Überwachung von Einrichtungen und das Impfwesen. In der Corona-Pandemie ist er in ständigem Austausch mit den örtlichen Krankenhäusern, den niedergelassenen Ärzten, den Pflegeheimen und den Verwaltungsstäben der Stadt und des Landkreises Karlsruhe. Im Gesundheitsamt werden die neuen Corona-Fälle gemeldet, ermittelt und dokumentiert.

Nicht nur in den Krankenhäusern, auch in den Gesundheitsämtern war die Lage während der Pandemie häufig kritisch: Wie sieht es bei Ihnen aktuell aus, können Corona-Fälle noch nachverfolgt werden?

Wir hatten bereits im September einen Strategiewechsel, der nicht nur der Überforderung der Gesundheitsämter, sondern auch der veränderten Situation geschuldet war. Je mehr Menschen geimpft waren, desto mehr sind wir bei der Kontaktnachverfolgung auch auf Geimpfte gestoßen. Deshalb wurde seither nicht mehr automatisch jeder Kontakt nachverfolgt.

Der Fokus bei den Kontakten liegt nun auf den Haushaltsangehörigen. Gleichzeitig wird bei jeder Ermittlung erfragt, ob es Verbindungen zu besonders gefährdeten Menschen gibt, zum Beispiel in Pflegeheimen. Das war der erste Schritt – und jetzt, angesichts der explodierenden Fallzahlen, hat Baden-Württemberg landesweit vor etwa einer Woche eine Art Notbremse gezogen und uns aus der Verpflichtung entlassen, jeden Fall nachzuverfolgen.

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Warum ist das ganz konkret nicht mehr möglich?

Auch bei uns sind die Zahlen enorm explodiert: Es gab schon 600 neue Corona-Fälle an einem Tag. Und dafür sind wir personell mit rund 75 Mitarbeitern, die sich darum kümmern, auf keinen Fall gerüstet. Und zu den Einzelfällen kommt hinzu, dass es immer viele besondere Fallkonstellationen gibt, bei denen man deutlich über den Einzelfall hinaus, beispielsweise ganze Schulklassen, überprüfen muss.

Also nein, wir verfolgen nicht mehr alle Fälle. Das heißt aber nicht, dass die Menschen jetzt alle positiv frei herumspringen. Weiterhin muss jeder, der positiv ist, inklusive seiner Haushaltsangehörigen in Quarantäne. Und dem folgen die meisten auch.

Was bedeutet das für Sie im Gesundheitsamt?

Die Verwaltung funktioniert wie das normale Leben auch: Wir sind nicht mehr im Lockdown. Und im Frühsommer haben wir uns entschlossen, die dringend überfälligen übrigen Dienstaufgaben wieder wahrzunehmen. Und das kann man auch nicht einfach wieder über Bord werfen. Das sind auch wichtige Aufgaben wie Kinderschutz oder Trinkwasserüberprüfung. Daher gab es eine klare Grundsatzentscheidung – und nun fehlt natürlich dieses Personal für die Pandemiebekämpfung.

Sie kritisieren auch Versäumnisse bei der Politik: Was fordern Sie, damit die vierte Welle gestoppt werden könnte?

Es gibt ein wenig die schizophrene Wahrnehmung, dass wir hier angesichts der hohen Fallzahlen nicht mehr wissen, wo oben und unten ist und die Krankenhäuser wieder überfüllt sind. Und andererseits gibt es trotzdem Partys in Diskotheken und volle Fußballstadien ohne Maskenpflicht und das Leben findet normal statt.

Ich will gar nicht sagen, dass diese Entwicklung falsch war. Auch die politischen Entscheidungsträger sind in einer extrem schwierigen Situation. Es muss immer wieder nachjustiert werden und mit jeder Welle gibt es neue Herausforderungen.

Hat Sie persönlich die Heftigkeit dieser Welle überrascht?

Auch ich habe nicht damit gerechnet, dass es in diesem Winter wieder so schwierig wird. Aber ein industrialisiertes Land kann es sich nicht leisten, das Gesundheitssystem so an die Wand zu fahren, dass wir bei Unfall, Herzinfarkt oder Schlaganfall nicht mehr die beste Versorgung erwarten können. Und es ist ja jetzt schon so, dass viele wirklich notwendige Operationen verschoben werden. Da geht es auch um Menschenleben, nicht nur um Lebensqualität. Das ist jetzt schon Realität.

So wie die Fallzahlen explodieren – und wir wissen ja, dass sich die Zahlen mit zeitlichem Verzug auch auf die Zahlen in den Krankenhäusern niederschlagen – müssen wir eine ganz schlimme Situation befürchten. Und was wir aus den bisherigen Wellen gelernt haben: Das einzige, was immer geholfen hat, waren entschiedene Kontaktbeschränkungen.

Könnten Sie sich dann auch einen erneuten Lockdown vorstellen?

Ich habe eigentlich immer gesagt, ich kann es mir nicht vorstellen. Aber im Moment ist meine persönliche Einschätzung – aber ich bin ja kein politischer Entscheidungsträger: Wenn wir das Gesundheitssystem am Laufen halten wollen, wird man nicht drumherum kommen, wieder bestimmte Maßnahmen einzuführen, die lockdownähnlich sind.

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Glauben Sie, dass diese Einschränkungen dann nur für Ungeimpfte gelten?

Für Ungeimpfte gibt es ja schon viele Einschränkungen. Aber meine Befürchtung ist: Kontaktbeschränkungen nur für Ungeimpfte sind zumindest im privaten Bereich kaum kontrollierbar und außerdem finden die Übertragungen gerade so unkontrolliert auch bei Geimpften statt, dass nur generalisiert einschneidende Kontaktreduzierungen den Trend brechen können. Aber ob das bei der politischen Situation gerade umsetzbar ist… Wenn allerdings nichts passiert, werden wir noch Gravierenderes in den Krankenhäusern sehen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Wagner!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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