Tausende Fälle Warum sind Impfdurchbrüche mittlerweile so häufig?
Geimpft und doch an Corona erkrankt: Das kommt vor und könnte in den nächsten Monaten häufiger passieren. Nicht verwunderlich, sagen viele Fachleute. Manche sehen Grund zum Handeln, um die kritische Infektionslage wieder einzudämmen.
Man hört es häufiger, im Bekanntenkreis oder in Nachrichten über Promis und Sportler: Wieder ein positiver Corona-Test, trotz vollständigen Impfschutzes. Manche bekommen Covid-19-Symptome, wenn auch meist mild: 117.763 wahrscheinliche Impfdurchbrüche – also Infektionen mit Symptomen – verzeichnete das Robert Koch-Institut (RKI) seit Anfang Februar laut Wochenbericht von Donnerstagabend.
Angesichts von über 55 Millionen vollständig Geimpften sehen Fachleute keine mangelnde Wirksamkeit der Impfstoffe, diese schützten weiter sehr gut vor schweren Verläufen. Doch angesichts der vierten Welle wird der Ruf laut, Auffrischungsimpfungen breiter anzubieten.
So kommt es zu Durchbruchsinfektionen
"Man muss wissen: Der Schutz vor einer Infektion ist ein halbes Jahr nach der Impfung nicht mehr so gut gegeben", sagt der Bonner Virologe Hendrik Streeck. Der Impfstoffforscher Leif Sander von der Charité in Berlin erklärt: Am besten geschützt sei man ein bis zwei Wochen nach der Zweitimpfung, danach nehme der Schutz vor einer Ansteckung langsam ab. Allerdings blieben Geimpfte deutlich besser geschützt als Ungeimpfte.
Unerwartet kommt der nachlassende Effekt nicht. Virologe Christian Drosten sprach schon im April darüber, dass Geimpfte nach einigen Monaten wieder zur Weitergabe des Virus beitragen könnten. Viel wichtiger als der Schutz vor Infektion sei aber der Schutz vor einem schweren Verlauf – der bleibe weiter erhalten, betont Streeck. Wer sich trotz Impfung infiziert, dürfte Fachleuten zufolge in der Regel mild erkranken oder nichts bemerken. Generell kommen Impfdurchbrüche auch bei Impfungen gegen andere Krankheiten vor.
Impfdurchbrüche können gefährlich sein
Heikel kann die Ansteckung insbesondere bei Menschen höheren Alters oder mit Vorerkrankungen werden. Die Immunantwort fällt etwa bei Älteren nach Impfungen geringer aus, sie können dann auch schwerer erkranken. Unter den insgesamt 1.076 gestorbenen Covid-19-Fällen mit Impfdurchbrüchen, die von Anfang Februar bis Ende voriger Woche erfasst wurden, waren laut RKI 782 mindestens 80 Jahre alt. "Das spiegelt das generell höhere Sterberisiko – unabhängig von der Wirksamkeit der Impfstoffe – für diese Altersgruppe wider", heißt es.
Der Anteil der Impfdurchbrüche an allen Covid-19-Fällen zeige, "dass nur ein geringer Anteil der hospitalisierten, auf Intensivstation betreuten bzw. verstorbenen Covid-19-Fälle als Impfdurchbruch zu bewerten ist". Das RKI nennt die Zunahme von Durchbruchinfektionen im Laufe der Zeit "erwartbar": Immer mehr Menschen seien geimpft, das Virus breite sich wieder vermehrt aus. "Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, als vollständig geimpfte Person mit dem Virus in Kontakt zu kommen."
Die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte Anfang Oktober ihre Empfehlung zu Auffrischungsimpfungen ausgeweitet. Sie richtet sich an Menschen ab 70, Menschen mit geschwächtem Immunsystem, Bewohner von Pflegeheimen, Pflegepersonal und medizinisches Personal mit direktem Kontakt zu Patienten. Auch Menschen, die den Impfstoff von Johnson & Johnson bekommen haben, können ihren Schutz mit einer Dosis mRNA-Impfstoff verbessern. Die Impfverordnung sieht die Möglichkeit zur Auffrischung aber grundsätzlich für alle vor, für die es zugelassene Impfstoffe gibt.
Auffrischung für alle Impfbereiten?
Für Charité-Wissenschaftler Sander würde die Ausweitung angesichts der Corona-Entwicklung Sinn ergeben: "Allen impfbereiten Menschen eine dritte Impfung ein halbes Jahr nach der Zweitimpfung anzubieten, hätte auch einen dämpfenden Effekt auf die Virusverbreitung in der Bevölkerung." Die Drittimpfung könne die Immunität wieder deutlich verbessern. "Wir bräuchten jetzt sechs bis acht Wochen lang eine große Kampagne wie zu Beginn des Jahres, mit Impfzentren und mobilen Impfteams." Sander berief sich auch auf Erfahrungen Israels, wo man sich aus der vergangenen Welle "herausgeboostert" habe.
Gegner einer Ausweitung von Auffrischungsimpfungen, zu denen derzeit auch Streeck zählt, argumentieren etwa mit der weltweiten Knappheit an Impfstoffen. Andere Länder benötigten die Dosen dringender. Hinzu komme: Das Gesundheitssystem würde eher entlastet, wenn Impflücken bei Menschen über 60 geschlossen werden – und weniger mit Drittimpfungen bei Mittzwanzigern.
Aus der Fachwelt ist eine weitere Sorge zu hören: Könnte das Vertrauen in die Impfstoffe leiden, wenn man jetzt breit zum Auffrischen aufriefe? Gleichzeitig ist klar: Eine solche Empfehlung müsste zeitig kommen, nicht erst auf dem Höhepunkt der vierten Welle.
Im Herbst und Winter auch als Geimpfter mit Corona rechnen
Befürchtet wird, dass Menschen diesen Herbst und Winter wieder mehr Atemwegserkrankungen bekommen. Als Geimpfter sorglos mit Halsschmerzen ins Büro gehen? Keine gute Idee. "Wer im Herbst und Winter Erkältungssymptome hat, sollte sich mittels PCR testen lassen", so Streeck. "Auch Geimpfte sollten in solchen Fällen Corona in Betracht ziehen – es ist ein Irrtum zu glauben, dass man es überhaupt nicht bekommen kann."
Das Risiko, das von geimpften und ungeimpften Infizierten ausgeht, unterscheidet sich: "Wenn sich Geimpfte infizieren, haben sie laut einer Studie zwar kurzzeitig eine so hohe Viruslast wie Ungeimpfte", erläuterte Streeck. "Diese fällt aber sehr viel schneller ab. Damit verkürzt die Impfung die Zeitspanne, in der das Virus weitergegeben werden kann." Und was ist nach einem Impfdurchbruch? Aus Sanders Sicht ist dann voraussichtlich keine Auffrischung nötig. "Bei Geimpften wirkt die Infektion wahrscheinlich wie ein Booster." Ausreichend Daten dazu lägen aber noch nicht vor.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Nachrichtenagentur dpa