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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Psychologin Wie Sie die Corona-Einschränkungen deutlich besser ertragen
Impfchaos und steigende Fallzahlen: Die Corona-Pandemie strapaziert Nerven, Stimmung und Geduld. Eine Glücksforscherin verrät, welche Strategien gegen Angst und Frust helfen.
Für viele Menschen ist die Corona-Krise eine enorme Belastung: berufliche Unsicherheiten, Herausforderungen im familiären Bereich, Angst vor Ansteckung. Hoffnung gibt die neue Impfung. Doch auch hier ist Geduld gefragt. Wie es gelingen kann, positiv zu bleiben und durchzuhalten, weiß Glücksforscherin Dr. Judith Mangelsdorf von der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie.
t-online: Weiter hohe Infektions- und Todeszahlen, neue Corona-Varianten und banges Warten auf die Corona-Impfung: Es scheint, als gebe es kaum noch positive Nachrichten…
Dr. Judith Mangelsdorf: Der größte Fehler, den viele Menschen derzeit begehen, ist, sich von der Flut der negativen Corona-Nachrichten davonspülen zu lassen. In der Psychologie gibt es einen einfachen Grundsatz: Energy goes, where attention flows. Oder in anderen Worten: Das, womit Sie sich gedanklich auseinandersetzen, bestimmt, wie es Ihnen geht.
Die Gedanken angesichts von Lockdown und unsicherem Ende der Pandemie von Corona wegzulenken ist allerdings hart ...
Das Gegenmittel: Schaffen Sie sich bewusst Auszeiten, in denen Sie sich mit anderen Themen befassen. Gehen Sie in die Natur, legen Sie Ihr Smartphone zur Seite und nehmen Sie sich Zeit für Kontakt mit Menschen, die Ihnen guttun.
Ein konkretes Beispiel, das die Anspannung nicht gerade senkt: Verzögerungen und stellenweise Chaos bei den Corona-Impfungen.
Bei der Geschichte der Corona-Impfungen kommt es auf den Blickwinkel an. In weniger als einem Jahr ist es gelungen, einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln. Das ist etwa fünfmal so schnell, wie bei anderen Impfstoffen üblich. Obwohl SARS-CoV-2 nicht das erste für Menschen gefährliche Coronavirus ist, gelang es der Menschheit zum ersten Mal, einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln. Erst seit wenigen Wochen ist der erste in der EU zugelassene Impfstoff in Deutschland erhältlich und es sind bereits über eine Million Menschen geimpft.
Trotzdem werden viele Menschen noch Monate auf einen Impftermin warten müssen. Wie kann man zuversichtlich und geduldig bleiben?
Zuversicht und Geduld haben viel damit zu tun, wie wir die Welt um uns herum erklären und wahrnehmen. Achten Sie darauf, welche Geschichten Ihnen über die Impfungen in den Medien vermittelt werden und wählen Sie weise.
Dr. Judith Mangelsdorf
Diplom-Psychologin Dr. Judith Mangelsdorf ist Institutsleiterin der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie (DGPP). Als Vortragende, Trainerin, Forschende und Supervisorin unterstützt sie seit vielen Jahren Menschen verschiedenster Berufsgruppen, mit Hilfe der Positiven Psychologie ihr Potential zu entfalten.
Wie kann man verhindern, dass Missgunst und Neid keimen, weil andere vermeintlich bevorzugt werden und man selbst warten muss?
Wenn wir Missgunst und Neid empfinden, so sind dies zunächst wichtige Emotionen, die uns zeigen, was wir uns wünschen und wohin unsere Sehnsucht geht. Im Falle der Impfungen geht es vielen Menschen gar nicht unbedingt um die Frage, danach nicht mehr zu erkranken.
Worum dann?
Es geht um Themen, die dahinter liegen. Dazu gehört der Wunsch, wieder reisen zu dürfen, Gemeinschaft zu leben und feiern zu können. Es ist quasi ein entscheidender Schritt in die langersehnte alte Normalität zurück.
Wenn Sie Neid erleben in Bezug auf die Verteilung der Impfstoffe, dann fragen Sie sich zunächst, welche Sehnsucht oder welches Bedürfnis darin für Sie verborgen liegt. Im Anschluss überlegen Sie sich, wie Sie bereits jetzt, im Rahmen, der uns grade gegeben ist, einen Schritt in Richtung Ihrer Sehnsucht gehen können. So kann aus Neid die Chance auf eine sehr bewusste Lebensgestaltung erwachsen.
Egoismus scheint mit der Schwierigkeit der Lage zuzunehmen. Was kann man tun, wenn man bemerkt, dass die Gedanken oft nicht mehr gerecht sind?
Diese Form des Rückzugs und der Beschränkung auf sich selbst in schwierigen Zeiten ist oft ein psychisches Warnsignal. Es ist ein Ausdruck innerer Not, der viel mit dem Erleben von Angst und Hilflosigkeit zu tun hat.
Es ist hilfreich, sich die eigenen Gefühle, die hinter diesem Erleben stecken, zunächst einmal bewusst zu machen und nach einem Umgang mit Ihnen zu suchen. Was könnten Sie beispielsweise tun, um Ihre Ängste zu reduzieren und Ihre Zuversicht zu stärken? Aus dieser Form der bewussten Auseinandersetzung mit mir selbst und meinen Gefühlen kann dann wieder der Raum für gute Begegnung mit anderen erwachsen. Denn nur gemeinsam kommen wir stark durch die Krise.
Was braucht es in der jetzigen Situation besonders, um zufrieden zu sein und die Hoffnung zu behalten?
Zufriedenheit und ebenso Unzufriedenheit entstehen durch den inneren Vergleich. Nehme ich beispielsweise in den Blick, was ich in Zeiten des Lockdowns alles nicht tun kann, was ich aber früher tun konnte, macht das unzufrieden. Vergleiche ich mich stattdessen mit Menschen, die grade jetzt in deutlich schlimmeren Lebenssituationen Corona überstehen müssen, als die meisten von uns, bin ich mit der gleichen Lebensrealität deutlich zufriedener.
Generell kann man sagen: Das Denken in Möglichkeiten macht zufrieden und auch hoffnungsvoller. Das Denken in Beschränkungen und Verboten beschränkt auch meine Zufriedenheit und das Hoffen auf eine bessere Zukunft.
Aufeinander achtgeben, Rücksicht nehmen, helfen: Macht das glücklich?
Ja! Der amerikanische Wissenschaftler Martin Seligman, der auch als einer der Gründerväter der Positiven Psychologie gilt, hat einmal sehr treffend gesagt: Wenn es Ihnen so schlecht geht, dass Sie nicht mehr wissen, was Sie tun sollen, dann gehen Sie raus und helfen Sie einem anderen.
Der Hintergrund ist, dass genau diese Form des Miteinanders, Beziehungen vertieft, positive Gefühle hervorruft und Sinn stiftet. Damit zahlt es gleich in drei große Säulen des Lebensglücks ein. Außerdem steigert helfen unsere Selbstwirksamkeit. Also das Gefühl in der Welt etwas bewirken zu können, was grade in Zeiten großer Unsicherheit von immenser Bedeutung ist.
Wie zieht man Zufriedenheit aus solidarischem Denken?
Solidarisches Denken hat viel mit Moral zu tun und mit dem Gefühl, das Richtige zu tun. Die aktuellen Einschränkungen sind für viele deutlich besser zu ertragen, wenn wir für uns selbst die Frage nach dem Warum klar beantworten können.
Gerade für jüngere Menschen, bei denen ein schwerwiegender Verlauf weniger wahrscheinlich ist, kann solidarisches Denken hier zu mehr Akzeptanz und damit auch Zufriedenheit mit der Situation beitragen. Es macht klar, dass ich durch achtsames Verhalten vielleicht selbst keine großen Vorteile habe, aber anderen vulnerableren Gruppen der Gesellschaft vielleicht dadurch das Leben rette.
Was braucht es im Leben, um glücklich sein zu können?
Es gibt drei große Arten von Glück, die wir unterscheiden. Zum einen der glückliche Zufall, der erst einmal nichts mit unserer Lebensgestaltung zu tun hat. Dann das glückliche Sein. Dieses Glück meint vor allem eher kurze Momente positiver Emotionen, wenn unser Gehirn Glückshormone wie Endorphin oder Dopamin ausschüttet.
Die Dritte Form des Glücks nennen wir in der Forschung Erfüllung oder Wohlbefinden. Hier geht es weniger um das kurzfristige glücklich sein, als vielmehr darum, das Leben im Ganzen als erfüllend und sinnvoll zu erleben, tiefe Beziehungen zu führen, die eigenen Stärken zu nutzen und das Gefühl zu haben, erfolgreich zu sein in dem, was ich tue. Wer dies erlebt, sagt von sich selbst, ich bin glücklich.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Mangelsdorf.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Dr. Judith Mangelsdorf
- Pressemitteilung: Deutsche Post Glücksatlas 2020
- Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie