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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Studie untersucht Phänomen Warum sich Stress auf andere überträgt
Stress ist ansteckend – so lautet das Fazit einer Studie, die von Gießener und Wiener Wissenschaftlern durchgeführt wurde. Die Forscher konnten zeigen, dass sich Stress vor allem auf Menschen überträgt, die ein "Wir-Gefühl" verbindet. Das Phänomen kann sowohl positive als auch negative Folgen haben.
Ob in Job oder Privatleben: Viele kennen die Situation, dass sich Hektik schnell auf Mitmenschen überträgt. Wenn wir eine andere Person in einer stressigen Situation erleben, fühlen wir uns ebenfalls gestresst und unser Körper schüttet Stresshormone aus. Leider lassen sich solche Situationen nicht immer vermeiden. Wer jedoch die Mechanismen kennen, die hier zugrunde liegen, kann sich besser vor dem Stress der anderen schützen.
Studie zu ansteckendem Stress
Woher kommt es, dass sich Stress auf andere Menschen überträgt? Dieser Frage sind Psychologen der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und der Universität Wien nachgegangen. An der experimentellen Studie nahmen Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer in Kleingruppen von jeweils vier oder fünf Personen teil.
Bei der Hälfte aller Kleingruppen wurde ein "Wir-Gefühl" erzeugt: Die Teilnehmenden saßen gemeinsam an einem Tisch, wurden als Gruppe angesprochen, und die Beteiligten überlegten, was sie als Gruppe verbindet beziehungsweise was sie mit den anderen Probandinnen und Probanden gemeinsam haben.
In der anderen Hälfte der Kleingruppen wurde kein solches "Wir-Gefühl" erzeugt. Im Anschluss wurde in jeder Kleingruppe zufällig eine Versuchsperson ausgelost, die allein eine sehr stressige Aufgabe zu bearbeiten hatte. Die anderen beobachteten diese Situation.
Speichelprobe entlarvt Stressreaktion
Während der Studie wurden bei den Probandinnen und Probanden mehrfach Speichelproben genommen, um diese später im Labor auf das Stresshormon Cortisol zu untersuchen.
"Wenn die Beobachterinnen und Beobachter Cortisol ausschütten, obwohl diese gar nicht unmittelbar gestresst wurden, lässt sich daraus schließen, dass sie mit Stress angesteckt worden sind", erklärt Erstautorin Valerie Schury, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Sozialpsychologie der JLU.
"Es zeigte sich zudem, dass die beobachtenden Versuchsteilnehmenden signifikant häufiger das Stresshormon Cortisol ausschütteten, wenn zuvor ein 'Wir-Gefühl' mit der beobachteten Person erzeugt worden war.“" Die Studie wurde unter dem Titel „The Social Curse: Evidence for a moderating effect of shared social identity on contagious stress reactions” in der Fachzeitschrift "Psychoneuroendocrinology" veröffentlicht.
Warum "springt" Stress auf andere über?
Doch wie lässt es sich aus psychologischer Sicht erklären, dass wir Stress von nahestehenden Personen übernehmen und Stresshormone ausschütten – auch wenn wir selbst nicht mit in der Stresssituation stecken? Menschen sind in der Regel zur Empathie fähig. Empathie wiederum beschreibt die Fähigkeit und Bereitschaft Empfindungen, Emotionen, Gedanken und Motive anderer Menschen zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden.
Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik in Eschweiler bei Aachen. Diese Privatklinik für Psychosomatik ist spezialisiert auf Angst- und Panikstörungen, chronische Schmerzen, Burnout und Depressionen.
"Empathische Menschen übernehmen sozusagen einen Teil des Gegenübers. So wie wir mitfühlen und mitleiden können, so 'mitstressen' wir auch", sagt Dr. Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik in Eschweiler bei Aachen.
"Beobachten wir andere Menschen in einer angespannten Situation, so reagieren wir vielfach darauf mit einer vermehrten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol – insbesondere, wenn es sich um uns nahestehende Menschen handelt. Je stärker das Zusammengehörigkeitsgefühl, desto größer ist die Anteilnahme und desto 'ansteckender' wird Stress."
Ansteckender Stress hat auch Vorteile
Ein Gleichschalten des Verhaltens einer Gruppe war in früheren Zeiten von großem Vorteil. Stress tritt in der Regel dann auf, wenn eine akute oder konstante Gefahr herrscht. Früher waren das Fressfeinde oder Nahrungsmangel. Stress aktiviert die Gruppe: Sie wird aufmerksamer und kann schneller reagieren, um aus der Gefahrensituation zu entkommen. Auch kann Stress kurzfristig zu Höchstleistungen antreiben.
"Hinter Stress steckt ein tief in uns verankerter archaischer Mechanismus. Dieser diente ursprünglich dazu, den Körper in lebensbedrohlichen Situationen zu wappnen und ihn in Sekundenschnelle auf Flucht oder Kampf vorzubereiten", sagt Hagemann. "Dementsprechend werden in besonders herausfordernden Lebenslagen auch heute noch Stresshormone ausgeschüttet – in erster Linie Adrenalin und Cortisol. Die Muskulatur spannt sich an, Atmung und Puls beschleunigen sich, Blutzucker und Blutdruck steigen."
Wann übertragener Stress negativ wird
Ein Teil der notwendigen evolutionären Entwicklung ist in der "modernen Welt" überflüssig geworden. Die Notwendigkeiten des Überlebens haben sich grundlegend geändert. Kampf und Flucht bestimmen nicht unseren Alltag. Dennoch tragen wir die Neigung, Stress anderer zu übernehmen, noch in uns. "Studien zeigen, dass unser Gehirn auf ansteckenden Stress ebenso reagiert wie auf selbst erlebten Stress. Während gesunder Stress im Team Glückshormone freisetzt und beispielsweise im Berufsleben die Leistungskraft kurzfristig erhöhen kann, wirkt sich negativer Stress langfristig negativ auf Körper und Geist aus", sagt Hagemann.
Vor allem Dauerstress, der mit einer hohen Cortisol-Ausschüttung verbunden sei, habe negative Folgen. Laut dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie wird durch chronisch negativen Stress das Immunsystem geschwächt und die Zeugungs- und Empfängnisfähigkeit sowie die Libido reduziert. Es drohen zudem Beschwerden wie etwa Magenschmerzen und Durchfall bis hin zu Diabetes und schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Selbst depressive Erkrankungen seien eine mögliche Folge der biochemischen Veränderungen des Gehirns.
So schützen Sie sich vor dem Stress anderer
Um sich vor dem Stress anderer zu schützen, hilft Aufmerksamkeit. Bleiben Sie bewusst und fragen Sie sich zwischendurch immer wieder: Bin ich gestresst oder fühle ich gerade den Stress eines anderen Menschen? Versuchen Sie, sich emotional zu distanzieren und den Stress bewusst bei der anderen Person zu lassen. Trotzdem können Sie mitfühlend sein. Nur ist es ein Unterschied, ob man mitfühlt oder mitleidet.
Weitere wichtige Maßnahmen sind Distanz und Auszeiten. "Es müssen nicht immer lange Auszeiten sein: Bereits eine Viertelstunde täglich 'abgezwackt' für die eigenen Bedürfnisse hilft dabei, dem täglichen Stress mental entgegenzusteuern", sagt Hagemann. Nutzen Sie Rückzug und Pausen für Dinge und Tätigkeiten, die Ihnen guttun und Kraft spenden. Ebenso wohltuend ist es beispielsweise, digital öfter abzuschalten und für eine gewisse Zeit nicht erreichbar zu sein. So können Sie sich Stresssituationen zumindest für eine gewisse Zeit entziehen. Auch der Arbeit kann ein Spaziergang in der Mittagspause helfen, sich vom Stress im Team zu lösen und wieder zu mehr Ruhe zu finden.
In akuter Stresssituation die "4-7-8-Methode" probieren
Ein einer akuten Stresssituation kann laut dem Experten auch die "4-7-8-Atemtechnik" helfen, Stressgefühle abzubauen. "Legen Sie die Zungenspitze hinter die oberen Schneidezähne und atmen Sie dann durch die Nase ein. Zählen Sie dabei bis vier. Dann halten Sie den Atem an und zählen dabei bis sieben. Anschließend atmen Sie durch den Mund aus und zählen dabei bis acht. Wiederholen Sie das Ganze dreimal."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview
- Stress ist ansteckend. Pressmitteilung der der Justus-Liebig-Universität Gießen. (Stand: 16. November 2020)
- Bewegung, Entspannung und Stressbewältigung. Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). (Stand: 21. Februar 2018)
- Stress. Online-Information des Berufsverbands Deutscher Internisten e. V. (BDI). (Stand: Aufgerufen am 16. Juni 2021)