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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Appell von Chefarzt aus Moers "Wir müssen bei Covid-19 von der künstlichen Beatmung absehen"
Das Bethanien Krankenhaus in Moers geht in der Corona-Krise einen Sonderweg: Schwer erkrankte Covid-19-Patienten werden nicht direkt künstlich beatmet. Chefarzt Dr. Voshaar richtet erstmals einen Appell an die deutschen Krankenhäuser.
Chefarzt Dr. Thomas Voshaar kritisiert, dass Ärzte die künstliche Beatmung bei Covid-19 zu häufig und zu schnell einsetzen. Stattdessen spricht er sich für das sogenannte Moerser Modell aus, das eine Maskenbeatmung nutzt.
Im Interview mit t-online erklärt er, warum diese Behandlungsmethode helfen könnte, vielen Patienten das Leben zu retten. Voshaar äußert sich auch kritisch zu den Corona-Maßnahmen in Deutschland und fordert eine Neufokussierung.
Dr. Thomas Voshaar
ist Chefarzt im Bethanien Krankenhaus in Moers und Vorstandsvorsitzender des Verbands Pneumologischer Kliniken.
t-online: Herr Voshaar, wie viele Patienten behandeln Sie momentan auf der Covid-Station im Bethanien Krankenhaus?
Dr. Voshaar: Aktuell haben wir hier 33 Patienten mit Covid-19. Das ist schon viel und mehr als während der ersten Welle. Man muss aber bedenken, dass wir die Patienten sehr schnell wieder nach Hause lassen und dass wir somit eine insgesamt kürzere Liegezeit haben als die Krankenhäuser, die intubieren und künstlich beatmen. In diesen Fällen werden die Intensivplätze viel länger blockiert als bei uns. Wir haben durch unsere Behandlungsmethode einen höheren Turn-over – also einen höheren Patientendurchlauf. Und dafür sind 33 Patienten eben viel.
Ihr Vorgehen hilft also dabei, die Kapazitäten zu schonen?
Man muss sich klarmachen: Die ganze Strategie, die wir in Deutschland fahren – mit all den Milliarden Kosten des Lockdowns –, hat zum Ziel, auf jeden Fall zu vermeiden, dass das Gesundheitssystem überfordert ist. Wenn ich nun an einem Krankenhaus einen Weg gehe, bei dem der Turn-over höher ist und die Menschen schneller wieder nach Hause gehen, dann blockiere ich weniger Plätze im Gesundheitssystem – insbesondere auf der Intensivstation.
Wenn ich aber konservativ die Patienten früh intubiere und sie dann im Schnitt zwei Wochen auf der Intensivstation und anschließend noch auf einer anderen Station liegen, bis sie nach Hause gehen – macht das einen Riesenunterschied. Was wir in Moers tun, hat also Konsequenzen für die politischen Entscheidungen bis hin zum Lockdown und bis hin zu Milliarden Kosten in diesem Land. Das muss man deutlich so sagen.
Als Intubation bezeichnet man das Einführen eines Schlauches in die Luftröhre, über den ein Patient künstlich beatmet wird. Die künstliche Beatmung ist meist dann erforderlich, wenn der Patient aufgrund seiner Erkrankung nicht selbstständig atmen oder seine Lunge nicht ausreichend Sauerstoff aufnehmen kann.
Natürlich sollten aber die medizinischen Entscheidungen im Vordergrund stehen …
Das ist richtig. Dabei sollte man die Ökonomie nicht unbedingt berücksichtigen. Aber trotzdem macht es unter diesem Gesichtspunkt einen unglaublichen Unterschied, mit welcher Methode man Covid-19-Patienten behandelt.
Wie unterscheiden sich die Behandlungsmethoden medizinisch voneinander?
Es stehen sich zwei Behandlungsformen gegenüber: auf der einen Seite die strategische Frühintubation, die ein ganz schlechtes Überleben zeigt, an der einige aber immer noch festhalten, und auf der anderen Seite das Moerser Modell.
Dabei vermeiden wir die künstliche Beatmung, so lange es überhaupt nur möglich ist. Erst prüfen wir die Sauerstoffeffekte, das heißt, ob man die Patienten allein mit Sauerstoff in verschiedenen Methoden behandeln kann. Und danach kommt eine Beatmungsunterstützung über eine Maske zum Einsatz. Das nennt man nicht-invasive Ventilation oder Beatmung – kurz NIV.
Woher stammt dieser Behandlungsansatz?
Die NIV wird seit Anfang der 90er-Jahre genutzt. Ich gehörte einer Peer-Group an, die die ersten waren, die sich mit dieser Methode beschäftigt haben.
Welche Erfahrungswerte konnte man damit sammeln?
Aus Studien wissen wir, dass wir in Deutschland mit dem Beatmungsverfahren viel mehr Praxiserfahrung haben als andere Länder der Welt. Insbesondere die deutschen Lungenkliniken haben damit viel gearbeitet. Das macht diesen besonderen Weg auch möglich.
Gibt es denn auch Risiken?
Risiken gibt es bei jeder Methode. Prinzipiell muss man sagen, dass die Gefahren der Intubation, also was passiert, wenn ich jemanden invasiv beatme, sehr gut untersucht sind. Wir kennen diese seit zehn Jahren sehr genau. Wir haben also geradezu nach dieser alternativen Methode gesucht, weil die Intubation und auch die künstliche Beatmung mit Überdruck so viele Komplikationen hervorrufen.
Das einzige Risiko, das es theoretisch bei einer nicht-invasiven Beatmung gibt, ist, dass man zu spät bemerkt, dass der Patient es mit der NIV doch nicht schaffen kann und man dann zu spät intubiert. Aber das kann nicht passieren, wenn man den Patienten gut beobachtet.
Sollten auch andere Krankenhäuser jetzt dem Moerser Modell folgen?
Immer mehr Kliniken machen das schon genauso, wie wir es bereits im März vorgeschlagen haben. Von einigen Lungenkliniken in Deutschland, die auch an der Versorgung von Covid-19-Patienten beteiligt sind, habe ich enorm positive Rückmeldungen erhalten. Sie sagen, dass immer mehr Patienten überleben und sie immer weniger intubieren und künstlich beatmen müssen.
Das sind ja eindeutige Zeichen.
Ja. Und ich sage es deshalb zum ersten Mal ganz deutlich: Wir müssen alle Intensivstationen in Deutschland auffordern, auf jeden Fall von der frühen Intubation und künstlichen Beatmung dieser Patienten abzusehen. Wir haben inzwischen so viele Daten, wie hoch die Sterblichkeit ist, wenn wir intubieren, und wenn wir nicht intubieren und die anderen Verfahren anwenden. Einige meiner Kollegen sagen, es sei geradezu ein Kunstfehler, die Menschen früh zu intubieren.
Bereitet Ihnen das Infektionsgeschehen in Deutschland Sorge und rechnen Sie mit einem Anstieg an schweren Covid-19-Fällen?
Ich bin persönlich auch überrascht, dass wir bei der zweiten Welle so viele Patienten haben, die im Krankenhaus versorgt werden müssen. Ich hätte nicht gedacht, dass das so kommt. Jetzt müssen wir das aber zur Kenntnis nehmen und ich kann nur sagen: Die Krankenhäuser können damit gut fertig werden. Da habe ich keine Bedenken.
Also meinen Sie, die Kapazitäten in den Krankenhäusern reichen aus?
Natürlich muss die Versorgung der Normalpatienten neu geregelt werden und elektive Eingriffe wie Hüftoperationen müssen in solchen Situationen dann verschoben werden. Insgesamt hat das deutsche Gesundheitssystem aber vollkommen ausreichende Kapazitäten – auch ausreichende Intensivkapazitäten. Das steht außer Frage.
Während der ersten Welle hatten wir nur zehn Prozent Auslastung auf den Intensivstationen und wir haben alles frei gezogen. Im Moment sind ca. 20 Prozent der Intensivkapazitäten mit Covid-Patienten belegt.
Laut Gesundheitsminister Jens Spahn sollen im Notfall auch infizierte Ärzte und infiziertes Pflegepersonal arbeiten. Was halten Sie von dieser Regelung?
Schon in der ersten Welle gab es solche Überlegungen in Deutschland. Jetzt haben wir es in Belgien gesehen. Dort haben sich plötzlich so viele Menschen angesteckt, dass auch infiziertes Pflegepersonal arbeiten musste. Da muss man ganz klar sagen: Das ist ein ganz schlechter Weg. Man muss mit aller Macht verhindern, dass infizierte Ärzte oder infiziertes Pflegepersonal arbeiten. Wir müssen aufpassen, dass wir so etwas niemals erleben werden. Deshalb müssen wir jetzt vorsichtig sein und jetzt handeln – und bisherige Strategien überdenken.
Gab es denn bei Ihren Mitarbeitern schon Infektionsfälle?
Wir hatten seit neun Monaten beim Personal, das die Covid-Patienten behandelt, nicht eine einzige Infektion. Schon seit März verfolgen wir ein ganz klares Hygienekonzept.
Halten Sie die aktuellen Corona-Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie für angemessen? Oder würden Sie strengere oder andere Maßnahmen befürworten?
Für mich ist am wichtigsten, dass wir uns ganz kritisch immer wieder neu fokussieren, welche Maßnahmen draußen außerhalb des Krankenhauses wichtig sind. Und da ist ganz klar: Man muss die alten Menschen und die Schwerkranken schützen. Denn wenn in einem Altenheim plötzlich eine Infektion explodiert und 10, 15, 20 oder 30 alte Leute erkranken, dann sind die regionalen Krankenhäuser innerhalb von zwei Tagen überflutet. Deshalb müssen die ganzen Lockdown-Maßnahmen immer wieder angepasst werden.
Es scheint ja so, dass der Teil-Lockdown nicht besonders viel gebracht hätte. Denn die Zahl der Neuinfektionen ist immer noch sehr hoch. Ich sage deshalb: Wir müssen neu justieren, auf bestimmte Dinge weiter verzichten, uns aber unbedingt auf die Senioren- und Altenheime, den öffentlichen Dienst, Polizei und Feuerwehr fokussieren, damit die intakt bleiben.
Haben Sie denn einen konkreten Vorschlag, wie wir die Älteren besser schützen können?
Ja. Wenn in einem Altenheim Infektionsfälle auftreten, dann muss das Gesundheitsamt dort sofort hin, beim Testen helfen und die Kontaktverfolgung aufnehmen. Sie müssen fragen, wer von der Verwandtschaft als Besucher da war. Denn die müssen dann sofort isoliert und in Quarantäne geschickt werden.
Sie meinen, die Gesundheitsämter sollten sich also neu fokussieren.
Ja, und zwar auf das, was wirklich gefährlich ist. Also auf die Senioren- und Altenheime, wo viele Menschen schwer krank werden, ins Krankenhaus kommen und wo auch die Sterblichkeit hoch ist. Die Zahlen zeigen ja, dass die Sterblichkeit ab 60 fast kontinuierlich zunimmt. Und, wenn wir diese Menschen schützen wollen, dann müssen wir da jetzt etwas tun und die allgemeine Kontaktverfolgung aufgeben. Denn die hat sich ja nicht als erfolgreich erwiesen.
Die geltenden Corona-Maßnahmen werden von einem Teil der Bevölkerung nicht konsequent umgesetzt. Woran hapert es?
Ich glaube, dass wir die Jugendlichen nicht mitgenommen haben – wie so oft, wenn ein Staat sich etwas überlegt. Wir wissen ganz genau, dass die Hauptausbreitung momentan bei den jungen Menschen stattfindet. Das heißt, wir erreichen die Jugend offensichtlich nicht. Sie treffen sich nach wie vor zu Feiern – vielleicht auch aus einer gewissen Protesthaltung heraus. Das Schlimme ist, dass sie das Virus in die Familien hineintragen.
Die Alten sind meiner Meinung nach sehr vernünftig und zurückhaltend. Deshalb müssen wir wirklich versuchen, mit unseren Programmen und Appellen auch die jungen Menschen in diesem Land mitzunehmen. Im Moment befinden wir uns in einer Situation, in der sie lernen müssen, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Ich sage immer, denkt an eure eigene Familie – denkt an Oma und Opa.
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Wir stecken mitten in der Corona-Pandemie – und in der Grippesaison. Viele Menschen mit Erkältungssymptomen sind sich unsicher, welche Krankheit dahinterstecken könnte. Sie haben als Vorsitzender des Verbands Pneumologischer Kliniken mit Ihren Kollegen einen Online-Symptomchecker entwickelt. Wie kann dieser helfen?
Zuerst muss man sagen: Es ist unglaublich schwierig, auf Anhieb zwischen einem grippalen Infekt und einer Corona-Infektion zu unterscheiden. Am Ende kann nur ein Corona-Test Klarheit schaffen. Aber es ist ja oft so im Leben, dass man mit dem Abchecken von wenigen Faktoren schon einmal einen Eindruck hat, in welche Richtung es gehen könnte. So funktioniert auch der Symptomchecker.
Und er erfüllt ein Bedürfnis der Menschen. Denn sie wollen selbst herausfinden, was hinter den Symptomen stecken könnte. Das war auch schon bei der Vogelgrippe und der Schweinegrippe so.
Aber wie aussagekräftig kann das Ergebnis sein? Es dient wohl eher als Orientierungshilfe …
Manchmal kommt heraus: "Sie haben einen dringenden Verdacht, an Covid-19 erkrankt zu sein. Bitte suchen Sie Ihren Hausarzt auf." Oder es scheint eher die normale Grippe zu sein. Doch bei ganz vielen Personen kommt heraus: "Der Symptomchecker kann Ihnen nicht sagen, ob eher Grippe oder Corona, deshalb holen Sie sich ärztlichen Rat."
Wenn der Symptomchecker am Ende zu keiner Tendenz – also weder Grippe noch Corona – führt, dann ist es trotzdem hilfreich, weil der Nutzer dann weiß, dass er auf jeden Fall zur Abklärung zum Hausarzt gehen sollte.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Voshaar!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Eigenes Interview per Telefon mit Dr. Thomas Voshaar