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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Long-Covid Neue Erkenntnisse: Was Betroffenen helfen kann
Noch immer ist unklar, welche Langzeitschäden eine Corona-Infektion hinterlassen kann. Nun haben Experten die Erkenntnisse über Long-Covid zusammengefasst. Was bisher bekannt ist.
Eine Infektion mit dem Coronavirus kann schwerwiegende Folgen haben. Noch immer bleibt die Kernfrage, warum manche Menschen akut so schwer erkranken und andere nur leichte oder sogar gar keine Symptome zeigen. Eine endgültige Antwort darauf ist noch offen.
Doch auch nach leichten oder nur mittelschweren Krankheitsverläufen können langandauernde Leidenswege beginnen. Erstmals wurde jetzt eine sogenannte S1-Leitlinie entwickelt, mit der Long-Covid-Patienten geholfen werden kann.
15 Prozent der Genesenen betroffen
14 Fachgesellschaften, Patientenverbände und andere Experten haben das Papier entwickelt. Es zeigt vor allem eins: Die genauen Ursachen dieser Folgeerkrankung sind unklar. Betroffen sind etwa 15 Prozent der Infizierten, das wären bislang über 550.000 Menschen in Deutschland.
Unterschieden wird zwischen Long- und Post-Covid: Als Long-Covid-Betroffene gelten Menschen, die mehr als vier Wochen nach ihrer Infektion immer noch Symptome zeigen. Post-Covid-Patienten leiden auch zwölf Wochen nach Erkrankungsbeginn unter Beschwerden oder neu aufgetretenen Krankheitszeichen. Die Symptome sind vielfältig: Kopfschmerzen, Erschöpfung und geringe Belastbarkeit ("Fatigue-Syndrom"), Muskelschmerzen, Atemnot, Depressionen und Angstzustände zählen dazu.
Aber auch neurologische Probleme (beispielsweise Gedächtnis- und Wortfindungsstörungen), Geschmacks- und Geruchsveränderungen, Seh- und Höreinschränkungen, Herz-Kreislauferkrankungen sowie Beeinträchtigungen des Magen-Darm-Trakts werden beschrieben. Über 200 verschiedene Symptome listen andere Studienautoren auf, oft halten die Beschwerden monatelang an.
Klar ist: Die aus einer Covid-Erkrankung resultierenden Langzeitfolgen sind nicht eindeutig einem medizinischen Fachgebiet zuzuordnen. "Daher ist es auch sinnvoll, dass sich hier Lungenfachärzte, Neurologen und Kardiologen zusammengefunden haben", erklärt Dr. Gabriele von Sanden, Kardiologin an der Asklepios Reha-Klinik im bayerischen Schaufling. Sie behandelt auch Post-Covid-Patienten. "Den Betroffenen kann auch dann am besten geholfen werden, wenn interdisziplinär zusammengearbeitet wird. Dafür wären mehr Spezialabteilungen sinnvoll."
"Massive Leistungsabfälle sind messbar"
Von Sanden erlebt vor allem Menschen mit massiven körperlichen Einschränkungen. "Wenn wir die Sauerstoffsättigung im Blut messen, sehen wir etwa bei Patienten, die eine Lungenentzündung durchgemacht haben, massive Leistungsabfälle – häufig schon beim einfachen Gehen." Oft kommen Menschen nach einer Zeit auf der Intensivstation unter Beatmung in die Reha-Klinik. "Bis zu zwei Monate an einer Beatmungsmaschine zu verbringen, hat schwere Auswirkungen nicht nur auf den Körper, auch auf die Psyche. Ihnen fehlen da einfach zwei Monate ihres Lebens, an die sie keine Erinnerung haben."
Starke seelische Belastungen machen auch die Experten der Leitlinie als einen Faktor zur Entstehung von Long-Covid verantwortlich. Für von Sanden nachvollziehbar: "Viele Patienten sind schwer traumatisiert. Sie haben erlebt, wie zum Beispiel ihre ganze Familie erkrankte und vielleicht ein Großelternteil gestorben ist und sie konnten nicht einmal Abschied nehmen. Das ist sehr prägend."
Long-Covid ist keine psychische Erkrankung
Aber die Kardiologin stellt klar: "Long- oder Post-Covid ist keine psychische Erkrankung. Die Erschöpfungszustände dieser Menschen – und dieses 'Fatigue-Syndrom' ist ein Hauptmerkmal von Long-Covid – sind körperlich messbar. Den Menschen zu sagen: 'Reiß dich mal zusammen, das kann doch nicht so schlimm sein', ist einfach komplett falsch. Die körperlichen Einschränkungen sind eindeutig nachweisbar."
Als Ursache für den Leistungsabfall der Patienten vermuten die Leitlinien-Autoren Gewebeschäden nach der Covid-19-Erkrankung, vor allem in der Lunge. Aber auch chronische Entzündungen oder Autoimmunerkrankungen könnten dahinterstecken. Körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit oder anhaltender Husten werden ebenfalls gelistet. Doch klar ist: Auch die kognitiven Fähigkeiten können betroffen sein. "Wir sehen zum Beispiel einen EDV-Spezialisten, der in seinem Beruf nicht mehr arbeiten kann, weil er ihn einfach nicht mehr schafft. Diese Menschen wollen arbeiten, die sind sehr verzweifelt. Sie wollen zurück in ihren Alltag, aber sie können ihn nicht mehr bewältigen."
Langfristige Folgen sind unbekannt
In der Klinik in Niederbayern wird auf unterschiedliche Weise versucht, den Menschen zu helfen – mit physiotherapeutischen Maßnahmen oder Gymnastikkursen abgestimmt auf die Leistungsfähigkeit der Patienten. Aber auch psychologische Einzel- oder Gruppentherapie wird angeboten, um das Trauma der schweren Erkrankung zu überwinden und um den Umgang mit der Tatsache zu lernen, dass niemand mit Bestimmtheit sagen kann, wann die Symptome enden.
Denn das stellen auch die Experten in ihrem Papier klar: Die langfristigen Folgen und Schäden sind unbekannt, dafür ist das Virus zu neu und zu unerforscht. "Die Behandlung ist oft sehr langwierig. Wenn Sie erreichen können, dass die Menschen ihren Alltag wieder bewältigen können, ist das schon ein enormer Fortschritt", so von Sanden.
Betroffene warten oft lange auf Hilfe
Experten warnen noch vor einem anderen Aspekt: Das rehabilitative Gesundheitssystem könnte an seine Grenzen stoßen. Vor der Corona-Pandemie absolvierten jährlich rund eine Million Menschen in Deutschland eine Rehabilitation. Wenn jetzt einige 100.000 Betroffene mit Long-Covid hinzukämen, sei das eine große Herausforderung für das Versorgungssystem, heißt es von der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation (Degemed). Derzeit warten Betroffene teilweise noch sehr lange, bevor sie Hilfe bekommen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Leitlinie Long-/ Post-Covid
- Interview mit Gabriele von Sanden
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherche